Die ersten Einsatzkräfte des neu gegründeten Freiwilligendienst der Deutschen Franziskanerprovinz sind bereits seit einigen Monaten an ihren jeweiligen Einsatzorten. Das erste Zwischenauswertungsseminar hat stattgefunden. Wir wollen von Nika Scheibenstock, Marie Demmler und Jakob Selle hören, wie sie diese intensive Zeit erleben.
Bitte stellt euch und das Projekt, in dem ihr lebt und mitarbeitet, kurz vor.
Nika: Ich habe letztes Jahr mein Abi gemacht. Ich wollte danach etwas Neues sehen und ein Projekt unterstützen, was ich vorher noch nicht kannte. Daher habe ich mich entschieden, nach Albanien zu gehen, ohne wirklich viel über das Land oder die Einsatzstelle im Detail zu wissen. Jetzt bin ich seit zwei Monaten hier und wohne in einem kleinen Ort am Stadtrand von Vlora mit drei franziskanischen Ordensschwestern aus Italien zusammen, die eine Nachmittagsbetreuung für Kinder anbieten. Die Kinder sind zwischen fünf und 15 Jahre alt und kommen jeden Nachmittag für zwei Stunden nach der Schule zu uns. In den Sommerferien werden sie auch vormittags hier sein, so wie man es auch von einem Hort bei uns in Deutschland kennt. Vormittags fahre ich oft mit in eine Suppenküche in Vlora, in der für bedürftige Menschen aus der Stadt Essen ausgegeben wird. Dort kochen wir für circa 40 bis 50 Personen. Die Suppenküche hat dreimal die Woche geöffnet, und an Tagen, an denen geschlossen ist, begleite ich die Schwester, die die Suppenküche betreibt, manchmal, um die Menschen zu Hause zu besuchen. Wir bringen Essen und Einkäufe vorbei und reden viel mit ihnen – einfach damit sie ein wenig Zuwendung und Abwechselung in ihrem Alltag erfahren.
Jakob: Ich wollte nach meinem Bachelor in Sozialer Arbeit eine Auslandserfahrung machen. Ich habe mich deswegen entschieden, einen Freiwilligendienst anzutreten. Jetzt bin ich hier in Bilbao, im Baskenland. Ich arbeite für die Organisation BIZITEGI, die sich für verschiedene Personengruppen einsetzt, unter anderem für Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Aber auch Obdachlosigkeit spielt eine Rolle. Ich wechsle viel zwischen den verschiedenen Zentren hin und her und unterstütze dort die Sozialarbeiterinnen bei allem, was gerade so anfällt.
Marie: Ich habe auch letztes Jahr mein Abitur gemacht. Ich wollte danach in den Freiwilligendienst, um noch mal eine Auslandserfahrung und etwas Sinnvolles zu machen. Ich bin in Bosnien an einem Gymnasium in Visoko und arbeite hier im Alltag mit, also vormittags vor allem im Unterricht, und nachmittags begleite ich verschiedene kreative Angebote. Außerdem begleite ich Ausflüge und alles, was im Alltag so anfällt. Demnächst werde ich allerdings die Einsatzstelle wechseln und für ein Praktikum nach Genf zu Franciscans International gehen.
Gibt es einzelne Momente, die ihr als besonders wahrgenommen habt?
Nika: Mir fällt eine Situation aus der Suppenküche ein: Normalerweise kommen immer die gleichen Menschen, und wir kennen alle hier. Aber an diesem Tag kam eine neue Familie: eine Mutter mit drei Kindern – zwei kleine Mädchen, die vielleicht drei und vier Jahre alt sind und ein Baby. Es war eine Roma-Familie, deren Haus abgerissen wurde, weil es nicht legal gebaut wurde. Und weil sie keine Dokumente haben, haben sie nicht die Möglichkeit, ein neues Haus zu finden, und sind auf Hilfe angewiesen. Es hat mich sehr berührt, als sie ihre Geschichte erzählt haben. Sie hatten einfach plötzlich kein Zuhause mehr und brauchten Essen. Und die zwei kleinen Mädchen sind wirklich superoffene, freundliche, nette, fröhliche Mädchen. Sie sind immer zu mir gekommen, wenn sie in die Suppenküche kamen, um Hallo zu sagen und mir zu sagen, dass sie sich immer freuen, mich zu sehen, und sie gerne mit mir spielen, wenn sie da sind. Das ist natürlich nicht meine Aufgabe in der Suppenküche. Aber wenn sie ein Spielzeugauto dabeihaben, dann setze ich mich dazu und spiele mit ihnen. Es hat mich einfach sehr gefreut und berührt, dass ich gemerkt habe, dass es nicht so ein abstraktes »Ich helfe« ist. Man kocht nicht einfach etwas für hungrige Menschen, sondern man spürt die Dankbarkeit für mich als Person und für das, was ich hier mache.
Was gefällt euch bei eurem Projekt besonders gut?
Jakob: Mir gefällt besonders gut, dass man ziemlich viel über das Land erfährt, weil man einfach viel Kontakt mit Einheimischen hat. So lernt man dann Sprichwörter oder Feste kennen und versteht sie auch wirklich. Und die Einheimischen geben Tipps, was man sich unbedingt anschauen sollte. Außerdem gefällt mir sehr gut, dass die Personen hier sehr viel Rücksicht auf die Bedürfnisse von anderen nehmen. Wenn man sich mit einer Situation überfordert fühlt, achten die Leute hier einfach sehr gut darauf und nehmen das Feedback auch sehr ernst.
