10.10.2024 Bruder Johannes-Baptist Freyer

Die frühfranziskanische Friedensbewegung

800 Jahre franziskanische Geschichte: "Der Herr gebe euch Frieden"

In seinem Testament vermerkt Franziskus: »Der Herr hat mir offenbart, dass wir diesen Gruß sagen sollen: Der Herr gebe euch Frieden.« Wie der Franziskanologe David Flood herausarbeitete, bestätigen alle wichtigen bibliografischen Quellen über das Leben von Franziskus, dass dies Grußwort für die Lebensform und die Verkündigung der wachsenden Bruderschaft zentral war. Thomas von Celano nennt die erste franziskanische Bruderschaft gar »Pacis legationem«, Friedensgesandtschaft.

Johannes Baptist Freyer lehrte als Professor für Theologiegeschichte und Franziskanische Theologie an der Päpstlichen Universität Antonianum in Rom. Von 2005 bis 2011 war er Rektor dieser Universität. Heute ist er Referent für franziskanische Grundsatzfragen an der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn, „Franziskaner Helfen“.

Franziskus‘ Wunsch war es, die Verkündigung des Friedens und der Buße in der ganzen Welt zu verbreiten. Dabei verbindet sich eine Haltung des Friedens mit der Dankbarkeit für die Gaben des Lebens und dem Lobgesang Gottes. Frieden und Mindersein werden als charakteristische Elemente der geschwisterlichen Lebensform genannt. Ein näherer Blick in die Lebensgeschichte des Franziskus zeigt, dass der Friedenswunsch einen konkreten Sitz in seinen existenziellen Erfahrungen hat.

Kriegserfahrungen

In Assisi, seiner Heimatstadt, verlief die Herausbildung einer bürgerlichen Klasse nicht ohne Streitigkeiten und Kriege. Anfang 1198 stürmten die Bürger von Assisi die von den Ghibellinen (kaisertreue Adelsfraktion) verteidigte Rocca (Burg oberhalb von Assisi). Von 1199 bis 1200 brach innerhalb der Stadtmauern ein offener Bürgerkrieg zwischen Adligen und Bürgerlichen aus, der weiter schwelte und 1202 zum Krieg zwischen Assisi und Perugia, wohin der Adel sich geflüchtet hatte, führte. Assisi verlor die entscheidende Schlacht von Ponte San Giovanni, und Franziskus endet mit anderen Kriegsteilnehmern im Gefängnis von Perugia. Erst am 6. November 1203 kommt es zu einem Friedensschluss. Die »Charta Pacis« (Friedensvereinbarung) bestimmt den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Burgen, eine gewisse Abhängigkeit des Bürgertums von den Adligen und die Wiederherstellung der Privilegien von etwa 20 Feudalfamilien, darunter auch die Familie von Klara von Assisi.

Im August 1205 flammen die starken Spannungen zwischen dem Bürgertum und dem Adel in der Frage des Wiederaufbaus der Burgen wieder auf. Der Podestà (Stadtherr) von Perugia versucht zu vermitteln, um den »bonam pacem«, den guten Frieden, von 1203 zu retten. Es scheint, dass diese Vermittlung an der starken Opposition des Bürgertums scheiterte. Die Spannungen zwischen Adel und dem erstarkenden Bürgertum, zu dem die Familie des Franziskus gehört, halten an, bis am 2. September 1209 ein neuer Vermittlungsversuch unternommen wird, um den »bonam et puram et sinceram pacem«, »den guten, wahren und ernsthaften Frieden«, zu retten. Auch dieser Pakt stärkte eher die Interessen der Feudalherren. Als 1210 erneut die Spannungen zwischen Reich und Papsttum, die auch das Spoletotal betrafen, zunahmen, gelang es dem Bürgertum in Assisi, zu erstarken und eine neue Friedensordnung »pro bono pacis et concordia«, »zum Wohl des Friedens und der Eintracht« durchzusetzen. Mit dieser »Magna Charta« errang das Bürgertum die Selbstverwaltung, und die Feudalherrschaft der adligen Familien in Assisi endete. Alle, Bürger (Minores) und Adlige (Majores), unterstanden gleichberechtigt der Gemeinde. Allerdings wurden die besitzlosen Armen und vor allem die Aussätzigen von dieser gleichberechtigten Bürgerschaft ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund entfaltete sich der Berufungsweg des Franziskus. Auch auf seinem weiteren Lebensweg blieben Krieg und Frieden für Franziskus kein theoretischer Diskurs. Er erlebte am eigenen Leib, was sie wirklich bedeuteten: so etwa bei der Einberufung des Kreuzzugs durch Papst Innozenz III. auf dem Laterankonzil am 11. November 1215. Franziskus dagegen ging unbewaffnet zum Sultan.

Aufgrund dieser Erfahrungen formuliert Franziskus, seine Brüder im 17. Kapitel der Regel von 1221 ermahnend, seine Vorstellung vom »wahren Frieden des Geistes«, der nach Demut, Geduld und reiner Einfalt strebt. Wobei Demut, Humilitas, die Nähe zum Humus, zur Erde meint und die Demut, Patientia, die Nähe zum Leidenden einschließt und die reine Einfalt jene meint, die zwar keine Schläue und Reichtümer, aber eine Herzensbildung besitzen. Der wahre Friede des Geistes, gemeint ist Gottes Geist, schließt keinen aus und benachteiligt niemanden, auch nicht die ungebildeten Armen und die leidenden Leprösen. Es kann keinen Frieden auf Kosten der einen oder anderen Seite geben. Dauerhaften Frieden kann es nur durch einen ausgleichenden, gerechten Friedensschluss geben, der allen Betroffenen zugutekommt.

