Samuele Abiyu Zacara ofm (Bolivien) / Übersetzung aus dem Spanischen: Pia Wohlgemuth

Der Klang des Gebetes

Musik bringt die Seele näher zu Gott

Bruder Samuele spielt auf seinem Lieblingsinstrument, der Violine. Bild von Provincia Misionera San Antonio de Bolivia.

Eine alte Sage meines Volkes der Guarayo aus dem Tiefland Boliviens berichtet, dass die Seele eines Menschen nach dem Tod, auf ihrem Weg ins Jenseits, verschiedene Hindernisse zu überwinden hat. So muss sie beispielsweise einen reißenden Fluss überqueren, der von einem schwarzen Krokodil bewacht wird. Der riesige Kaiman bietet sich der Seele als Träger an. Damit die Überfahrt auf dem Rücken dieses gefährlichen Reptils aber gelingt, muss die Seele des Guarayo dabei eine Melodie spielen. Nur der Takt des Musikstückes vermag den schnaubenden Kaiman zu besänftigen und ihn davon abzuhalten, mitten im Fluss die Seele aufzufressen. Wehe dem Armen, der zu Lebzeiten nie ein Musikinstrument zu spielen gelernt hat!

Diese Legende unserer Ahnen erzählte mir mein Großvater am Lagerfeuer, als ich fünf Jahre alt war, und er schenkte mir dabei meine erste Querflöte aus Tacuara-Bambus, auf der ich sofort begierig anfing zu üben. Mein Großvater war ein hervorragender Musiker.  Die Liebe zur Musik bekam ich sprichwörtlich in die Wiege gelegt. Meine Mutter erzählte mir folgende Geschichte meiner Geburt: „Ich war so glücklich über die gut verlaufene Entbindung, so glücklich, dich, meinen Sohn, in den Armen zu halten, dass ich dir ein Lied vorgesungen habe.“

Sofort hast du der Melodie ganz aufmerksam zugehört und vergessen zu weinen. “Vom Tag meiner Geburt an begleitet mich also die Musik als Pfeiler meiner selbst.
Die zwei weiteren Säulen in meinem Leben sind der christliche Glaube und die Franziskaner. Denn das Gebiet in Bolivien, in dem meine Familie seit Jahrhunderten lebt, trägt auch den Beinamen „Misiones Franciscanas“. Die Franziskaner kamen schon vor fast 200 Jahren aus der „alten Welt“ zu uns und brachten das Evangelium mit. Die alten Missionare hatten auch Lieder im Gepäck und komponierten neue Stücke, um die Feierlichkeiten ihres Glaubens zu begleiten. Damit haben sie die seit jeher musikalischen Menschen hier schnell gewinnen können.

„Musik war und ist auch weiterhin der große Verbündete der franziskanischen Missionare“, hat mir der alte Pablo verraten, während er mir einige der originalen, alten, gelblichen Partituren zeigte, die noch aus der Gründungszeit der Mission stammen. Pablo Candagüira Biracoti ist der Leiter der Kirchenmusik in meiner Heimatgemeinde. Das von ihm geleitete Orchester und der Chor bestehen aus Violinisten, Flötisten, Schlagzeugern und Sängern. Wenn sie am Sonntagmorgen in der Heiligen Messe spielen und singen, bereichern sie mit ihren Melodien das Herz. Es ist, als ob die Zeit stillsteht.

Musikalische Entwicklung

Samuele will mit seiner Musik den Menschen die Schönheit des Glaubens vermitteln. Bild von Provincia Misionera San Antonio de Bolivia.

Mit 13 Jahren habe ich begonnen, in einem kleinen Orchester daheim in Ascensión de Guarayos Geige zu spielen. Mein Vater hatte sie selbst in seiner Schreinerwerkstatt gebaut. Als ich später die Oberstufe der Schule beendete, träumte ich davon, Musik zu studieren. Wie jeder junge Bolivianer wurde ich nach der Schule jedoch zunächst zum Militärdienst einberufen. Ich hatte den Dienst an der Waffe aber verweigert, um stattdessen Zivildienst abzuleisten. Ich arbeitete im Projekt O.S.C.A.R., dem franziskanischen Straßenbauprojekt in ländlichen Gebieten. Dabei wurde ich neugierig auf die franziskanische Art zu leben und trat später dem Orden bei.

Während der Ordensausbildung in Noviziat und Studium hat mich die Musik weiterhin begleitet. Ich fand immer irgendwo Zeit zu üben und zu musizieren. Und so brachte ich mir selbst mit der Zeit weitere Instrumente zu spielen bei: Saxophon, Charango, Mandoline, Bratsche, Violincello, Gitarre, Perkussionsinstrumente, Panflöte, Andenflöte und Keyboard. Meine Begeisterung für Musik kannte keine Grenzen, ich probierte alles aus – und Gelegenheit im Kloster zu musizieren fand und findet sich immer.

Modern und klassisch

Denn nicht nur zu Festtagen unterstützen wir die kirchliche Liturgie mit Musik. An allen Tagen singen wir die alten klassischen Lieder in unserer eigenen Sprache, dem Guaraní. Oft spielen wir aber auch neue Kompositionen im Spanischen, denn die Menschen mögen heute gerne rhythmische Lieder, um den Herrn zu loben – das ist modern.

Besonders gerne nutzen wir ein kleines Liederbuch mit dem Titel „Singt dem Herrn“. Es wurde von dem bayerischen Franziskanermissionar Miguel Brems erstellt, der viele Jahre in Concepción arbeitete. Die Musikstücke führen durch das ganze liturgische Jahr. Alle Lieder haben Noten für Gitarre und für die Klaviatur. Deshalb ist es in vielen bolivianischen Pfarreien sehr beliebt.

Heute, nachdem ich meine Ewige Profess abgelegt habe und zum Diakon geweiht bin, lebe ich in der Franziskanerprovinz San Pablo Apostol in Kolumbien und unterrichte Kinder an einer kleinen Musikschule. Ich habe immer noch den Traum, selbst einmal richtig Musik zu studieren, und hoffe, dass er sich eines Tages erfüllen wird.

Vor allem von Streichorchestern bin ich begeistert. Zusammen mit der Kunstmalerei in der Kirche entsteht in ihrem Klang die beste audiovisuelle Katechese. Die Musik in der Liturgie hilft uns, eine tiefe spirituelle Gotteserfahrung zu erleben, die nicht mit dem Religionsunterricht oder einem Theologiestudium vermittelt werden kann. Sie bringt etwas in unserer spirituellen Identität zum Klingen.

Wie in der alten Sage von der Seele und dem schwarzen Kaiman erzählt wird, kommen wir durch die Musik weiter auf unserem Weg zu Gott. Davon bin ich fest überzeugt.

Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskaner Mission / 4; 2017


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