24.12.2019 Bruder Cornelius Bohl

„Ein Mensch zu sein – das interessiert mich!“

Ein Weihnachtsimpuls zur Menschwerdung Gottes.

Leonardo da Vinci: Der vitruvianische Mensch
Eine Vorstellung des vollkommenen Menschen in der Antike. Was macht den Menschen und das Menschliche heute aus?

Neulich in einem Regionalzug. Ungewollt werde ich Zeuge einer lautstarken Unterhaltung zwischen der Schaffnerin und einem Fahrgast eine Sitzreihe hinter mir. Um was genau es ging, habe ich nicht mitbekommen, aber am Ende löste sich die Auseinandersetzung in einem gemeinsamen Lachen auf und die Schaffnerin verabschiedete sich im schönsten Allgäuer Dialekt: „Ach, wissen Sie, wir sind halt alle nur Menschen!“

Wir sind halt nur Menschen! Vielleicht wollte sie damit sagen: Wir sind nicht perfekt, Fehler kommen schon mal vor, man kann sich irren, etwas falsch verstehen. Oder auch: Manchmal gehen die Emotionen mit uns durch, wir reagieren impulsiv und ungerecht, obwohl wir das gar nicht wollen – wir sind halt nur Menschen! Und wenn dann sogar jemand um Entschuldigung bittet und am Ende gemeinsam gelacht wird, ist das mehr als die Einsicht, dass wir „nur Menschen“ sind. Das ist tief menschlich.

Das Wort „Mensch“ ist für uns ja ganz unterschiedlich besetzt. Selbst die hochentwickeltste Technik kann „menschliches Versagen“ nie ausschließen, der Mensch bleibt unberechenbar, eine Schwachstelle, ein Unsicherheitsfaktor. Nicht nur im Journalistenjargon begegnen „menschliche Abgründe“. Die Geschichte liefert leider zu viele Beispiele, wie Menschen zum Tier verkommen oder gar zur Bestie werden. Dennoch sind wir überzeugt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, kämpfen für Menschrechte und staunen, welche Wunder der Mensch in Musik, Kunst und Technik vollbringt. „Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch“ (Gottfried Benn).

„Ein Mensch zu sein – das interessiert mich!“, hat Albert Camus gesagt. Das könnte auch Gott gedacht haben, als er an Weihnachten Mensch wurde. Was für ein Risiko für ihn, als Gott in dieses so fragile, unsichere und unberechenbare Menschsein einzugehen! „Es menschelt in der Kirche bis hinauf in die allerheiligste Dreifaltigkeit“ – was in einer Anekdote als Witzchen daherkommt, ist theologisch vielleicht gar nicht so ganz falsch: Gott hat nicht mal eben schnell in menschlichem Mummenschanz eine Stippvisite unter uns absolviert, um diese doch etwas lästige Verkleidung dann möglichst bald wieder abzustreifen und sich in seine Herrlichkeit zurückzuziehen. Er ist Mensch geworden und hat in seinem Sohn unser Menschsein angenommen, so dass Mensch und Welt seitdem in Gott selbst einen Platz haben.

Wenn Gott Mensch wird, dürfen wir auch Menschen sein. Den anderen in seinen „Menschlichkeiten“ wenigstens auszuhalten, vielleicht sogar anzunehmen oder wertzuschätzen, ist schon eine ganze Menge. Gott wird Mensch. Wir sind nicht nur einfach Menschen, wir sollen es auch immer mehr werden. Menschlich nicht zu verkümmern, auch das ist eine weihnachtliche Aufgabe!

Am Ende haben die Schaffnerin und der Fahrgast kräftig gelacht. Für die scholastischen Theologen war die risibilitas, die Fähigkeit zu lachen, ein entscheidendes Merkmal des Menschen. In unseren Krippen liegt ein lächelndes Jesuskind, obwohl Neugeborene nicht immer nur süß sind und nervtötend schreien können. Ich denke, es gibt nicht nur das bekannte Osterlachen, sondern auch ein Weihnachtslächeln, das wir vor der Krippe einüben könnten: über Menschlich-Allzumenschliches auch einmal wohlwollend lächeln (statt sich sofort zu ärgern) und uns freuen, wenn ausgerechnet da, wo wir „halt nur Menschen sind“ (und keine Engel), etwas von Christus aufscheint.


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