Bruder Niklaus Kuster ofmcap

Kleine Geschichte der franziskanischen Bewegung

Von der kleinen Männerbruderschaft zur globalen Laienbewegung

Eine Gruppe franziskanisch inspirierter Menschen beim gemeinsamen Gebet. Bild von Bruder Georg Schmauser
Eine Gruppe franziskanisch inspirierter Menschen beim gemeinsamen Gebet. Bild von Bruder Georg Schmauser

Franziskus war Laie, als er im Mai 1209 vor Innozenz III. stand; ebenso seine elf Gefährten, die weder Theologie studiert noch ein kirchliches Amt bekleidet hatten. Der Papst erlaubte den zwölf Laien, radikal nach dem Evangelium zu leben und dieses in den Alltag zu verkünden – urbi et orbi, überall auf dem Erdkreis. Als sich Priester dieser neuen Bewegung anschlossen, lebten und arbeiteten auch diese „laienhaft“. Raoul Manselli spricht von Selbstdeklassierung der Kleriker, deren Tätigkeiten sich in nichts von denen der Laien unterschieden. Erst nach Franziskus’ Tod und Elias’* Absetzung 1239 wird der Orden sich „klerikalisieren“. (Elias von Cortona war ein früher Gefährte Franziskus und der zweite Generalminister der Franziskaner.) Als sich der franziskanischen Bewegung 1211 auch Gefährtinnen anschlossen, wählte Klara von Assisi nicht das Wanderleben der Brüder, sondern ließ sich von Marta und Maria von Betanien inspirieren: Freundinnen Jesu, die sesshaft unweit von Jerusalem wohnten. Wie die beiden Schwestern des Lazarus, so wollte Klaras Gemeinschaft auch Brüder in San Damiano haben. Lange Jahre war ihr Haus eine „Herberge“: ein offenes Haus von Frauen, die mystisch den „armen Christus arm umarmten“ und zugleich Armen an ihrer Türe hilfreich begegneten. Erst nach Franziskus’ Tod wird San Damiano ein Kloster werden. Die Lebensform von San Damiano, um 1212 verfasst und von Klara später ins Herz ihrer Ordensregel eingefügt, spricht schlicht von Töchtern des einen Vaters im Himmel, Freundinnen des Heiligen Geistes und Jüngerinnen Christi, die geschwisterlich das Evangelium leben.

Neben ehelich ungebundenen Brüdern und Schwestern ließen sich auch Verheiratete vom neuen evangelischen Geist erfassen. Franziskus ermutigte Eheleute und Menschen mit familiären Pflichten, dem Ruf Christi in ihren Berufen, Dörfern und Beziehungsnetzen zu folgen. Sein Brief an die Gläubigen sieht in „Frauen und Männern“ jeder Lebensweise „Söhne und Töchter des himmlischen Vaters, „Wohnung des Heiligen Geistes“ und „Geliebte, Geschwister und Mütter Jesu Christi“. Im Vertrauen auf die göttliche Inspiration jedes Menschen sah Franziskus von strukturellen Regeln ab. Römischer Ordnungssinn trieb Kardinal Hugo von Ostia an, vom Evangelium inspirierte Laien in Dörfern und Städten zu sammeln und ihnen Normen zu geben. Der spätere Papst wird von sich schreiben lassen, er hätte die neuen Orden der „Geschwister von der Buße“ und der „Klausurfrauen“ aufgebaut, den anfangs noch vagabundierenden Orden der Minderbrüder dagegen in eine feste Form gebracht. Franziskanische Autoren stilisieren ebenfalls Franziskus zum Gründer des päpstlich anerkannten „Dritten Ordens“.

Tatsächlich wird um 1221 erstmals eine Skizze greifbar, mit der die Römische Kurie franziskanisch engagierte Laien fortan in lokale Gemeinschaften fasste. Ihre Mitglieder verpflichteten sich in ihren Berufen und Familien zu einem gemeinsamen Lebensprojekt: Sie durchliefen ein Einführungsjahr, versprachen materiell einfach zu leben, reichen Banketten, Bällen und Festen fernzubleiben, an drei Wochentagen auf Fleisch zu verzichten, regelmäßig eine Anzahl Vaterunser im Tageslauf zu beten, die Sakramente zu schätzen, keinen Eid zu leisten und nie Waffen zu tragen, das Familienleben christlich zu gestalten, unter sich Solidarität in wirtschaftlichen Nöten zu leisten und sich in monatlichen Versammlungen zu treffen. Sie wählten sich Minister, die den Zusammenhalt festigen und die Kranken besuchen. Diese Laiengemeinschaften entwickelten bald ein sozial und politisch subversives Profil: Gliederte sich die Gesellschaft in Stände und Klassen, verbanden sich franziskanisch Inspirierte geschwisterlich: So zählte die fraternitas in der Universitätsstadt Bologna 1252 unter ihren 57 Mitgliedern Notare, Schreiber, Barbiere, Schneider, Schreiner, Papierproduzenten, Apotheker, Bäcker und Gerber. Indem die Mitglieder solcher Gemeinschaften auf das Waffentragen und auf Eide verzichteten, wurden sie in den spätmittelalterlichen Städten mit ihren zahlreichen Fehden zu einer Friedensbewegung, die von den Päpsten vor Sanktionen durch die Behörden geschützt werden musste. 1289 anerkannte der erste Franziskanerpapst Nikolaus IV. diese Laienbewegung als „Dritten Orden“ des heiligen Franziskus. Der Dritte Orden entfaltete sich im späten Mittelalter in ganz Europa: Tausende lokaler Gemeinschaften, gegliedert in Provinzen und mit eigenen Generalkapiteln. Die Pest von 1348, der ein Drittel von Europas Bevölkerung zum Opfer fiel, und die Renaissance mit ihrem feinen Geschmack für Kunst und kulturellen Reichtum ließen die vitale Bewegung in eine erste Krise geraten. Nördlich der Alpen fegte die Reformation in vielen Gebieten neben den Klöstern auch die Gemeinden des Dritten Ordens hinweg. Katholische Gebiete erlebten danach im Zeitalter des Barock einen Neuaufschwung kirchlichen Lebens. Nun wurde es selbst an Fürstenhöfen Mode, dem Dritten Orden des heiligen Franziskus anzugehören. Könige und Bischöfe ließen sich im Habit des Ordens begraben. Zum Massenphänomen wurde der Dritte Orden durch Papst Leo XIII. Er erkannte die soziale Kraft und die karitative Bedeutung der Bewegung, lockerte die Aufnahmebedingungen und propagierte den Orden ab 1882 in Rundschreiben und Kongressen. Entwickelte dieser zunächst viele soziale Werke, trat ab 1920 das religiöse Leben in der Welt in den Vordergrund. 1934 zählte der Orden gegen vier Millionen Mitglieder. Paul VI. benennt den weltweit verbreiteten Dritten Orden 1978 in Ordo Franciscanus Saecularis (OFS) um.

Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Franziskaner im Sommer 2014


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