Als der Friede in Assisi durch einen Streit zwischen dem Podestà und dem Bischof wiederum gefährdet war, fügte der schon todkranke Franziskus seinem Sonnengesang eine Friedensstrophe hinzu: »Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen, um deiner Liebe willen …«, die die streitenden Gruppen zur Versöhnung bewegen sollte. Anerkennung der eigenen Verantwortlichkeit und eine gegenseitige Vergebung der jeweiligen Schuld gehören notwendig zu einem Friedensprozess.

Grundvoraussetzungen der Friedenshaltung

In der Eremitage der Carceri, einem Rückzugsort von Franziskus und den ersten Brüdern, befindet sich eine Tafel mit der Aufschrift: »Ubi Deus ibi Pax«, »wo Gott ist, dort ist Friede«. Dieser Satz verweist auf die tiefe Verbindung zwischen Kontemplation und einer Haltung des Friedens. Die Bedeutung der Kontemplation als grundlegendes Element im Leben der frühen Bruderschaft ist in den Quellen dokumentiert. Die Hinweise, welche den Inhalt der Kontemplation in den Schriften von Franziskus und seiner Brüder ausdrücken, stellen das barmherzige Handeln Gottes in den Mittelpunkt. Die Erfahrung, von Gott trotz Begrenztheit und Versagen angenommen zu sein, vermittelt in der Stille der Kontemplation jenen inneren Frieden, der ein friedfertiges Handeln im Alltag ermöglicht. Das Geschenk des inneren Friedens sollte sich in den von den Brüdern gelebten menschlichen Strukturen widerspiegeln. Daher sollen die Brüder »Wortgefechte vermeiden, nicht untereinander oder mit anderen streiten«. Vielmehr sollen sie »sanftmütig, friedfertig und bescheiden sein«. Auch die freiwillig gewählte Armut steht in einer Beziehung zum Frieden. Da, so Franziskus, viel Besitz Rechtsstreite und Zänkereien verursacht, und man Waffen braucht, um Besitztümer zu verteidigen, verzichten er und seine Brüder um des Friedens willen auf Eigentum und Vermögen. Kontemplation und Armut bilden die Grundlage für eine dem Frieden dienende, alternative Lebensform.

Der Wolf von Gubbio – Frieden stiften

Tanz mit dem Wolf von Pater Laurentius Englisch. Bronzeplastik vor dem Franziskanerkloster Vossenack.

Die alternative Lebensform ist es dann, die Franziskus und die Brüder geradezu zu Friedensstiftern profiliert. Dazu bietet uns die franziskanische Literatur, zum Beispiel die Fioretti und der Spiegel der Vollkommenheit, ein Lehrstück an: die Erzählung vom Wolf von Gubbio. Franziskus, der Lehrmeister, zeigt durch sein Verhalten in dieser Erzählung, wie die Buß- und Friedensbotschaft konkret verwirklicht wird. Die Erzählung von Franziskus und dem Wolf verweist auf konkretes Handeln, das schrittweise einen Friedensschluss ermöglicht:

  1. Franziskus geht den Konflikt zwischen den Bürgern von Gubbio und dem Wolf – historisch wahrscheinlich ein Ritterclan – aktiv an. Dabei exponiert er sich selbst und engagiert sich für das Leben der gefährdeten Bevölkerung.
  2. Er verweigert die Dämonisierung einer Seite und erkennt eine Geschwisterlichkeit an, die alle am Konflikt Beteiligten einbezieht.
  3. Angesichts der Aufrüstung der Konfliktpartner bleibt er selbst unbewaffnet.
  4. Deutlich stellt er Gott in den Mittelpunkt seines Handelns.
  5. Er handelt nicht alleine. Gemeinschaftlich mit seiner Bruderschaft bemüht er sich, mit Tapferkeit und Weisheit vorzugehen.
  6. Dazu legt er die wahren Ursachen von Gewalt und Ungerechtigkeit offen und nennt sie beim Namen. Der Wolf bedroht mit Gewalt das Leben der Bürger, diese aber haben die Gewalt mit provoziert, indem sie dem Wolf die notwendige Nahrung verweigerten.
  7. Franziskus ermahnt zur Umkehr und Versöhnung aller am Konflikt Beteiligten und fördert diese, indem er sich als Garant eines Friedensschlusses zur Verfügung stellt.
  8. Als Voraussetzung zum Abschluss eines Friedens ist er behilflich, die Gerechtigkeit als Grundlage des Friedens wiederherzustellen. Die Bürger versprechen dem Wolf, das Notwendige zur Ernährung zu gewährleisten, und der Wolf verzichtet auf weitere Gewaltakte.

Diese Lehrerzählung der franziskanischen Quellen will keine Anekdote aus dem Leben des Franziskus erzählen. Sie will am Beispiel des Franziskus Menschen bewegen, in Konfliktsituationen ähnlich zu handeln und für den Frieden zu wirken. Es geht dabei um eine alternative Gestaltung der Welt im Geiste des Evangeliums. Dem schon im Hier und Heute beginnenden Gottesreich, einem Reich des Friedens, soll in der Realität des Lebens Raum gegeben werden.

Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Franziskaner, Herbst 2024

 

Literaturempfehlungen (Englisch/Italienisch)

  • Flood David, Peace in Assisi in the early thirteenth Century, in Franciscan Digest 1 (1991) 1 – 20
  • Flood David, Peace in Assisi in the early thirteenth century, in Franciscan Studies 64 (1982) 67-80
  • Godet-Calogeras Jean-François, More than a Legend: The Wolf of Gubbio, in The Cord 52 (2002) 256-62
  • Longhitano T., La proposta di pace negli scritti di Francesco d’Assisi, in Claretianum XLIX (2009) 101-25

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