Gisela Fleckenstein OFS

Die Franziskanische Familie

Der Dritte Orden des heiligen Franziskus für Weltleute

Im weit verzweigten Lebensbaum der Fanziskanischen Familie bildet der Dritte Orden des heiligen Franziskus für Weltleute einen weiteren Ast.

Die franziskanische Familie wird häufig als Baum mit zahlreichen Ästen und unzähligen Trieben beschrieben. Selbst Eingeweihte überblicken den Baum in seiner Gesamtheit nicht immer. Mit diesem Beitrag über den „Dritten Orden für Weltleute“ setzen wir unsere Reihe zur Geschichte der franziskanischen Familie fort.


Der Ordo Franciscanus Saecularis (OFS), wie der eigenständige weltliche Zweig des Dritten Ordens in der franziskanischen Familie seit 1978 heißt, besteht aus Christen, die in der Welt nach einer Ordensregel leben. Dazu gehören Frauen und Männer, Ledige und Verheiratete, Laien und Weltpriester. In Deutschland hieß der OFS zwischen 1969 und 2012 Franziskanische Gemeinschaft. Laien und Weltpriester haben sich seit den Anfängen der franziskanischen Bewegung im 13. Jahrhundert von der Lebensweise des Franziskus von Assisi begeistern lassen. Als erste Weisung für Männer und Frauen, die in der Welt leben, aber trotzdem Buße tun wollten, gilt der „Zweite Brief an die Gläubigen“, den Franziskus zwischen 1222 und 1226 verfasste. Er ermahnt darin zu einer christlichen Lebensführung und stellt die Gottes- und Nächstenliebe in den Mittelpunkt. Die erste Regel des Ordens für die „Schwestern und Brüder von der Buße“ von Papst Nikolaus IV. wurde 1289 das sogenannte „Memoriale propositi“ von 1221, eine recht allgemein gehaltene Lebensform. In dieser Regel wurde dem Franziskanerorden die geistliche Sorge für den Dritten Orden – diese Bezeichnung wurde ab dem 14. Jahrhundert üblich – übertragen. Sehr genaue Vorschriften über die Aufnahme, das Leben und die zu verrichtenden Gebete ermöglichten ein evangelisches Leben ohne ein Kloster und ohne Ordensgewand.

Das Tau-Zeichen, von Franziskus sehr geschätzt, verbindet alle franziskanischen Gemeinschaften weltweit.
Bild von Archiv Deutsche Franziskanerprovinz.