Marie: Für mich ist es definitiv die Gemeinschaft vor Ort durch den Schulkontext. Es ist eine sehr kleine Schule, in der ich sehr herzlich aufgenommen wurde. Grundsätzlich ist die erlebte Gastfreundschaft eine sehr, sehr positive Erfahrung. Und natürlich auch, was auch bei den anderen schon angeklungen ist: einfach die Menschen und die Kulturen näher kennenzulernen.
Aus welchen Erfahrungen konntet ihr bisher am meisten lernen?
Nika: Ich wusste sehr wenig über Albanien, bevor ich hierhergekommen bin. Ich hatte abgespeichert, dass das Land noch in Europa liegt. Geografisch ist es das auch. Aber da Albanien kein EU-Mitglied ist und auch nicht zum Schengenraum gehört, sind die Lebensverhältnisse teilweise ganz anders als in der EU. Eine Schwester hat mir ganz am Anfang gesagt: Man muss die Geschichte des Landes kennen, um die Menschen zu verstehen! Das Land war nie politisch stabil. Und das merkt man an vielen Ecken und Enden. Sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Situation der Menschen hat sich nicht erholen können. Für viele Themen gibt es nicht die Kapazität, weil die Baustellen ganz andere sind: Der Müll muss weggeräumt werden, fließend Wasser muss da sein, Stromleitungen müssen in alle Häuser gelegt werden. Und in dem Zug ist mir bewusst geworden, dass es uns allen in Deutschland so gut geht, dass wir uns quasi privilegierterer Probleme annehmen können.
Marie: Ich kann mich da nur anschließen. Man lernt viel über die andere Kultur und andere Lebensweisen. Sachen, die bei uns einfach anders sind – ohne wertend zu sagen, das eine ist besser, das andere schlechter. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass ich gerade in dem Projekt auch viel über mich selbst gelernt habe: Manchmal habe ich Zeiten, in denen ich alleine bin, und dann stehe ich wieder vor einer Klasse und rede vor 20 bis 30 Menschen. Der Kontrast ist manchmal sehr stark, aber genau das hat mich positiv weitergebracht.
Gibt es besondere Herausforderungen, die in eurem jeweiligen Projekt an euch gestellt werden?
Nika: Also bei mir gibt es hauptsächlich zwei Herausforderungen: Das eine ist natürlich die Sprache und die Sprachbarriere. Die meisten Leute, mit denen ich hier Kontakt habe, sprechen kein Englisch. Das hat mir am Anfang oft das Gefühl gegeben, dass ich gar nicht wirklich etwas beitragen oder helfen kann. Aber das ist inzwischen wirklich besser geworden. Und die zweite Herausforderung ist, die Armut und die sozialen Verhältnisse hier zu sehen. Aber auch die sozialen Strukturen sind mir teilweise fremd gewesen. Achtjährige Jungs stehen beispielsweise über der Mutter in der familiären Hierarchie. Das alles war ein Kulturschock für mich, an den ich mich erst mal gewöhnen musste. Es ist eine schwierige Erfahrung, aber auch eine sehr wertvolle: einerseits, dass Menschen auch in einem Land innerhalb Europas in solchen Verhältnissen leben; andererseits, dass die Menschen, die hier leben, trotzdem ein normales und ein schönes Leben führen können.
Jakob: Für mich besteht die Hauptherausforderung in der Selbstorganisation und auch in der Informationsweitergabe. Dadurch, dass ich in verschiedenen Zentren arbeite, muss ich Informationen selbst beschaffen, und es gehen wichtige Informationen manchmal einfach verloren. Es ist alles nicht so strukturiert, wie man das aus Deutschland gewohnt ist. Manchmal verpasst man dadurch wichtige Informationen, die man eigentlich gebraucht hätte. Eine andere Herausforderung kann sein, dass man sich manchmal selbst Aufgaben suchen muss. Es wird nicht immer direkt gesagt, was gemacht werden soll, sondern man muss manchmal gezielt fragen, was man machen kann.
Warum würdet ihr euer Projekt weiterempfehlen, und was sollte man mitbringen?
Nika: Ich würde das Projekt auf jeden Fall weiterempfehlen, weil man wirklich im Leben und im Alltag der Schwestern dabei ist und dadurch auch sehr viele Menschen kennenlernt. Vor allem auch Menschen, mit denen ich in Deutschland niemals Kontakt gehabt hätte, weil sie einfach ein ganz anderes Leben führen als ich. Wem ich es nicht empfehlen würde, sind Menschen, die ein festes Umfeld im Sinne von Freunden im eigenen Alter brauchen. Ich habe damit bisher kein Problem, weil ich so viele andere Menschen kennengelernt habe, mit denen ich Zeit verbringe.
Jakob: Ich schätze an meinem Projekt sehr, dass die Menschen sehr herzlich sind und sich einfach freuen, dass man da ist. Außerdem finde ich an dem Projekt bemerkenswert, dass man wirklich sehr viele Freiheiten hat. Je nachdem, für was man sich interessiert, kann man seinen Wochenplan selbst gestalten und nach den eigenen Stärken und Interessen arbeiten. Man kann sehr flexibel sein, und deswegen ist die Arbeit sehr vielfältig. Und: Das Land ist wunderschön!
Marie: Für mich ist der Hauptempfehlungsgrund eigentlich die Gemeinschaft. Durch die Gemeinschaft an der Schule wird so viel ermöglicht. Und es ist ein guter Ort für Völkerverständigung. Verschiedene Religionen treffen aufeinander, verschiedene Ansichten. Und es geht einfach darum, miteinander und voneinander zu lernen. Das ist mir sehr positiv aufgefallen.
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift Franziskaner im Herbst 2024.