Franziskaner werden – Franziskaner sein. Was bewegt Menschen ihre gewohnte Umgebung, Beruf und alle Sicherheiten zu verlassen und sich einer Ordensgemeinschaft anzuschließen?
Bruder Marcio Lenzen Lisboa spricht über seine Berufungsgeschichte und sein Leben als Franziskaner.
Wechsel doch auf das Franziskaner-Gymnasium, empfahl ein Freund dem jungen Marcio, als dieser sich in einer schulischen Krise befand. „Gut katholisch war der dritte Sohn einer Eisenbahnerfamilie zwar, der 1977 im sonnigen Florianópolis im Süden Brasiliens geboren wurde. Doch eine Aufnahmevoraussetzung war auch die Verpflichtung, später selbst Franziskaner werden zu wollen. Das aber hatte Marcio überhaupt nicht vor, er wollte nur auf dieser Schule sein Abitur machen. Und so flunkerte er, dass sich die Balken bogen – und wurde aufgenommen.
Sein Vater war gegen den Schulwechsel. Er war nicht gewillt, das Schulgeld für das Internat zu bezahlen. Der Junge sollte lieber einen anständigen Beruf erlernen, statt von akademischen Weihen zu träumen. Doch auch diese Klippe konnte Marcio umschiffen. Bruder Joseph, der deutschstämmige Leiter der Internatsschule der Franziskaner, vermittelte ihn an eine Spenderin aus Köln. Diese war bereit, eine Patenschaft zu übernehmen, um einem brasilianischen Jungen den Schulbesuch zu ermöglichen. Regelmäßig schrieb Marcio Briefe an seine Förderin, Frau Dr. Lenzen, aus dem fernen Deutschland. So entwickelte sich über die Jahre eine Freundschaft zwischen ihnen. Auch die Franziskaner, mit denen er nun zusammenlebte, imponierten dem jungen Brasilianer. Wie sie miteinander in Gemeinschaft lebten und sich liebevoll um die Nöte der Menschen kümmerten, wurde für ihn zum Vorbild.
Als er sein Abitur nach einigen Jahren endlich in der Tasche hatte, bekam Marcio von Frau Dr. Lenzen das Angebot, für eine neue kulturelle Erfahrung einige Zeit nach Deutschland zu kommen. So kam Marcio im Alter von 21 Jahren nach Köln. Während seines mehrmonatigen Sprachkurses lernte er nicht nur viel über Land und Leute, er suchte auch den Kontakt zu den Franziskanern vor Ort. Und so folgte er der Spur, die er schon in Brasilien aufgenommen hatte, und absolvierte Postulat und Noviziat in der damaligen kölnischen Franziskanerprovinz, mit der Absicht Franziskaner und später Priester zu werden.
Nach Abschluss seines Noviziats war ihm in Deutschland allerdings der Weg zum Studium versperrt: Sein brasilianisches Abitur an der Ordensschule wurde nicht anerkannt! Allerdings gab es für ihn die Möglichkeit, am Priesterseminar in Brixen, in Südtirol, zu studieren. Doch die Ordensleitung tat sich schwer damit, ihn jahrelang „von der Leine zu lassen“.
Und so kappte Marcio kurzerhand selbst die Leine, trat wieder aus dem Orden aus und zog nach Südtirol. Dort lebte er in einer kleinen Dachkammer auf dem Gelände der Hochschule und verdiente sich durch Hausmeistertätigkeiten im Seminar seinen Lebensunterhalt. Sein Kontakt zu den Franziskanern in Köln und Düsseldorf riss jedoch während seines Theologiestudiums nie ab und er besuchte sie regelmäßig in den Semesterferien.
Als Marcio im Jahr 2000 sein Diplom als Theologe von der Universität Innsbruck in der Tasche hatte, konnte er sich allerdings nicht vorstellen, „Weltpriester zu werden. Seine Jugendliebe, das franziskanische Charisma, war nie erloschen, und er bewarb sich erneut bei den Franziskanern in Köln um Aufnahme. So absolvierte Marcio zum zweiten Mal sein Noviziat und durchlief die Ordensausbildung erneut. Anschließend führte ihn noch eine Zusatzausbildung im Bereich Jugendarbeit und Sozialpastoral für zwei Jahre nach Bayern.
2007 wurde Bruder Marcio dann von Kardinal Meisner in Düsseldorf zum Priester geweiht. In der Folge arbeitete er als Kaplan in der Pfarrpastoral in Vellbert-Neviges.
Im Jahr 2010 wurde er nach Rheda-Wiedenbrück versetzt, um dort das Jugendgästehaus der Franziskaner zu übernehmen. Das war genau das Richtige für ihn: Alles, was ihn bisher selbst getragen hatte – seine Liebe zum franziskanischen Charisma; der Wunsch, anderen zu helfen und ihnen Stütze zu sein; seine Ausbildung in der Jugendarbeit; seine priesterlichen und pastoralen Erfahrungen –, all das kann er seither weitergeben.
Am wichtigsten ist ihm dabei die Gastfreundschaft: Ohne Vorbehalt für andere da zu sein, sie anzunehmen und jederzeit ein gutes Wort für sie zu haben. So wie er es selbst erfahren hat, damals in Florianópolis im sonnigen Brasilien.
Erstveröffentlichung in Zeitschrift Franziskaner / Sommer 2016