19.11.2024 Bruder Maximilian Wagner

„Mit dem Leben ist es wie mit einem Schilfrohr …“

„Wenn wir die Chroniken aufschlagen, so berichten sie von einer Welt im Wandel. Von den Machtkämpfen der Adelshäuser um die Kaiserkrone, von den Raubzügen der wilden, böhmischen Horden, von Grauen und Elend der belagerten Städte und von den ständigen Fehden der Landgrafen und ihrer Vasallen. Doch die Quellen schweigen über die Welt im Inneren der Menschen. Über die Unsicherheit und Ratlosigkeit eines gepeinigten, überforderten Volkes. Und sie schweigen über die unsägliche Angst: Die Angst vor Brand, Mord, Vergewaltigung, Hungersnot und Aussatz. Aber vor allem über die Angst vor der Unerklärlichkeit der Dinge und … vor der Strafe Gottes! In einer haltlosen Welt, einer steigenden Flut aus Not und Elend, inmitten einer finsteren Zeit entflammt ein Licht. Ein Licht in der Gestalt einer Frau, die gekommen war, um durch ihren Traum die Ketten ihrer Zeit zu sprengen“.

Künstlerische Darstellung der heiligen Elisabeth. Kirchenfenster in Dourados, Brasilien.

Mit diesen Worten beginnt das Musical „Elisabeth. Die Legende einer Heiligen“, das 2007 in Eisenach anlässlich ihres 800. Geburtstags aufgeführt wurde. In dramatischen Worten wird der geschichtliche Hintergrund nachgezeichnet, in den Elisabeth hineingeboren nachhaltige persönliche Akzente der Nächstenliebe und Aufmerksamkeit setzte.

1207 geboren, 1231 gestorben – was für ein kurzes Leben hatte sie, und doch war es von so beeindruckender Strahlkraft und göttlicher Fülle! In diesen gerade einmal 24 Jahren hat sich das verdichtet, wozu sonst oft nicht einmal ein ganzes Menschenleben ausreicht. Ihr Name ist Programm geworden: Elischeba ( אֱלִישֶׁבַע ) lässt sich aus dem Hebräischen übersetzen mit „mein Gott ist die Fülle“.

Jesus lieben bedeutete für Elisabeth ihm nachzufolgen, indem sie sein Leben, wie in der Bibel beschrieben, zum Vorbild nahm. „Was ihr einer meiner geringsten Schwestern oder einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40), war der Satz Jesu, der sich ihrem Herzen eingeprägt hatte. Und Elisabeth hatte verstanden, dass diese Nächsten nicht in ihrer behüteten Umgebung, sondern in den Armenvierteln ihrer Stadt zu finden waren.

Das Lebens- und Glaubenszeugnis ihres Zeitgenossen Franz von Assisi hatte sie tief beeindruckt. Sie hatte wie er begriffen, dass man nur ohne Besitz wirklich frei für Gott sein kann. Das war ihr Weg, wie sie als überzeugte Christin mit den großen Ungerechtigkeiten und der entsetzlichen Armut ihrer Zeit umzugehen versuchte.

Schon als Kind war sie bereit, mitten im Spiel aufzuhören, um Gott die Ehre zu erweisen. „Einmal soll mir genügen, die anderen Runden will ich Gott zuliebe unterlassen“, erklärte sie den mitspielenden Kindern ihr ungewöhnliches Verhalten. Anders als im höfischen Zeremoniell vorgesehen, nahm sie beim Betreten der Kirche ihre Krone ab, legte sie neben sich auf die Bank und setzte sie erst wieder auf, als der Gottesdienst vorbei war. „Ferne sei mir, im Angesicht meines Gottes und Königs Jesus Christus, den ich mit Dornen gekrönt erblicke, selbst ein geringes und aus Erde gebildetes Geschöpf, mit eitler Überheblichkeit gekrönt zu erscheinen“, begründete sie ihre eigenmächtige Entscheidung.

Ihren Mägden gegenüber zeigte sie sich immer geschwisterlich verbunden und wollte von ihnen nicht wie üblich als Herrin betitelt werden. Gegen die höfische Etikette verlangte sie von ihnen mit ihrem Vornamen angesprochen und geduzt zu werden, denn sie wollte ihnen stets wertschätzend auf Augenhöhe begegnen. Sie scheute sich auch nicht, mit ihnen aus einer Schüssel zu essen. Von den Erträgen und Steuern, die man von den Bauern erzwungen hatte, wollte sie nicht leben. Daher aß sie an der fürstlichen Tafel nur von den Speisen, von denen sie sicher wusste, dass sie rechtmäßig erworben waren.

Ihren Ehemann Landgraf Ludwig liebte sie über alles. In ihm hatte sie einen mächtigen Fürsprecher und verständnisvollen Schutzherrn am Hofe, wo ihr Verhalten von vielen nicht verstanden und geduldet, sondern abgelehnt und gehasst wurde. Schlimm war es für Elisabeth, als ihr die Todesnachricht ihres Mannes Ludwig überbracht wurde, der unterwegs beim Kreuzzug schwer erkrankte und verstarb. Da soll sie verzweifelt geschrien haben: „Tot ist er, dann ist mir die Welt tot und alles, was an ihr süß ist.“

 

Schilfgras – Bild von 춘성 강 auf Pixabay

Bitter war dieser Verlust. In ihrer Verzweiflung sagte sie: „Das Leben ist wie ein Schilfrohr. Der Fluss drückt es nieder, doch nachher richtet es sich wieder auf und wächst wie zuvor.“ – Genau das hat sie uns vorgelebt. Schon als kleines Kind von Ungarn nach Thüringen gebracht, wusste sie, was entwurzeltes Leben in der Fremde bedeutet. Wie ein geknicktes Pflänzchen musste sie erst ein neues Heimatgefühl entwickeln. Auch von den Widerständen am Hofe ließ sie sich nicht verbiegen, sondern blieb ihren inneren Überzeugungen treu.

Nach dem Tod ihres Mannes vom fürstlichen Hofe verbannt, lebte sie ganz für die Armen und Ausgestoßenen, indem sie in Marburg ein Hospital bauen ließ und sich besonders um die Kranken kümmerte, die niemand pflegen wollte. Als sie einmal einen Kranken versorgen sollte, der ekelerregende Wunden trug, soll sie gejubelt haben: „Wie schön, dass ich Christus baden darf!“

Nichts mehr zu besitzen, nicht mehr gebunden zu sein als allein an Jesus Christus, das wurde ihr zum tatsächlichen Reichtum und zur unbedingten Freiheit. Weil Gott die Fülle ihres Lebens war, konnte sie freiwillig auf vieles verzichten. Sie suchte und fand ihr Glück im charmanten Dienst an den Bedürftigen, in der Praxis gelebter Nächstenliebe und in einem kompromisslosen Vertrauen auf Gott, der ihr im Antlitz des Leids ihrer Zeit begegnete. „Ich habe es euch immer gesagt, wir müssen die Menschen fröhlich machen“ war die Devise ihres Lebens.

Das Musical über Elisabeth endet: „Es gleitet ein Traum durch die Zeit, ein Traum, der die Menschheit bewegt. Es ist der Traum von Liebe, den sie träumt und immer weiterträgt“.

Unsere Welt im Wandel ist von den Gegebenheiten und Herausforderungen her der Epoche der hl. Elisabeth in vielem gar nicht so unähnlich, denken wir nur an die Machtkämpfe, Kriege, ansteckenden Krankheiten und den damit verbundenen Ängsten und Nöten. Elisabeth hat es geschafft, durch ihren Traum vom Leben die Ketten ihrer Zeit zu sprengen. Von Elisabeth dürfen wir lernen, die Herausforderungen unseres Lebens mutig und entschlossen anzunehmen und anzupacken, unser Leben noch entschiedener in den Dienst der Nächstenliebe zu stellen und dafür zu sorgen, dass Elisabeths Traum von Liebe auch uns verzaubert und in unserer Umgebung eine echte Chance bekommt.


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