Bruder Damian Bieger

Die Internationalität der Minderbrüder

800 Jahre franziskanische Geschichte in Deutschland - Vergegenwärtigung Teil 5

Mexiko, Deutschland, Kongo: Franziskanerbrüder unterschiedlichster Herkunft bei einem gemeinsamen Sprachkurs 2018 in Gormanston. Archiv Deutsche Franziskanerprovinz.

Im Grundlagenwerk über die Idee der deutschen Identität „Die Deutschen und ihre Nation. Geschichte einer Idee.“ schreibt Andreas Fahrmeier: „Die Geschichte des deutschen (und jedes anderen) Nationalismus erscheint somit weniger als Entwicklung hin auf ein Ziel – unabhängig davon, ob es dabei um den ‚vollendeten‘ Nationalstaat oder die Überwindung des Nationalismus geht -, sondern als periodische Verdichtung und Auseinanderentwicklung nationaler Erzählungen, Motive und Praktiken.“

Wenn also von der „Deutschen Franziskanerprovinz“ im Jahr 2020 die Rede ist, sollte im Blick bleiben, dass „deutsch“ ein Begriff ist, der zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich gefüllt bzw. abgegrenzt worden ist. Soviel steht fest: Als Minderbruderorden in unseren Breiten eingepflanzt wurde, geschah das zu Zeiten einer staatlichen Ordnung hierzulande, die mit dem modernen Nationalstaat nicht viel zu tun hatte. Ein kostbares historisches Erbe ist das Wissen um die faszinierende „nationale“ Bandbreite der ersten Brüder. Wohlgemerkt: Die lateinische Wurzel des Nationenbegriffs liegt bei „natio“, einer Ableitung von nascor, „geboren werden“. Jordan von Giano erwähnt wörtlich als Geburts- oder Herkunftsorte der Brüder von 1221: Speyer, Piano del Carpine, Celano, Treviso, Ungarn, Toscana, Apulien, Camerino, Soest, Schwaben.

In dieser Hinsicht ähnelt die heutige Provinz „Germania“ vielleicht sogar wieder den Ursprüngen? Es gibt unter den Brüdern ein mehr oder weniger intensives Bewusstsein einer regionalen Herkunft aus bestimmten Gebieten der Bundesrepublik Deutschland: Badener, Bayern, Brandenburger, Franken, Schwaben, Hessen, Oldenburger, Rheinländer, Saarländer, Sauerländer, Westfalen, etc.. Dem Verlauf der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert ist es geschuldet, dass andere Mitbrüder ihre Geburtsorte in Ostpreußen, im Ermland, Schlesien oder Sudetenland verlassen haben.

Dann gibt es Brüder, die in anderen Ländern geboren wurden, aber jetzt in der deutschen Franziskanerprovinz ihre Heimat gefunden haben: Igor Hollmann wurde in Gorno-Altajsk, in Russland geboren, kam 1999 als Spätaussiedler mit seiner Familie in die Bundesrepublik. Franziskanern war er aber schon in Sibirien begegnet, weswegen er im Jahr 2004 mit den Brüdern hierzulande Kontakt aufnahm. Ähnliches erlebten Stanislaus Wentowski oder Marcio Lenzen-Lisboa, mit dem Unterschied, dass der eine aus der Gegend von Danzig in Polen stammt und der andere aus Brasilien. Chi Thien Vu wurde in Baria, in Vietnam geboren und musste 1981 als Kind per Boot vor dem Krieg fliehen. Nach einem Zwischenaufenthalt in Indonesien kam er schließlich 1983 nach Wilhelmshaven. Sein Interesse an einem geistlichen Weg führte zu einem Studium in Münster, wo er die Franziskaner in der Hoyastraße kennenlernte.

Andere Mitbrüder waren erst Mitglieder in anderen Provinzen und haben sich dann für eine Mitgliedschaft in der deutschen Provinz entschieden: Joaquin Garay wurde in Usulután, einer kleinen Stadt in der mittelamerikanischen Republik El Salvador geboren, trat in die Mittelamerikanische Franziskanerprovinz ein und machte sein Noviziat in Guatemala. Nach einer siebenjährigen Tätigkeit für seine Provinz kam er zum Weiterstudium nach Deutschland, wo er sich schließlich im Jahr 2008 für einen Verbleib entschied. Vergleichbare Geschichten können auch einige Brüder erzählen, die ursprünglich zu polnischen Provinzen gehörten: Artur Spallek und Edwin Sekowski.

Eine weitere Facette der Internationalität in der „Deutschen Franziskanerprovinz“ besteht darin, dass eine ganze Reihe von Brüdern am Afrika-Projekt beteiligt waren, wieder heimgekehrt sind und gelegentlich ihre Erfahrungen in die Gemeinschaft einspeisen: Heinrich Gockel, Claus Scheifele, Augustinus Wehrmeier und Florian Reith.

Darüber hinaus gibt es über die ehemaligen Missionen immer wieder Kontakt in die ganze Welt, sodass Mitbrüder aus aller Herren Länder für einige Zeit in der Provinz wohnen. Die Ordensprovinz verfügt über einen echten Schatz an globaler Erfahrung und atmet selbstverständlich (manchmal vielleicht zu selbstverständlich) inter-nationale Luft.


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