23.12.2024 Pater Thomas Ferencik

Das Kind von Bethlehem

Ein franziskanischer Weihnachtsimpuls

Franziskus und Klara an Weihnachten in Greccio. Bild von Bruno Fäh OFMCap, Kulturgut der Schweizer Kapuziner

Alle Jahre wieder
feiern wir Weihnachten als eine Zäsur, eine Besinnung auf das, was uns allen geschenkt ist: nämlich das Leben. Weihnachten ist für mich ein Statement, wie der heilige Franziskus dies einst in Greccio verdeutlicht hat und wir der Lebensbeschreibung von Thomas von Celano entnehmen können (1 C, Kapitel XXX): Inmitten des Alltags, mit seinen wiederkehrenden Abläufen und Verhaltensweisen, entdeckt Franziskus das Alltägliche neu, um auf den Wert des Lebens aufmerksam zu machen.

Er distanziert sich von den üblichen theoretischen und oftmals wenig verstandenen Praktiken, die die Kirche für das Volk vorsieht, und will das Fest der Geburt Jesu „so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen“. Auf diese Weise lenkt er den Blick auf das Kleine und Schwache, entgegen allen Bestrebungen nach Macht und Profit. Die Menschen, die nach Greccio gekommen sind, „werden bei dem Geheimnis mit neuer Freude erfüllt“, mit Hoffnung und Zuversicht auf eine von Gott getragene Zukunft. „Die ganze Nacht jauchzt auf in hellem Jubel“.

In besonderer Weise vermag es Franziskus, die Brüder und das Volk in der Umgebung zu vereinen. Niemand wird ausgeschlossen. Das Geschenk des Lebens, „das Kind von Bethlehem“, bringt die Menschen zusammen und erinnert sie daran, wie sehr sie aufeinander verwiesen sind. In diesem Augenblick gibt es kein Oben oder Unten, keine Trennung oder Spaltung, kein Besser oder Schlechter. Die gesamte Schöpfung ist einbezogen in den Lobpreis, selbst Ochs und Esel.

Für mich ist Weihnachten nicht nur das Fest der Liebe. Weihnachten ist für mich eine Demonstration für gesellschaftliche Veränderungen. Dies war offensichtlich auch dem Autor Celano bewusst, wenn er schreibt: „Es vervielfachten sich dort die Gaben des Allmächtigen, und ein frommer Mann hatte eine wunderbare Vision. Er sah nämlich in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen; zu diesem sah er den Heiligen Gottes hinzutreten und das Kind wie aus tiefem Schlaf erwecken. Gar nicht unzutreffend ist diese Vision; denn der Jesusknabe war in vieler Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen mit Gottes Gnade durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt.

Wer vermag es in unserer Zeit, „das Kind aus tiefem Schlaf“ aufzuwecken? Was kann die Entwicklung aufhalten, dass der „Jesusknabe in vieler Herzen vergessen wird“? Stärker denn je brauchen wir den gemeinsamen Blick auf das Leben, wie einst die Menschen in Greccio. Kommt uns dieser Blick abhanden, wird unsere Welt leblos und einsam. Verlieren wir den Wert des Lebens aus den Augen, werden wir auch die Notwendigkeit eines solidarischen Handelns vergessen. Gerade in unseren Zeiten, in denen die Würde des Lebens auf unterschiedliche Weise verletzt wird, ist die Begegnung mit „dem Kind von Bethlehem“ eine motivierende Erinnerung, sich gegen Gewalt, Ungerechtigkeit und Macht-Streben zu positionieren.

Thomas von Celano schreibt schließlich: „… und aus Greccio wird gleichsam ein neues Bethlehem“.
Ich wünsche uns allen, dass wir genügend Phantasie und das rechte Gespür dafür haben, das Fest der Geburt Jesu so zu gestalten, dass wir es „so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen“ können.

Im Namen aller Brüder wünsche ich Ihnen und Euch ein inspirierendes und gesegnetes Weihnachtsfest!


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