29.10.2021 Bruder Stefan Federbusch

Das ist echt cringe!

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Stefan Federbusch

Sprache schafft Verbindung und Zusammenhalt. Sprache kann aber ebenso dazu genutzt werden, sich ab- und andere auszugrenzen.

Jugendliche haben ihre eigene Sprache, um sich von Älteren abzugrenzen. Jährlich wird ein Jugendwort des Jahres gewählt. In diesem Jahr von Jugendlichen selbst. Mehr als 1 Million haben sich mit Vorschlägen beteiligt. Das Ergebnis leitete die Neue Zürcher Zeitung so ein: „‘Sheesh‘ ist Ihnen sus? Das ist echt cringe! Sie gehören wohl zu jener Klientel, die nur noch auf Gammelfleischpartys eingeladen wird, auf denen Menschen über 30 abhotten.

In der Onlineabstimmung erhielt „Cringe“ mit 42 Prozent die meisten Stimmen. Es steht für das Gefühl des Fremdschämens, für etwas super Peinliches und Unangenehmes. Insbesondere für das Verhalten ihrer Eltern tritt dieses Gefühl bei jungen Leuten auf. „Cringy“ ist es aber auch, wenn ich mir als Erwachsener die Jugendsprache aneigne. Das Wort beschreibe allerdings nicht nur ein mentales Phänomen, sondern könne ‚als Schaudern durchaus auch eine körperliche Erfahrung sein‘, so der durchführende Verlag in seiner Mitteilung Anfang der Woche. Das mit 32 Prozent zweitplazierte „sus“ bedeutet übrigens so viel wie „verdächtig“ oder „auffällig“, das mit 26 Prozent auf dem dritten Platz gewählte „sheesh“ drückt Erstaunen oder Ungläubigkeit aus.

Bevor ich als Gammelfleisch der Ü30-Generation jetzt allzu cringe werde, verweise ich auf das Brüderliche Treffen, das wir Franziskaner in dieser Woche hatten. Auf die Frage: „Was bewegt mich aktuell in Bezug auf die Gesellschaft?“ antworteten sehr viele Brüder, dass ihnen das Kommunikationsverhalten Sorge bereite. Der Ton zwischen Menschen werde immer rauher und aggressiver, die Hetze in den sozialen Medien nehme enorm zu.

Die Spaltung unserer Gesellschaft ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine kommunikative. Das Einander-Zuhören und Zu-Verstehen-Suchen, das Miteinander-Ringen um Positionen und das Aushalten anderer Meinungen sind Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Demokratie. Jugendliche haben in ihrer Altersphase und Lebenswelt das gute Recht, sich auch sprachlich abzugrenzen. Ihre Jugendsprache sollte ihnen nicht genommen werden. Wenn ich allerdings das intolerante, abwertende und ausgrenzende Kommunikationsverhalten so manches Erwachsenen sehe und höre, dann ist das schlicht unangenehm und im höchsten Maße peinlich und es bleibt nur das Gefühl des Fremdschämens. Das ist leider echt cringe!


Der Blick zurück, der Blick nach vorne, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de


2 Kommentare zu “Das ist echt cringe!

  1. Lieber Bruder Stefan
    Du scheinst ja ein ausgesprochen positives Verhältnis zur Jugendsprache zu haben. Mit fast 60 Lebensjahren dürfte ich dann wohl langsam zu den Scheintoten zählen und auch zu denen, die wochen- und sonntags zur Mumienversammlung in die Kirche kommen. Das habe ich jetzt nicht nett ausgedrückt? Das kann ich auch von der Bezeichnung „Gammelfleisch“ für Ü30-Menschen sagen. Auf diese Weise einen Mitmenschen zu bezeichnen ist herabwürdigend und beleidigend. Allerdings: Es passt in diese Zeit der bösen Worte und Agressionen.
    Ich kann mich nur noch vage an meine Jugendzeit erinnern, zumindest was den Sprachgebrauch angeht, bin mir aber sicher, dass wir uns nicht durch selbstkreierte oder aus anderen Sprachen entlehnte Worte von den Eltern abzusetzen versuchten. Bei uns reichte der neue Musik- und Modegeschmack vollkommen aus.
    Jede Generation löst sich von der vorherigen. Das gehört zum Leben dazu. Sonst hätten wir ja nur noch Kinder, die im elterlichen Nest ihr Leben verbringen. Wenn man sich als junger Mensch schon von seinen Eltern unterscheiden und / oder abgrenzen will, dann geht dies auch auf andere Art und Weise. Wie wäre es für den Anfang mit dem friedlichen Umgang untereinander? Ohne jüngere Mitschüler auf dem Schulhof abzuzocken. Ohne schwächere Klassenkameraden zu verprügeln. Oder wie wäre es mit dem Verzicht auf das permanente Handy-Glotzen? Stattdessen würde ein gutes Buch nicht nur den Verstand sinnvoll beschäftigen, sondern gleichzeitig auch für den richtigen Gebrauch der deutschen Sprache und eine gute Rechtschreibung sorgen. Denn durch das Smsen und Whatsappen hat sich ein miserables Sprachniveau ergeben, das so manchen Arbeitgeber nur noch den Kopf schütteln lässt, wenn sie sich die Bewerbungsunterlagen der Jugend anschauen. Ganz zu schweigen von den Ergebnissen der Pisa-Studien in den letzten Jahren.
    Wenn diese Tendenz in die gleiche Richtung weitergeht, dann sehe ich Schwarz für die Jugend, die noch die Eierschale hinter den Ohren hat und gerade erst den nassen Windeln entschlüpft ist. Denn mit Cringe und Sus kommt man in der heutigen Arbeitswelt nicht weit. Dann endet die berufliche Karriere gleich nach der Schulentlassung auf dem Arbeitsamt mit HARTZ IV und Sozialhilfe. Da wird mir dann aber ganz blümerant zumute. Übrigens: Blümerant ist ein in die Jahre gekommenes Wort, welches für die Generation meiner Grosseltern noch zum alltäglichen Sprachgebrauch gehörte.

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