Die Autorin Manuela Isabel Urbina Ramírez ist Mitarbeiterin der franziskanischen Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (GFBS) in Cochabamba, Bolivien. Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth. Dieser Beitrag erschien zuerst in der Missionszeitschrift der Franziskaner, Ausgabe 4/2024.

Mein Name ist Manuela Isabel Urbina Ramírez, ich wurde in Sibaté in Kolumbien geboren. Ich bin ausgebildete Anthropologin und arbeitete im Bereich der kommunalen Gesundheit. Seit meiner Jugend lebe ich die franziskanische Spiritualität und habe in Kolumbien zwölf Jahre lang in franziskanischen Organisationen mitgearbeitet. Im Jahr 2002 ging ich nach Bolivien. Heute bin ich Mitarbeiterin der Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (GFBS), die zur Franziskanischen Familie in Bolivien gehört. Meine Aufgabe ist die Förderung und Vertiefung des franziskanischen Lebens und Charismas in Bolivien und Lateinamerika.
Inspirationsquelle und unser leitender Stern für diese Arbeit ist die Enzyklika „Laudato Sí“ von Papst Franziskus, die den Sonnengesang des heiligen Franziskus aktualisiert und die Bedeutung der harmonischen Beziehung hervorhebt, die zwischen Gott, dem Menschen und der Schöpfung bestehen muss. Eine Störung der Harmonie in dieser Beziehung führt zu Konflikten und schädigt die Ordnung der gesamten Schöpfung. Die Enzyklika unterstreicht diese Tatsache in Absatz 49, indem sie betont, dass „ein wahrer ökologischer Ansatz immer auch ein sozialer Ansatz ist“ und zu einer ökologischen Umkehr aufruft, um die Harmonie wiederherzustellen und den Schwächsten das zurückzugeben, was ihnen vorenthalten wurde.
Träume verwirklichen
Seit 2017 konkretisiert sich dieses Ideal. Wir begleiten eine Gruppe von Müllsammlern in Cochabamba, die die erste Kooperative für Recycling und Abfallumwandlung in Bolivien gegründet haben: die „Cooperativa Multiactiva Laudato Sí RL (COMULASI)“. Früher trafen sich diese Menschen mal hier, mal da, um gemeinsame Aktionen zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen durchzuführen, jedoch ohne klare Zielsetzung und Organisation. Die Müllsammler fühlten sich oft von Menschen und Institutionen betrogen, die ihnen Hilfe versprachen, aber keine Taten folgen ließen. Misstrauen und Unehrlichkeit innerhalb der Gruppe führten zu Konflikten. Sie kamen einfach nicht voran. Deshalb machten sich die Franziskaner gemeinsam mit ihnen auf den Weg, um von einem besseren Leben zu träumen und Wege zu finden, diese Träume zu verwirklichen.
Eine erste Aufgabe bestand darin, das Vertrauen wieder herzustellen und eine professionelle Struktur zu schaffen.
Wir suchten nach Partnern, die uns bei unserem Vorhaben helfen sollten. Wir klopften an die Türen des Bürgermeisters, der Schulen, der Kirchengemeinden, der Umweltstiftungen, privater Geldgeber und der Gesellschaft im Allgemeinen.
Erste Erfolge der Müllsammler
Der erste Erfolg war die Einrichtung des heutigen Sammelzentrums. Zuvor zogen die Müllsammler mit einem Sack auf dem Rücken durch die Straßen und sammelten den Müll, um dann das Material individuell zu einem sehr niedrigen Preis zu verkaufen. Im neuen Zentrum verfügen sie jetzt über einen Ort und Werkzeuge, die es ihnen ermöglichen, mehr Material zu sammeln und mit Großhändlern zu verhandeln, um so ihr Einkommen deutlich zu verbessern. Dieser Schritt änderte die Lebensweise der Müllsammler, die es gewohnt waren, allein für ihren persönlichen Vorteil zu arbeiten, und brachte sie dazu, über sich selbst hinauszuwachsen und an andere zu denken, denen es genauso geht wie ihnen.
Das Sammelzentrum ist inzwischen ein fester und wichtiger Treffpunkt und ein Ort des Zusammenhalts für die Gruppe. Es bietet spezielle Räume für die Lagerung und Klassifizierung von Materialien wie Kunststoff, Glas, Papier, Pappe, Metallschrott und so weiter. Das Zugehörigkeitsgefühl und die Teamarbeit der Müllsammler haben zugenommen. Die Müllsammler arbeiten nun auch nach festgelegten Zeitplänen und Aufgaben.
Würde und Rechte
Der nächste Schritt war die Einrichtung eines Verarbeitungszentrums für recyceltes Material. Hierfür wurde ein Grundstück gekauft, und es wurden Fahrzeuge, Maschinen und Ausrüstungen angeschafft. In diesem Zentrum werden Produkte wie Wurmkompost, Sickerwasser, Blumentöpfe, ökologische Ziegelsteine, gepresste Pappe, Gläser und Glasvasen hergestellt. Die umgewandelten Produkte werden auf dem lokalen Markt verkauft. Dies nützt der Umwelt und verbessert das Einkommen der Recycler.
Es wurde zudem ein Netzwerk mit katholischen Schulen der Pfarreien und Firmen für Müllverwertung aufgebaut. Dabei wurden 3.000 Schulkinder selbst von den Müllsammlern im Umweltschutz und in Recyclingmaßnahmen geschult. Die jetzt in den Schulen gesammelten und getrennten Abfälle werden an die Kooperative gespendet. Die Müllsammler haben auch den Nachbarn in der Nähe des Sammelzentrums durch verschiedene Kampagnen die Notwendigkeit des Recyclings nahegebracht, und die Nachbarn geben ihr Material nun an die Genossenschaft ab. Großhandelsunternehmen kaufen das Material von den Müllsammlern. Einige Kirchengemeinden spenden der Kooperative Material und beziehen sie in Werbemaßnahmen für den Umweltschutz ein. Staatliche und nichtstaatliche Stellen unterstützen sie, indem sie Recycling-Messen in den verschiedenen Gemeinden der Stadt organisieren und sie mit anderen Umweltschutzaktivitäten verbinden.
Es ist erfreulich zu sehen, dass Menschen, die aus sehr prekären wirtschaftlichen Verhältnissen kommen, in der Lage sind, sich in den Bereichen Arbeitsorganisation, Verhandlung und Führung weiterzuentwickeln und ihr Einkommen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern.
Dieses Projekt hat den Bedürftigsten ihre Würde und Rechte zurückgegeben und sie in eine Gemeinschaft integriert. Aus denen, die eine Arbeit verrichten, die sonst niemand übernehmen wollte, sind Schlüsselpersonen geworden, die bei der Bewältigung eines großen Problems der Stadt – der Abfallbewirtschaftung – eine entscheidende Rolle spielen.