Seit 800 Jahren leben Franziskaner im deutschen Sprachraum. An Pfingsten 1221 fand in Assisi das Kapitel der Brüder statt. Dort fassten sie den Beschluß, einige Gefährten über die Alpen nach Deutschland auszusenden. Nach einer oft schwierigen Situation und so manchen Irritationen in dem fremden Land, fassten die Minderbrüder bald Fuß und ließen sich in Augsburg nieder. Am 16. Oktober 1221 hielten die Franziskaner dort ihr erstes Provinzkapitel ab. In diesem Jahr jährt sich das Jubiläum einer 800jährigen Präsenz der im Laufe der Jahrhunderte entstandenen franziskanischen Familie; der Franziskaner und Franziskanerinnen in Deutschland.
In seinem Grußwort beim ökumenischen Gottesdienst, am 20. Mai im Hohen Dom zu Augsburg, erinnerte Provinzial Cornelius Bohl an dieses Ereignis.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
so schön Jubiläen oft sind, letztlich sind sie eine Alterserscheinung. Wer am Anfang steht, noch voll in Saft und Kraft, wer etwas aufbaut und sich voller Energie ständig neuen Herausforderungen stellt, der hat nicht nur keinen Anlass, ein Jubiläum zu feiern, er hat dazu auch gar keine Zeit. Je mehr sich Jubiläen häufen und je höher die runden Geburtstage sind, umso spürbarer lässt die Kraft der Jugend nach. Das gilt nicht nur für einen einzelnen Menschen, sondern ähnlich auch für eine Institution oder eine Bewegung. Dort sind Jubiläen Sache der Nachgeborenen. Sie haben dann leicht etwas Nostalgisches an sich und stehen immer in der Gefahr, die goldenen und unerreichbaren Anfänge zu verklären.
Aber warum feiern wir denn überhaupt Jubiläen? Ich glaube nicht, dass man aus der Geschichte unmittelbar lernen kann. Kinder können nicht einfach die noch so gut gemeinten Ratschläge ihrer Eltern übernehmen. Sie müssen selbst ihre Welt erkunden und ihre eigenen Erfahrungen machen, auch auf die Gefahr hin, dabei auf die Nase zu fallen. Die Erinnerung an die Ankunft der ersten Minderbrüder in Deutschland und hier in Augsburg liefert keine Rezepte für uns und für die Kirche von heute. Unsere Welt heute ist grundverschieden von ihrer Welt damals. Wir können Geschichte nicht kopieren. Aber Geschichte kann inspirieren. Dreierlei fällt mir dabei ein.
Ein Erstes. Die Brüder haben damals in kleinen Gruppen die Alpen überquert. Hier in Augsburg treffen sie dann im Herbst 1221 wieder alle zusammen. Sie sind eine überschaubare Gruppe, 25 Brüder. In Corona-Zeiten ist das schon viel. Sonst eigentlich nicht. Warum nur starren wir in den Kirchen heute ständig auf die abnehmenden Zahlen, statt froh mit den Schwestern und Brüdern, die da sind, kreativ das zu tun, was möglich ist? Jesus selbst hat gerade einmal mit 12 Freunden und einer Handvoll Freundinnen angefangen. Das war, rein statistisch gesehen, eine recht wackelige Basis und ein hohes Risiko. Ich bin überzeugt: Die Zukunft des Evangeliums hängt nicht von Zahlen ab. Das Evangelium entfaltet dort seine Kraft, wo sich Menschen ehrlich mit ihrem Leben auf die Botschaft Jesu einlassen. Franziskus und die ersten Brüder wollten nichts anderes als genau das: Evangelium leben. Vielleicht ist das ein gutes Gebet gerade in den Tagen vor Pfingsten: Komm, Heiliger Geist, und bewahre uns vor der einseitigen Magie der Zahlen und Statistiken!
Ein Zweites. Die Brüder vor 800 Jahren waren keine Missionare im klassischen Sinn. Sie kamen in keine heidnische oder gar gottlose Gegend. Auch jenseits der Alpen finden sie ein Land voller Dome und Kirchen und Klöster. Hier in Augsburg wie anderswo nehmen sie sofort Kontakt mit dem Bischof auf. Das Land, das sie vorfinden, war wohl christlicher als unser Land heute. Sie bringen also nicht das Evangelium. Das Evangelium ist schon da, es ist bekannt. Aber sie leben es anscheinend mit einer neuen Frische. Das alte Evangelium bekommt irgendwie eine neue Farbe und neue Lebendigkeit. Darum geht es immer in der Kirche, in jeder Generation: Das Evangelium in seiner unverbrauchten Frische zu entdecken und heute lebendig werden zu lassen. Den Brüdern damals ist das scheinbar gelungen. Warum sollte das nicht auch heute möglich sein?
Und ein Letztes. Vor 800 Jahren kommen zunächst einmal 25 Männer über die Alpen. Da muss ich hier auch nicht gendern, das war einfach so. Aber der franziskanische Funke springt bald über und zieht Kreise. Ganz in den Anfang der franziskanischen Bewegung in Deutschland gehört etwa die heilige Elisabeth, erst in Eisenach und dann in Marburg. Dazu gehören die Sternschwestern hier in Augsburg und die frommen Frauen aus Dillingen, die ebenfalls sehr bald für ihr Zusammenleben die franziskanische Regel übernehmen. Dazu gehört auch ein Bruder David, der hier im Barfüßerkloster, neben lateinischen Schriften für seine Brüder, auch spirituelle Texte auf Deutsch verfasst, weil sich schon sehr bald nicht nur Klosterleute, sondern auch in der Welt lebende Frauen und Männer und ihre Familien vom Geist aus Assisi inspirieren lassen. Networking würde man das heute neudeutsch nennen. Oder sagen wir es einfacher: Evangelium leben, das geht nur gemeinsam, damals wie heute: Nur Frauen und Männer zusammen, Junge und Alte, Laien und Amtsträger, Ehrenamtliche und Hauptamtliche, Evangelische und Katholische, Einheimische und Zweiheimische können den ganzen Reichtum des Evangeliums bezeugen. Einmal in Klammer gesagt: Fast alle der ersten Brüder damals waren Ausländer. Als sie nach ihrer Alpenüberquerung hier in Augsburg ankommen, haben sie sozusagen einen doppelten Migrationshintergrund.
Vor 800 Jahren kamen also die ersten Minderbrüder nach Deutschland. Und sie sind immer noch da. Darum wurde ich als Provinzial der Deutschen Franziskanerprovinz auch zu diesem Jubiläumsgottesdienst eingeladen. Dafür danke ich sehr herzlich. Zu den fratres minores unseres großen kleinen Bruders Franziskus gehören aber auch die Brüder Minoriten und die Brüder Kapuziner. Drei franziskanische Grußworte heute Abend wären dann wohl doch etwas zu viel gewesen! Und so grüße und danke ich hier im Namen aller Brüder des Franziskus-Ordens in Deutschland. Bruder Andreas, der Provinzial der Minoriten in Würzburg, und Br. Christophorus, der Provinzial der Kapuziner in München, haben mir das eigens aufgetragen! Ich finde es sehr schön, dass dieses Jubiläum, an dessen Beginn unsere Brüder standen, eine so breite und vor allem auch ökumenische Resonanz entfaltet, gerade hier in Augsburg. Danke!
Ökumenischer Gottesdienst 800 Jahre Franziskaner und Franziskanerinnen in Augsburg