26.02.2016 Bruder Jürgen Neitzert, aufschrei-waffenhandel.de

Die sieben goldenen Nasen des deutschen Rüstungsexports

Aktionstag gegen den Waffenhandel 2016

 

Aktionstag gegen den Waffenhandel 2016: Die sieben goldenen Nasen des deutschen Rüstungsexports vor dem Reichstag in Berlin. Bild von aufschrei-waffenhandel.de
Aktionstag gegen den Waffenhandel 2016: Die sieben goldenen Nasen des deutschen Rüstungsexports vor dem Reichstag in Berlin. Bild von aufschrei-waffenhandel.de

Diese Skulpturen waren echte Hingucker. Sie standen symbolisch für die sieben führenden Manager der deutschen Rüstungs- und Militärfahrzeugindustrie – nämlich für Andreas Heeschen von Heckler & Koch, Frank Haun von Krauss-Maffei Wegmann, Bernhard Gerwert von Airbus Defence & Space, Claus Günther von Diehl Defence, Heinrich Hiesinger von ThyssenKrupp, Armin Papperger von Rheinmetall und Dieter Zetsche von Daimler. Sie alle verdienen sich sprichwörtlich eine gewaltige goldene Nase mit Rüstungsexporten und damit auch mit Krieg, Gewalt, Tod und Vertreibung.

Teilnehmer der Aktion und Passanten konnten sich aber nicht nur diese eindrucksvolle Ein-Tages-Ausstellung ansehen, sondern sie erhielten auch zahlreiche Informationen und Einblicke in die skrupellose Geschäftswelt der „Großen Sieben“. Durch die Ausstellung führten Aufschrei-Sprecher Jürgen Grässlin von der DFG-VK, Dirk Bingener vom BDKJ, Fred Holz vom IPPNW und Bruder Jürgen Neitzert von den Franziskanern. Aufschrei-Sprecherin Christine Hoffmann von Pax Christi moderierte die außergewöhnliche Aktion.

Die Franziskaner unterstützen den Kampf gegen Deutsche Waffenexporte seit Jahrzehnten.

 

Bruder Jürgen hat im Rahmen der Veranstaltung auch eine Rede zur Lage der Menschenrechte in der Türkei gehalten.
Hier sein Beitrag:

Die Türkei wird versorgt mit deutschen Rüstungsexporten

Bruder Jürgen: "Menschen sterben, weil wir Geld mit deutschen Rüstungsexporten an die Türkei verdient haben" Bild von aufschrei-waffenhandel.de
Bruder Jürgen: „Menschen sterben, weil wir Geld mit deutschen Rüstungsexporten an die Türkei verdient haben“ Bild von aufschrei-waffenhandel.de

Deutschland hat für die NATO das türkische Militär aufgerüstet.
Das dafür zuständige Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz, das bis heute bei den deutsch-türkischen Rüstungsgeschäften federführend aktiv ist, war der Hauptabteilung Rüstung im Bundesministerium der Verteidigung unterstellt und wurde Oktober 2012 in das neu gegründete Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr eingegliedert.

Mitte der achtziger Jahre baute die Türkei eine eigene türkische Rüstungsindustrie auf. Noch im selben Jahr wurde in Kirikale, östlich von Ankara, eine große Panzerrohrfabrik eröffnet. Koordiniert wurden die Arbeiten zur Fertigstellung des Werkes in Kirikale vom “Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung”.
Nachdem die Bundesrepublik in den Jahren nach dem Militärputsch wichtigster Waffenlieferant gewesen und die USA auf Platz zwei verdrängt hatte, nutzte die deutsche Industrie diese Situation, um ins Geschäft zu kommen. In einer türkischen Ausgabe der Militärzeitschrift Defense and Aerospace heißt es denn auch: “Wenn heute in der Türkei überhaupt von einer Rüstungsindustrie gesprochen werden kann, so hat sie das in allererster Linie der Bundesrepublik Deutschland zu verdanken. Firmen wie Fritz Werner, Heckler und Koch, Rheinmetall, MBB und Diehl sind unserem ‘Verband der Maschinen- und Chemieindustrie’ bestens bekannt”.

Die Türkei ist Nato Partner, was hat das also mit Menschenrechten zu tun?

1984 begann eine Verschärfung des Kurdenkonflikts in der Türkei
Am 15. August 1984 besetzten Einheiten der PKK die beiden Kleinstädte Semdinli und Eruh in den Provinzen Hakkâri und Siirt für einen Tag und attackierten dort türkische Polizeistationen und Militäreinrichtungen. Die Türkei verstärkte ihre Militärpräsenz und bewaffnete kurdische Stämme als Dorfschützer, um gegen die PKK zu kämpfen. Am 19. Juli 1987 wurde das bis dahin herrschende Kriegsrecht in 8 Provinzen mit kurdischer Bevölkerung durch den Ausnahmezustand ersetzt.