Erst Papst Leo XIII., selbst Mitglied des Dritten Ordens, passte die Ordensregel 1883 an die Zeitbedürfnisse an, indem er den Orden popularisierte. In die nachkonziliare Zeit wurde der OFS durch Papst Paul VI. katapultiert, der ihm 1978 die bis heute gültige Regel gab. Die Regel von 1883 stellte besonders das Gebet ins Zentrum, die Reform von 1978 betonte das Leben nach dem Evangelium im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils aus einer franziskanischen Spiritualität heraus. Gemeinsamer Nenner wurde das Leben nach dem Evangelium mitten in der Welt und die Aktivierung des Laienapostolats nach den Anregungen des Konzils auf der Grundlage des franziskanischen Charismas. Dieses Ziel war mit einer einfachen Überarbeitung der Regel von 1883 – die aus dem Dritten Orden einen Gebetsverein zur Gewinnung von Ablässen gemacht hatte – nicht zu leisten. Im durch das Konzil erneuerten Selbstverständnis der Kirche wurde die Mündigkeit der Laien im Mitvollzug des kirchlichen Lebens hervorgehoben. Wesentliches Merkmal der neuen Regel war eine Rückbesinnung auf Franziskus. Der Regel im Prolog vorangestellt wurde deshalb der „Brief an die Gläubigen“. Im Regeltext wird ständig auf Leben und Beispiel des Franziskus sowie auf die Evangelien hingewiesen. Ebenso finden sich Bezüge zu Konzilsdekreten. Die neue Regel ist knapp gefasst und in drei Kapitel eingeteilt: 1. Der Ordo Franciscanus Saecularis, 2. Die Lebensweise, 3. Das Leben in Gemeinschaft. Zu Beginn wird festgehalten, was die franziskanische Familie ist und wer Mitglied im OFS sein kann: „Unter den geistlichen Gemeinschaften, die vom Heiligen Geist in der Kirche erweckt worden sind, vereint die franziskanische Familie alle jene Glieder des Volkes Gottes, Laien, Ordensleute und Priester, die sich zur Nachfolge in den Fußspuren des hl. Franziskus von Assisi berufen wissen. Im 2. Kapitel wird die Lebensweise beschrieben und auf verpflichtende Elemente hingewiesen: Leben nach dem Evangelium nach dem Beispiel des heiligen Franziskus; regelmäßiges Lesen in der Heiligen Schrift; Teilnahme an der Eucharistiefeier; Ablegung eines Versprechens, nach dem Evangelium zu leben; Pflege der Gemeinschaft mit dem Papst, den Bischöfen und den Priestern; tägliche innere Umkehr (Metanoia); regelmäßiger Empfang des Sakramentes der Wiederversöhnung; Teilnahme am Stundengebet der Kirche; besondere Verehrung der Gottesmutter Maria; Bekenntnis zu Christus in allen Lebensumständen; eine richtige Beziehung zu irdischen Gütern; Nächstenliebe und Geschwisterlichkeit sowie der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Beginnend in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und ausformuliert in der Regel von 1978 wurde im OFS ganz deutlich die Hinwendung zu einer Übernahme der Verantwortung durch Laien. Damit leuchtet in dieser Regel der Geist des Konzils auf. Der OFS war dadurch keinesfalls von der franziskanischen Familie bzw. von den Ersten Orden isoliert, aber das gegenseitige Verständnis musste sich wandeln. Die Franziskaner waren jetzt nicht mehr Drittordensdirektoren mit weitgehenden Machtbefugnissen, sondern Geistliche Assistenten, die der OFS vom Orden erbeten hatte. Die Generalministerin bzw. der Generalminister des OFS wurde Mitglied der Konferenz der franziskanischen Familie, in der alle sechs Generalministerinnen und Generalminister vertreten sind.

Der OFS ist weltweit verbreitet und gliedert sich auf verschiedenen Ebenen in eine lokale, regionale, nationale und internationale Gemeinschaft. Auf jeder Ebene wird ein Leitungsteam zeitlich befristet gewählt. Innerhalb der Kirche ist der OFS der einzige Dritte Orden, der über ein eigenes Partikularrecht verfügt, also über Regel, Konstitutionen und Statuten sowie über eine eigene Leitungsstruktur, und der daher der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens unterstellt ist. Der OFS ist also ein Orden, doch die Mitglieder leben nicht in klösterlicher Gemeinschaft, tragen kein Ordensgewand, haben keinen Ordensnamen und legen keine Gelübde ab.

Die Mitglieder des OFS müssen ihr geistliches Leben in der Welt eigenverantwortlich gestalten. Evangelium leben im Alltag ist eine persönliche Aufgabe, die nicht – wie die Gebetsleistungen der Regel von 1883 – durch Zählleistungen überprüfbar ist. Die paulinische Regel des OFS ist ganz im Geiste des Konzils gestaltet, welches dem Laien eine große Verantwortung und Selbstbestimmung zumutet. Die Mitglieder des OFS nehmen sich im Alltag Zeit für Gebet und Schriftlesung und suchen ihren Glauben in Wort und Tat zu bezeugen. Mindestens einmal monatlich treffen sie sich zur Stärkung des Miteinanders durch Gebet, Gespräch und Geselligkeit. Darüber hinaus engagieren sich die Mitglieder als Einzelne oder als Gruppe auf verschiedene Weise im sozial-caritativen Bereich, in ihren Pfarrgemeinden, in Bewegungen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung und in der Missionsarbeit. Die neue Regel feiert 2018 ihr 40-jähriges Jubiläum. Ein Grund, sich über die Zukunft des OFS Gedanken zu machen, wie es das Generalkapitel in Rom bereits im November 2017 zum Thema „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,18) getan hat.

Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskaner Frühjahr / 2018


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