Am Pfingstfest beeindruckt mich jedes Jahr neu das Ende der Sprachverwirrung. Petrus tritt vor eine bunte Menschenmenge, die sich aus verschiedenen Nationen und Sprachen zusammensetzt, und er wird verstanden. Und das in der jeweils eigenen Sprache. Es ist also nicht die plötzliche Sprachbegabung des Petrus, die das Pfingstwunder ausmacht, sondern eine Sprache, die jeder Mensch verstehen kann. Für mich sind das: Musik und Liebe.
Ich denke noch gerne an meine Brasilienreise im vergangenen Jahr zurück. In der Regel war ich auf die Unterstützung durch Übersetzer angewiesen. Doch gab es die eine oder andere Gelegenheit, wo Musik die Brücke zu den Menschen wurde. Während dieser Brasilienreise wurden wir immer wieder zu Juni-Festen eingeladen. Konkret denke ich an ein Fest in Vitorino Freire. Da wurde ich nach der offiziellen Begrüßung von den Jugendlichen zum Tanzen aufgefordert, in ihre Reihen aufgenommen, war die Sprachgrenze aufgehoben. Die Musik sorgte dafür, dass wir uns verstanden.
Wie Musik die Verständigung über Grenzen hinweg ermöglicht, zeigt das West-Eastern Divan Orchester. Seit 25 Jahren machen junge Israelis und Araber gemeinsam Musik und setzen damit einen Gegenpol zu dem Jahrzehnte dauernden Konflikt im Nahen Osten. Gemeinsam werden Orchesterwerke erarbeitet und aufgeführt. Bewusst wird Verständigung über die Grenzen der Konfliktparteien hinweg geübt. Die Musik ist dabei die Sprache, die verbindet und Menschen zusammenführt.
Damit musikalische Verständigung gelingen kann, braucht es Gespür für den anderen. Es ist nötig, sich aufeinander einzulassen, einen gemeinsamen Rhythmus, ein gemeinsames Tempo zu finden. Ich kenne zwar Musikstücke, die ohne gemeinsamen Takt auskommen, doch dann gibt es zumindest einen gemeinsamen Beginn und der Komponist hat einen ungefähren Rhythmus vorgegeben. Doch auch hier gilt es für die Interpreten, sehr gut zu hören, wie der andere unterwegs ist. Nur dann wird aus dem Musizieren ein gemeinsames Werk.
Gemeinsames Musizieren braucht Taktgefühl. Takt hat in unserer Sprache auch eine Bedeutung für das Miteinander der Menschen jenseits von Musik. Diesen Takt vermisse ich in mancher gesellschaftlichen Debatte. Wenn in vielen Bereichen von Kampf die Rede ist und verbale Übergriffe scheinbar normal geworden sind, darf es nicht verwundern, dass verbale Gewalt zur Gewalt der Fäuste wird. Taktgefühl nimmt den anderen ernst und respektiert ihn. Deshalb muss bei aller Gegnerschaft der Respekt vor der Würde des Menschen die Debatten bestimmen.
Mit dem Pfingstfest feiern wir den großen Taktgeber der Menschen und der Schöpfung, den Heiligen Geist Gottes. Als Liebe überschreitet er alle menschlichen Sprachbarrieren. Dabei geht es nicht um Gleichmacherei. Verschiedenheit und Auseinandersetzung dürfen bleiben. Jesus geht seinen Gegnern nicht aus dem Weg. Er begegnet ihnen geistvoll, nicht nur aufgrund von Pfiffigkeit, sondern auch aufgrund von Respekt. Gottes Geist lehrt Liebe als Respekt, als Hören auf die Bedürfnisse des Andern wie auch der eigenen und ist damit ein guter Taktgeber für das menschliche Miteinander.
Ein großes musikalisches Ereignis jährte sich am 7. Mai zum 200. Mal, die Uraufführung von Beethovens 9. Sinfonie. Im Schlusschor wird die Einheit der Menschheit beschworen, eine große Vision für uns Menschen, die gerade in heutiger Zeit auf viele Weise angefragt wird. Pfingsten zeigt, dass die Verschiedenheit der Menschen der Verständigung nicht im Weg stehen muss, wenn der Geist die Menschen leitet. Wie die Musik und auch die Liebe machen sich geistvolle Menschen immer auf die Suche nach dem, was Menschen zusammenführt und verbindet. Im hörenden Miteinander wird dann Großes geschaffen.