1985 hielt sich die Spitze der türkischen Polizei in der Bundesrepublik auf. Auf dem Programm stand unter anderem ein Besuch beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden und bei der Bundesgrenzschutzeinheit GSG-9 in Bonn. Kurz darauf stellte die Türkei Spezialtruppen für den Einsatz im Kurdengebiet der Türkei auf, “Schwarze Käfer” genannt und für ihre Grausamkeit schnell bekannt geworden. Joschka Fischer stellte damals eine Anfrage an die Bundesregierung, ob die Schwarzen Käfer “auf ihre Ausbildungsaufgaben in der Bundesrepublik Deutschland vorbereitet worden sind”. Die türkische Tageszeitung Tercüman schrieb im Januar 1987 ausgerechnet auf der Titelseite “Unsere Kommandos werden in Deutschland ausgebildet”, Fotos und ein Interview mit dem GSG-9-Offizier Anselm Weygold dokumentierten, die heikle deutsch-türkischen Ausbildungs- und Polizeihilfe.

Der Generalstabschefs der Türkei, Güres, sagte im Oktober 1994: „Wir werden die Räuberbanden ausrotten, indem wir das Meer austrocknen, um den Fisch vom Wasser zu trennen.“ Die Entvölkerung von kurdischen Dörfern in der Türkei nach dem Motto „den See austrocknen, um an die Fische zu kommen, erreichte 1994 einen Höhepunkt. Nach Angaben der offiziellen türkischen Presse wurden in den 1990er Jahren 6.153 Siedlungen und 1.779 Dörfer zwangsgeräumt und 1.000.000 Menschen aus „Sicherheitsgründen“ umgesiedelt.(Hürriyet Daily News vom 31. Mai 2000: Heading home to an economic wasteland). Das heißt, dass türkisches Militär 1993/1994 vor allem mit den deutschen NVA Radpanzern in die Dörfer fuhr und auf die ganz normale kurdische Bevölkerung schoss und Granaten warf, sodass diese ihre Dörfer verließen, wahrscheinlich 1.500.000 Menschen insgesamt wurden so in die kurdischen und türkischen Städte und später auch nach Deutschland vertrieben. Ein bekanntes Ereignis mit zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung war der Luftangriff des türkischen Militärs auf Koçagili und Kuskonar.

Im April 1994 machte ich bei Hasankeyf im Kurdengebiet der Türkei Fotos von einer türkischen Militärstation mit den NVR Radpanzern BTR 60, die in den Dörfern zum Angriff und zur Vertreibung eingesetzt wurden. Das waren alte NVA Panzer, die der Türkei vom deutschen Staat geschenkt wurden. Wir gaben die Fotos dem Außenministerium, anschließend wurden für 4 Wochen die deutschen Waffenexporte in die Türkei gestoppt, um danach unvermindert weiterzugehen.

Beispiele für einige deutsche Exporte an die Türkei: 1986-2003 wurden 4.800 Stück Boden-Luft-Raketen des Typs „Stinger“ („FIM-92A“ & „FIM-92C“) von der Firma Lenkflugkörpersysteme GmbH (LFK) der Türkei geliefert. Eine Fabrik für die Produktion von 5,56-mm-Munition für das ebenfalls in der Türkei in Lizenz gefertigte Gewehr „HK 33E“ von Heckler & Koch wurde von der staatseigene Firma Fritz Werner gebaut. Dort wurden etwa 50 Mio. Schuss pro Jahr ab 2003 hergestellt.

Im Moment herrscht Krieg in den Kurdengebieten der Türkei

Nach den Parlamentswahl im Juni 2015 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Gewalt im Kurdenkonflikt, die sich nach dem Anschlag in Suruç vom 20. Juli 2015 noch einmal steigerte. So erschossen PKK-Aktivisten zwei türkische Polizisten, die mit dem IS zusammengearbeitet haben sollen Der türkische Staat reagierte mit Angriffen auf kurdische Gebiete im Irak als auch Razzien gegen kurdische Aktivisten in der Türkei. Ende Juli 2015 erklärte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Friedensprozess mit den Kurden für gescheitert. Am 12. November 2015 gab der Menschenrechtsverein Insan Haklari Dernegi (IHD) einen Bericht über das Ausmaß von Gewalt zwischen dem 7. Juni 2015 und dem 9. November 2015 heraus. In dem Bericht wurde darauf hingewiesen, dass die KCK (im Namen der PKK) am 10. Oktober 2015 einen Verzicht auf Aktionen erklärt habe, aber der Staat habe die Anwendung von Gewalt gesteigert. In dem Zeitraum wurden 150 Soldaten, Polizisten und Dorfschützer sowie 181 Militante der PKK getötet. Bei den Kampfhandlungen starben auch 9 Zivilisten.

