Ideen brauchen einen Träger, politische Programme einen Kopf, mit dem man sie identifiziert. Selbst das Wort Gottes hat Zeugen nötig. In Jesus ist das Wort Fleisch geworden. Im Blick auf Jesus sehen wir, was Gott uns zu sagen hat. Jesus hat seine Lehre nicht niedergeschrieben. Er beruft Menschen, seine Botschaft durch ihr Leben weiterzutragen. Genial: Seit zweitausend Jahren wirkt Gott durch überzeugende Zeugen. Und für Gott ein gefährliches Risiko: Wie oft haben wir Christen das Evangelium verraten!
Die gesamte Gemeinde Jesu ist berufen, in seinem Namen zu handeln. Einige Menschen tun das auch mit einem öffentlichen Auftrag, amtlich. Die frühe Kirche hat diese Amtsträger als „Priester“ bezeichnet, ohne zu vergessen, dass alle Getauften eine „heilige Priesterschaft“ sind (vgl. 1 Petr 2,5; Offb 1,6). Der Begriff „Priester“ ist nicht ganz glücklich. Er assoziiert den heidnischen oder jüdischen Opferpriester, der über rituelles Wissen und kultische Vollmacht verfügt, um durch äußerliche Vollzüge Gott und Mensch zu versöhnen. Analog zu diesem Verständnis ist nur Christus Priester: Er allein hat uns mit Gott versöhnt, ein für alle Mal! Nicht durch das Opfern äußerer Gaben, sondern durch sein Leben und Sterben. Der christliche Priester ist also immer nur Priester im abgeleiteten Sinn, insofern er teilhat an dem einzigen Priestertum Christi. Darum vergegenwärtigt er Christus auch nicht nur liturgisch, sondern vor allem existenziell. Das aber kann niemand aus sich heraus beanspruchen.
Die Handauflegung der Weihe macht sichtbar, dass ein Mensch diese Sendung von der Kirche als Ganzer und damit von Jesus empfängt. Der Priester kommt aus der Gemeinde und ist für sie berufen. Zugleich aber steht er ihr in der Sendung durch Jesus auch gegenüber. So verkörpert er die Unverfügbarkeit der Zuwendung Gottes.
Das Priesteramt ist immer vom Klerikalismus bedroht. Dabei muss die Zumutung, im Auftrag Christi und an seiner Stelle zu handeln, die eigene Person provozierend relativieren. Im Weihesakrament wird erfahrbar, was für jeden Getauften gilt: Es kommt ganz auf mich an, ob ich transparent bin auf Jesus hin oder den Blick auf ihn verstelle. Zugleich gilt: Es hängt nicht von mir ab. Wenn mein Leben etwas von Christus gegenwärtig macht, dann ist dies sein Tun. Wie unsicher wäre seine Gegenwart, wäre sie nur an menschliche Fähigkeiten gekoppelt!
Das Weihesakrament hat sich entfaltet in das Diakonen-, Priester- und Bischofsamt. Im Blick auf Jesus den Hirten, Propheten und Priester werden seine Grundfunktionen erkennbar. Da geht es um Leitung: Gemeinde sammeln, aufbauen und die unterschiedlichen Charismen zur Einheit zusammen führen. Es geht um Verkündigung: Die Gemeinde in der Spur Jesu halten! Und es geht um »Heiligung«: Menschen in Beziehung zum gegenwärtigen Herrn setzen, gerade auch durch die Sakramente.
Kein Sakrament ist heute so in der kontroversen Diskussion wie das Weihesakrament. Der Missbrauchsskandal hat Vertrauen tief erschüttert. Priestermangel und die Bildung immer größerer Seelsorgeeinheiten verändern Aufgaben und Bild des Priesters radikal. Die Zugänge zum Amt werden kontrovers diskutiert. Ökumenisch ist das Amt umstritten. Dennoch: Die Kirche braucht den Priester, der sie erfahren lässt, dass sie nicht aus sich, sondern von Christus her entsteht. Und sie braucht das besondere Amt als ständige Erinnerung an das, was die gemeinsame Berufung aller Getauften ausmacht.
Erstveröffentlichung Zeitschrift „Franziskaner“ Sommer 2012