Als Kind hat Manfred gerne Dinge kaputt gemacht. Egal ob Nussknacker, Uhr oder Radio, nichts war vor dem Jungen sicher. Das ging so weit, dass Freundinnen seiner Mutter sie gebeten haben, bei Besuchen den Sohn lieber zu Hause zu lassen. Doch Manfred war nicht etwa bösartig, wenn er mal wieder etwas zerlegte, er war schlicht neugierig, wie die Dinge konstruiert waren und im Inneren funktionierten.
Manfred kam 1936 als Ältester von drei Kindern der Familie Friedrich zur Welt. Sein Vater war Straßenbahnfahrer, seine Mutter arbeitete als Haushälterin. In den Nachkriegsjahren musste Manfred früh beginnen, Geld zu verdienen, um der Familie zu helfen. Als 12-Jähriger arbeitete er als Zeitungsjunge für eine Verlagsdruckerei. Das schien ein einträgliches Gewerbe zu sein, denn die Angestellten konnten sich ein Moped oder sogar ein Auto leisten. So begann er 1950 eine Ausbildung zum Drucker.
Im Keller der Druckerei arbeitete ein Mann, der den jungen Manfred Friedrich sehr beeindruckte. Er kümmerte sich um die Abfälle, die die anderen Arbeiter durch ein Loch herunterwarfen. Trotz seiner schmutzigen und eintönigen Arbeit in der Müllentsorgung war er ein freundlicher Mensch, der gerne Späße machte.
Eines Tages kam dieser Kollege nicht zur Arbeit. Er hatte sich von einem Hausdach gestürzt! Der Selbstmord war ein Schock für Manfred. Warum hatte er den Kummer eines Menschen in seiner täglichen Umgebung nicht gespürt? Wie konnte sich hinter den Späßen und dem Lächeln so eine Seelennot ver-bergen? An diesem Abend ging Manfred außerhalb der Stadt spazieren. Er nahm den Nachthimmel wahr, sah die Sterne am Himmel, spürte den Wind auf seiner Haut und wusste, im Universum ist alles verbunden. Er muss verstehen lernen, wie alles zusammenhängt.
Am darauffolgenden Sonntag traf Manfred seinen Berufsschullehrer in der Kirche. Sie kamen ins Gespräch und der Lehrer schenkte ihm seine kleine Bibel, denn Manfred besaß selbst keine. Es war ein kostbares Geschenk, denn diese Bibel hatte den Lehrer als Soldat im Krieg stets begleitet. Manfred schlug die Bibel an einer zufälligen Stelle auf und die ersten Worte, die er las, handelten von Kummer und Leid. Er ahnte, dass dies eine Botschaft war, und er wusste, er benötigte definitiv eine höhere Schulbildung!
So besuchte er nach Abschluss seiner Druckerausbildung zuerst ein Jahr lang eine Privatschule und anschließend das Gymnasium, das er in nur viereinhalb Jahren absolvierte. 22 Jahre alt, das Abitur in der Tasche, verkündete Manfred seiner Familie, er wolle Philosophie und Theologie studieren. Vier Wochen herrschte eisiges Schweigen bei Familie Friedrich, denn seine Eltern waren überhaupt nicht davon begeistert, dass ihr Sohn dem Franziskanerorden beitreten wollte, um das theologische Seminar zu besuchen. Schließlich erkannten sie aber seinen ehrlichen Wunsch und gaben ihren Segen.
Manfred Friedrich trat in den Franziskanerorden ein, studierte und wurde 1964 zum Priester geweiht. Zunächst unterrichtete er einige Jahre Mathematik und Ethik am Ordensinternat, bevor er von seiner Ordensprovinz als Missionar nach Japan ausgesandt wurde.
Seit mehr als 50 Jahren lebt Pater Manfred nun in Japan und wirkt dort als Pfarrer, Lehrer, Dolmetscher, Seelsorger, Kindergartenleiter, Pfadfinder-Coach, Reiseleiter, Schriftsetzer und Friedensstifter – und hat ganz nebenbei die erste Universität von Bangladesch mitgegründet. Ein Buch könnte man über ihn schreiben … – Auf Japanisch ist auch eines bereits erschienen.
Manfred Friedrich wird in diesem Jahr 82 Jahre alt. Er hat sein ganzes Leben lang nie aufgehört, die Umstände und die Menschen zu hinterfragen, versucht sie zu verstehen und die Dinge zu durchschauen.
Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskaner / Frühjahr 2018