14.08.2016 orden.de

Olympiade vergößert die Schere zwischen Arm und Reich

Bruder Augustinus Diekmann im Interview zu den Olympischen Sommerspielen

Derzeit finden in Rio de Janeiro die Olympischen Sommerspiele statt. Bruder Augustinus Diekmann, Leiter der Franziskanermission in Dortmund, hat viele Jahre selbst in Brasilien gelebt. Die Webseite orden.de sprach mit ihm über das Land und die Auswirkungen der Olympischen Spiele, vor allem für die Menschen am Rand, gesprochen.

Bild: Bruder Augustinus Diekmann (links) besucht 2015 Favela in Sao Luis-Maranhao; hier mit Pfarrer und Gemeindeleiterin. Bild von der Franziskanermission (Dortmund)
Bild: Bruder Augustinus Diekmann (links) besucht 2015 Favela in Sao Luis-Maranhao; hier mit Pfarrer und Gemeindeleiterin. Bild von der Franziskanermission (Dortmund)

 

Lieber Bruder Augustinus, sie haben langen Jahre in Brasilien gelebt und gearbeitet. Was bewegt Sie, wenn Sie an Brasilien denken?

Während meiner 20 Jahre im Nordosten Brasiliens habe ich dieses wunderschöne Land, die gastfreundlichen Menschen und die lebendige Ortskirche in mein Herz geschlossen. Wenn ich jetzt vor allem an die Verarmten und Ausgegrenzten denke, dann sehe ich, angesichts von so viel Korruption und politischer Lüge, keine realistische Hoffnungsperspektive für Brasilien. Ich habe den Eindruck, dass jeder, der dort auf die politische Bühne steigt – wenn auch mit noch so tollen Wertvorstellungen – im Sumpf der korrupten Machenschaften versinkt. Und wer als Neueinsteiger in der brasilianischen Politik zunächst einen vielversprechenden soliden Standpunkt hatte, versinkt früher oder später im besagten Sumpf.

 

Am 5. August wurden die XXXI. Olympischen Sommerspiele in Brasilien eröffnet. Wie wird das Ereignis von den Landsleuten aufgenommen?

Während es vor der Fußball-Weltmeisterschaft vor zwei Jahren noch große Proteste gab, die weltweit von sich reden machten, ist die „Stimme der Straße“ jetzt eher kleinlaut geworden. Natürlich wird in den brasilianischen Basisbewegungen und Basisgemeinden über den unverhältnismäßig hohen Einsatz von Steuergeldern für ein paar Tausend Athleten diskutiert. Dadurch möchte Brasilien als „Schwellenland der internationalen Sportwelt“ glänzen, wird aber in der eigenen Gesellschaft den vielen Herausforderungen immer weniger gerecht. Die Investitionen zugunsten der diesjährigen Sommerolympiade öffnen die soziale Schere immer weiter: Reiche bereichern sich und Arme verarmen noch mehr. Ich würde sogar sagen, dass das Olympische Feuer in Rio mehr Hoffnungen verbrennt, als dass es das Leben gerade der armen Menschen heller machen würde.

 

Schon während der Fußball – Weltmeisterschaft gab es ja Kritik von außen, vor allem mit Blick auf die Situation der Ärmsten im Land. Hat sich seitdem etwas verändert?

Es ist höchstens noch schlimmer geworden. Nehmen wir nur mal das Beispiel des olympischen Dorfes. Um die Unterbringung der Olympioniken zu garantieren, sollten viele Familien – vor allem arme – umgesiedelt werden. Ihnen wurde das Blaue vom Himmel versprochen: kostenloses Bauland, ein neues Haus und vor allem den garantierten Zugang zu sozialer Grundversorgung in der neuen Umgebung. Wie so oft wurden bei diesem Handel viele der Familien zum Narren gehalten. Sie verloren nicht nur ihre vertraute Bleibe, sondern sie landeten praktisch auf der Straße. Und die Ironie der Geschichte ist, dass jetzt viele Athleten gar nicht ins zu schnell aus dem Boden gestampften olympischen Dorf einziehen wollen, da vieles dort einfach nicht funktioniert. Kritik mit Blick auf die Ärmsten im Land ist sicher berechtigt, aber gerade unter diesen Menschen müsste das politische Bewusstsein noch stärker werden, damit sie selber kritisch ihre Stimme erheben.

 

Was würden Sie sich als Franziskaner für den Umgang des Landes mit dieser Kritik wünschen?

Mein Wunschzettel für eine gerechtere und menschenwürdigere Zukunft Brasiliens ist lang. Als Christ und Franziskaner erhoffe ich mir eine immer klarere Stellungnahme der brasilianischen Ortskirche und mit dieser auch eine eindeutige Positionierung der Franziskanischen Familie. Ich werde immer wieder gefragt, ob denn die Theologie der Befreiung in Lateinamerika tot ist. Nach meiner Überzeugung ist sie nicht tot, sondern lebt in den sozialen Basisbewegungen und kirchlichen Basisgemeinden weiter. Doch ihre prophetische Option für die Armen könnte mancherorts in Brasilien noch konkreter und entschiedener umgesetzt werden. Das ist vor allem auch eine Herausforderung und „gefährliche Erinnerung“ (J. B. Metz) für uns Franziskaner. Wenn Papst Franziskus, gleich nach seiner Wahl, auf der italienischen Insel Lampedusa erklärte, er habe Angst, dass die Menschen ihre Sensibilität verlieren, dann verstehe ich diese Sorge auch als eine Anfrage an uns.

 

Wann werden Sie das nächste Mal selber in Brasilien sein?

Ich werde Anfang November meine franziskanischen Brüder und deren Arbeitsfelder in West- und Nordostbrasilien besuchen. Jedes Mal, wenn ich während einer solchen Reise die vielen Engagierten in den pastoralen und sozialen Projekten erlebe, ist das für mich eine „nachhaltige Vitaminspritze“, um danach meine Mission in Deutschland fortzusetzen.

 

Erstveröffentlichung am 3. August 2016 auf der Webseite www.orden.de


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