Bruder Ulrich Gellert

Brennpunkt Köln-Vingst

800 Jahre franziskanische Geschichte in Deutschland - Vergegenwärtigung Teil 4

Auf der Suche nach einem Wirkungsfeld in einem sozialen Brennpunkt entschieden sich die Franziskaner 1974 für Köln-Vingst – weil sie dort so viele Jugendliche herumlungern sahen. Bild von Jose Reyes auf Pixabay

Die pastorale Konstitution „Gaudium et spes“ über die Kirche in der Welt von heute beginnt im Vorwort mit dem Satz: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“

Dieser Aussage des II. Vatikanischen Konzils wurde in der theologischen Ausbildung der jungen Brüder in der Kölnischen Franziskanerprovinz große Bedeutung beigemessen. Sie verband sich mit der gründlichen Einführung in Leben und Berufung des hl. Franz von Assisi durch P. Kajetan Esser, OFM, zu einem prägenden Eindruck auf das Suchen nach der eigenen Berufung bei den jungen Brüdern.

So fragten sich im Herbst 1974 drei Brüder – und vor ihnen schon andere -, wo und wie sie dieser „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ wirklich nahe kommen könnten. Als ein gelebtes Beispiel erschien uns das Leben der „Kleinen Brüder Jesu“ von Charles de Foucauld im Duisburger „Gleisdreieck“. Nach Vermittlung durch P. Provinzial Landolf Wisskirchen, OFM, bot uns der damalige Leiter des Kölner Erzbischöflichen Seelsorgeamtes drei soziale Brennpunkte an in seiner ehemaligen Pfarrei St. Theodor in Köln-Vingst.

Die Geschichte der Franziskaner-Gemeinschaft in Köln-Vingst von 1974 bis 1983

Wir entschieden uns für die Würzburger Straße, vor allem auch, weil wir dort so viele Jugendliche herumlungern sahen. Die Wohnungsgesellschaft „Grund und Boden“, die diese „Übergangshäuser“ verwaltete, kam uns entgegen und erlaubte uns, in der Würzburger Straße 6, im 2.Stock zwei Wohnungen nebeneinander zu mieten (je ca.40-50m). Wir zogen ein, anfangs zu dritt, zeitweise zu zweit oder, wenn Gäste mit lebten, auch zu viert.

Eins war deutlich von Anfang an: Die Nähe zu den Nachbarn war unausweichlich da: zu alleinstehenden Erwachsenen jeden Alters, Familien mit mehreren Kindern, vielen Jugendlichen, deutschen und auch türkischen Familien.

Wir gingen tagsüber einer beruflichen Tätigkeit nach oder studierten an der Universität. Am Nachmittag waren wir offen für Begegnungen mit den Nachbarn der Umgebung. In einer unserer Wohnungen fanden sich mit der Zeit, als das Misstrauen sich gelegt hatte, Jugendliche, Kinder, Männer und Frauen ein. Sie kamen einzeln oder zu mehreren, und es wurden, je mehr man sich auch untereinander kannte, gemeinsame Treffen daraus. Es gab gemeinsame Feiern mit den Nachbarn, mit Jugendlichen und Erwachsenen, besonders den Alleinstehenden.

Uns wurde zu Gute gehalten, dass wir von der Kirche waren und doch wie alle anderen lebten, einsehbar und ohne besondere Vorteile. Ferner, dass wir bereit waren, in kleinen Notlagen einzuspringen, z.B. mit unserem Ford-Transit. Der diente zu Möbeltransporten, Fahrten ins Krankenhaus oder zu Besuchen in entfernte Haftanstalten, sehr regelmäßig auch mit Kindern zum Schwimmen, da ein Bad in den Wohnungen dieser Häuser fehlte und oft zu Wochenenden mit Kindern und Jugendlichen. Wir waren da für Gespräche, für Kontakte zur Pfarrei. Wir organisierten Schularbeitenhilfe für Kinder türkischer Gastarbeiter.

Ein großes Plus in den Augen der Leute war auch, dass wir nicht bezahlt wurden für das, was wir taten. Denn wir gingen einer beruflichen Tätigkeit nach und lebten davon. So akzeptierte man auch den Urlaub oder gelegentliche eintägige Auszeiten. Als selbstverständlich sah man es an, dass wir Brüder beteten, morgens in der Frühe und am Abend von 18 bis 19:00 Uhr in unserer kleinen Kapelle. Da gingen meist alle weg, und manche, auch andere, kamen um 19:00 Uhr dann wieder. Wir aßen unser Abendbrot und wer wollte, aß mit. Dann ging das Gespräch weiter oder Spiel oder Singen mit Gitarre. Spätestens gegen 22:00 Uhr waren wir dann allein.

Manche Nachbarn kamen regelmäßig, besonders die Jugendlichen. Es kamen auch Fremde. Man wusste viel voneinander, auch die Ängste und die Trauer. Dankbar wurde vorhandene Liebe erkannt, und es wurde gemeinsam gelitten bei Gewalt. Gemeinsamkeit zeigte sich als guter Grund für Hoffnung und Freude am Leben. Bei gemeinsamen Wochenenden gab es immer auch eine Eucharistiefeier.

Es war die Erfahrung einer sehr reichen Zeit für uns Brüder, für viele der Nachbarn und auch für die Pfarrei St. Theodor. Sie ging 1983 zu Ende. Neues hatte sich für uns Brüder aufgetan, zum Teil auch mit der gleichen Berufung, z.B. in der Mission in Brasilien und Afrika. Damals konnte kein anderer Bruder diese Art zu leben als seine Berufung erkennen.

10 Jahre später jedoch gab es wieder eine Franziskaner-Gemeinschaft am sozialen Brennpunkt in Köln-Vingst mit mehreren jungen Brüdern – für weitere 26 Jahre.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert