Manche Worte nutzen sich ab wie alte Münzen, die durch häufigen Gebrauch unkenntlich geworden sind, sodass man nicht mehr weiß, welchen Wert sie haben, und sie darum achtlos entsorgt. Und andere Worte verstummen eine Zeit lang, ruhen wie Zecken im ›Winterschlaf‹, aber ganz plötzlich melden sie sich wieder und beißen zu. Kürzlich bin ich von einem solchen Wort gebissen worden!
Beim ›Jüngsten Gericht‹, daran hat der Papst im letzten September bei einer Begegnung mit behinderten Kindern in Osttimor erinnert, wird Jesus einige Menschen einladen und sagen: Kommt her! Aber, so fuhr der Papst fort, »er sagt nicht: Kommt zu mir, weil ihr getauft wurdet, weil ihr gefirmt wurdet, weil ihr kirchlich geheiratet habt, weil ihr nicht gelogen habt, weil ihr nicht gestohlen habt. Nein. Kommt zu mir, weil ihr euch um mich gekümmert habt. Ich nenne dies das Sakrament der Armen.«
Zack! Da hat ein alter Begriff wieder zugebissen. Sakrament der Armen! Diese Idee findet sich schon bei dem Kirchenvater Johannes Chrysostomus. Der Theologe Yves Congar hat vom Sakrament des Nächsten gesprochen und Hans Urs von Balthasar vom Sakrament des Bruders und der Schwester. Für den Befreiungstheologen Leonardo Boff sind die Armen der geschundene Leib Christi. Schöne theologische Formulierungen. Gut geeignet für eine geistreiche Predigt oder einen kurzen Artikel hier in dieser Zeitschrift. Aber was, wenn ich das wirklich ernst nehme!?
Welche Mühe und Sorgfalt verwenden wir auf den würdigen Umgang mit dem Sakrament der Eucharistie! Und mit Recht. Kinder werden lange darauf vorbereitet. Goldene Kelche, Monstranzen und Tabernakel spiegeln die dankbare Ehrfurcht vor dieser kostbaren Gegenwart Christi. Kirchliche Gesetze sichern die Heiligkeit der Feier. Und die Armen? Die fallen oft gar nicht auf. Und falls doch, dann kann ich sie übersehen, links liegen lassen oder von mir fernhalten – mit guten Argumenten und nötigenfalls auch mit hohen Mauern und Zäunen. Wenn das stimmt, was der Papst sagt, habe ich mich damit selbst automatisch exkommuniziert!
Sakrament der Armen. Die Feier der Eucharistie ist schön, ästhetisch, erhebend, tröstlich. Der Arme ist das oft nicht. Vielleicht stört er, geht auf die Nerven, ist lästig, hartnäckig und keineswegs immer nett und dankbar – so wie andere Menschen auch. Und in ihm soll ich Christus begegnen? Die Feier der anderen Sakramente, so scheint es, wird von uns organisiert und durchgeführt. In der Begegnung mit einem Armen spüre ich mit einer gewissen Beunruhigung, was für jedes Sakrament gilt: Da machen nicht wir etwas. Da macht Gott etwas mit uns. Da habe ich nicht mehr alles selbst im Griff. Und das gefällt mir nicht. Die anderen Sakramente werden in der Kirche gefeiert, wo wir so schön unter uns sind – fromme geschlossene Gesellschaft. Das Sakrament der Armen ereignet sich überall, auch an scheinbar gottlosen Orten, die eine Fronleichnamsprozession nie auch nur streifen würde.
Kennt ihr die Armen eurer Stadt? Mutter Teresa hat das einmal Jugendliche gefragt. Kenne ich die Armen ganz in meiner Nähe, in meiner eigenen Familie vielleicht, in meiner Gemeinschaft? Da kann dieses Sakrament dann fast unangenehm werden. Aber wenn es das wirklich gäbe, das Sakrament der Armen, nur einmal angenommen – wie viel von Christus wäre dann in dieser Welt?!