Parallel dazu kam es in einigen Ortschaften im Siedlungsgebiet der Kurden ebenfalls zu einer Eskalation der Gewalt. Ab August 2015 hatte die Jugendorganisation der PKK in von ihnen kontrollierten Stadtvierteln kurdischer Städte Gräben ausgehoben und errichtete Barrikaden, um den Zugang zu den Vierteln zu sperren. Die Gouverneure in diesen Ortschaften verhängten Ausgangssperren. Der Abgeordnete der HDP für die Provinz Diyarbakir, Idris Baluken gab am 10. Dezember 2015 bekannt, dass im Verlauf dieser Ausgangssperren 78 Zivilisten ihr Leben verloren. Besonders einschneidend waren die Ereignisse während der Ausgangssperre vom 4.-12. September 2015 in Cizre, wo mehr als 20 Zivilisten ums Leben kamen und während der Ausgangssperre über mehr als 10 Tage in Silvan, bei der mindestens 10 Zivilisten ihr Leben verloren. In den letzten Monaten kamen über 10 kurdische Städte, darunter die Altstadt der kurdischen Metropole Diyarbakir nach und nach ins Visier Erdogans. Mit Kampfpanzern, Artillerie und Raketenwerfern wurden die Städte Sur/Diyarbakir, Cizre, Silvan, Bismil, Nusaybin, Silopi, Idil, Yüksekova ,Varto und weitere unter Beschuss genommen und Hunderte von Zivilisten von Heckenschützen, Todesschwadronen und Killern der Regierung hingerichtet. Innerhalb von drei Tagen, vom 10. bis 13. Februar, wurden allein in Cizre über 150 von der türkischen Armee und Polizei hingerichtete, verbrannte und mit Granaten zerstückelte Leichen geborgen. Ganze Stadtteile wurden dem Erdboden gleichgemacht Die Innenstadt von Diyarbakir sieht zurzeit aus wie nach einem Krieg. Viele Häuser sind von den türkischen Sicherheitskräften zerstört worden, auch die gerade erneuerte alte armenische Kirche ist von ihnen wieder zerstört worden.

 

Durch die Ausstellung führte u.A. Aufschrei-Sprecher Jürgen Grässlin von der DFG-VK (links). Bild von aufschrei-waffenhandel.de
Durch die Ausstellung führte u.A. Aufschrei-Sprecher Jürgen Grässlin von der DFG-VK (links). Bild von aufschrei-waffenhandel.de

Die nordsyrische Provinz Aleppo wird im Moment immer mehr zum Brennpunkt des Krieges in Syrien: Die Türkei fliegt Luftangriffe gegen kurdische Stellungen im Norden des Gebiets. Die USA fordern mit scharfen Worten einen Stopp der türkischen Angriffe. Ankara müsse „den Beschuss beenden“, sagte US-Außenamtssprecher John Kirby am 13.2.16 am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Es sei nicht zulässig, dass die Türkei versuche, sich neue Gebiete einzuverleiben. Die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu hatte zuvor türkische Angriffe auf Kurdenstellungen in der nordsyrischen Provinz Aleppo bestätigt. Das türkische Militär habe Ziele in den von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrollierten Gebieten nahe der Stadt Asas bombardiert, zitierte Anadolu Militärkreise.

Zwischen den USA und der Türkei schwelt seit Monaten ein Streit über die Rolle der Kurden im Krieg um Syrien. Washington unterstützt die YPG militärisch, sie sieht in den Kurden einen wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den IS.

In all diesen Konflikten sind auch deutsche Waffen im Einsatz. Menschen sterben, weil wir Geld mit deutschen Rüstungsexporten an die Türkei verdient haben oder den NATO Partner befähigt haben, eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen, auch mit Gewehren von Heckler und Koch, die in Lizenz in der Türkei gefertigt werden … Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte jedoch verhindern, den türkischen Präsidenten Erdogan zu verärgern, weil es für sie entscheidend ist, dass die Türkei das Flüchtlingsproblem für die EU löst.

In Ankara kam es nun zu einem Anschlag auf türkische Militärs. Ein Selbstmordattentäter hatte den Sprengsatz in seinem Auto am Mittwochabend im Regierungsviertel von Ankara neben mehreren Armeebussen gezündet, 28 Menschen kamen ums Leben. Obwohl sich die Kurdischen Freiheitsfalken (TAK) zu dem Autobomben-Anschlag in Ankara bekannt haben, macht die Türkei die YPG verantwortlich.

„Alle, die uns jetzt sagen, man muss die Türkei von morgens bis abends kritisieren, denen rate ich, das nicht fortzusetzen. Wir haben Interessen. Die Türkei hat Interessen. Das ist ein wichtiger Punkt. (…) Natürlich gibt es in der Türkei Dinge, die wir zu kritisieren haben. Aber die Türkei, wenn wir von ihr etwas wollen, wie, dass sie die illegale Migration unterbindet, dann muss man auch Verständnis dafür haben, dass es im Zuge des Interessenausgleichs auch Gegenleistungen gibt.“ (Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Monitor, 4. Februar 2016).

 


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