Bruder Cornelius Bohl

Die Krankensalbung

Nachdenken über die Sakramente

Krankensalbung - Bild von Ruben Weyringer / pixelio.de
Krankensalbung – Bild von Ruben Weyringer / pixelio.de

„Nicht erst an den Grenzen unserer Möglichkeiten, sondern mitten im Leben muss Gott erkannt werden; im Leben und nicht erst im Sterben, in Gesundheit und Kraft und nicht erst im Leiden.“ Diese Sätze Dietrich Bonhoeffers, 1944 im Gefängnis geschrieben, sind ein Plädoyer für eine gesunde und kraftvolle Spiritualität. Jesus ermöglicht „Leben in Fülle“ (Joh 10, 10). Er befreit Menschen aus Entfremdung, unguten Abhängigkeiten und Einsamkeit. Seine Nähe macht heil. Davon erzählen die Evangelien auf jeder Seite.

Zum menschlichen Leben gehören aber auch leidvolle Erfahrungen, Begrenzungen, Krankheit und Tod. Es wäre illusionär zu glauben, wir könnten das einmal hier auf der Erde endgültig überwinden. Darum bleibt eine Grundfrage des Lebens, wie ich damit umgehe. Eine Spiritualität zeigt ihre Lebenstauglichkeit gerade auch darin, wie sie solchen störenden Erfahrungen begegnet. Bonhoeffers Gedanke bleibt auch in der Umkehrung richtig: Nicht nur in Gesundheit und Kraft, sondern ebenso im Leiden und an den Grenzen des Lebens muss Gott erkannt werden können, damit er wirklich Vertrauen verdient.

Die Krankensalbung, die die besondere Zuwendung Jesu zu den Kranken in die Geschichte hinein aktualisiert, war im Frühmittelalter zu einem reinen Sterbesakrament verkürzt worden. Als „Letzte Ölung“ weckte sie eher Angst als Hoffnung. Die Liturgiereform hat dies heilsam korrigiert. Was das Öl, Universalarznei der Antike, zeichenhaft ausdrückt, bringen die Begleitgebete bei der Salbung auf Stirn und Handflächen ins Wort: Es geht um Stärkung und physische Heilung. Schon der Jakobusbrief berichtet, dass die Ältesten der Gemeinde Kranke im Namen des Herrn mit Öl salben. „Das gläubige Gebet wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben.“ (Jak 5, 15) Gegen alle krank machenden Frömmigkeitsformen ist hier auch liturgisch festgehalten: Glaube macht heil!

Dennoch bleibt nach wie vor die „ernsthafte Erkrankung“ der Ort dieses Sakraments. Nicht nur die unmittelbare Todesgefahr konfrontiert mit der Endlichkeit des Lebens. Wir sind mitten im Leben vom Tod umfangen. Jahrhundertelang beteten Christen um einen guten Tod, nicht als Zeichen von Lebensmüdigkeit, sondern weil die ars moriendi ein Teil echter Lebenskunst ist. Leben in Fülle darf nicht von Verdrängungen leben, es entfaltet sich in Begrenzungen und im Bewusstsein des Todes.

Schnell wird eine Krankheit auch zu einer religiösen Krise, die nach Deutung verlangt. Die Vorstellung, Krankheiten seien eine Strafe Gottes, scheint unausrottbar. Die im Sakrament gefeierte Verbundenheit mit dem leidenden und auferstandenen Christus lässt erfahren, dass meine gesamte Lebenswirklichkeit bei ihm aufgehoben ist. Leiden muss nicht von ihm trennen, es kann mit ihm verbinden. Und Heilung geschieht auch dort, wo ich mich mit Grenzen ehrlich versöhne. „Es wird alles wieder gut“, sagen Eltern zu ihrem weinenden Kind. Ist das nicht die größte Lebenslüge? Christen glauben tatsächlich, dass am Anfang einmal alles gut war und am Ende alles wieder gut werden kann. Nicht am Tod vorbei, sondern durch den Tod hindurch. „Tröstungen der Kirche“ nannte man früher die Sterbesakramente. In der Verbundenheit mit Jesus steckt die Verheißung, getrost und kraftvoll leben zu können, von der Handauflegung der Taufe bis zur Handauflegung bei der Krankensalbung.

Erstveröffentlichung Zeitschrift „Franziskaner“ Winter 2012


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