22.07.2020 Bruder Reinaldo Brumberger

„Einen Pfarrer mach ich nicht, doch ich geh ins Kloster“

Franziskaner werden, Franziskaner sein

Bruder Reinaldo Brumberger OFM.
Bild von Archiv Deutsche Franziskanerprovinz.

Ich bin als viertes Kind kurz nach Kriegsende auf unserem kleinen Bauernhof in Franken geboren und dort aufgewachsen. Eine fromme Familie waren wir sicherlich nicht, doch das Tischgebet und die Sonntagsmesse gehörten zu unserem Leben. Mein Vater starb, als ich zehn Jahre alt war. Im gleichen Jahr ging ich zur Erstkommunion und zur Firmung. Zwei Tanten väterlicherseits waren Schulschwestern, eine Kusine Abenberger Stillaschwester und Altenpflegerin. Sie schrieb mir manchmal, und so hatte ich etwas Kontakt zu ihr. Gelegentlich kam ein Kapuziner zum Betteln und bekam von meiner Mutter immer einen guten Schinken zur Brotzeit.

Als ich zwölf Jahre alt und in der 6. Klasse der Volksschule war, wurde ein Verwandter meiner Mutter zum Priester geweiht und besuchte auch uns. Ich musste ihm mein Schulzeugnis zeigen, und er meinte: „So dumm ist der Kerl ja gar nicht, der könnte auch studieren und Priester werden!“ Dazu meinte meine Mutter: „Da müssen wir den Buben schon selber fragen!“ Meine kurze und klare Antwort: „Einen Pfarrer mach ich nicht, doch ich gehe ins Kloster.“ Damit war das Thema erstmal für Jahre vom Tisch.

Doch mein Heimatpfarrer, der früher einige Jahre in Brasilien als Missionar gearbeitet hatte, hatte von meinem Wunsch, ins Kloster zu gehen, erfahren und sagte mir dann in der 8. Klasse: „Alois, komm mal ins Pfarrhaus, da ist mein Bruder, der auch in einem Kloster ist.“ Etwas schüchtern betrat ich diese heiligen Hallen und saß einem gut genährten Franziskaner gegenüber, dem ersten, den ich sah. Da ich damals etwas schmal und blass war, meinte er: „Du machst bei uns einen Gärtner, dann bist du immer an der frischen Luft und kriegst eine gesunde Farbe.“ Damit war mein Leben entschieden!

Ein Jahr später meldete ich mich im Franziskanerkloster Berching in der Oberpfalz, lebte mit den Brüdern und Patres und arbeitete und lernte im Garten. Irgendwann kam mir der Gedanke, vielleicht doch Ordenspriester zu werden. Mein Oberer unterbreitete meine Idee dem Provinzial in München, und nachdem dieser zugestimmt hatte, teilte ich es meiner Mutter mit. Sie war überrascht, aber einverstanden.

Als sogenannter Spätberufener kam ich ins Franziskanerseminar Antonianum in Bamberg und machte 1966 mein Abitur bei den Karmeliten. Außer den Schulfächern widmete ich mich besonders der Musik – Gitarre und Blasmusik –, dem Theater (Karl Valentin!) und den Zeltlagern. Doch was nun? Offiziell in den Franziskanerorden eintreten, den Habit (Kutte) nehmen und das Noviziat als Probejahr machen? Ja!

Unser Kurs war irgendwie immer so etwas wie ein Versuchskaninchen: Unser Noviziat war erstmals ein gemeinsames Projekt der drei Ordensprovinzen Tirol, Wien und Bayern. Das Noviziatskloster war Telfs in Tirol. Am Anfang waren wir noch 14; doch rasch „schrumpften“ wir immer mehr, und ich fragte mich selbst: „Und du, warum bleibst du?“ Von den 90 Schülern, die wir im Antonianum waren, bin ich der Einzige, der Franziskaner wurde, und ich bin auch der letzte Franziskaner aus diesem Seminar überhaupt. Die vier deutschen Ordensprovinzen legten ihr Philosophie- und Theologiestudium zusammen, und so studierten wir Franziskanerstudenten in Fulda, Münster und München.

Als Studenten widmeten wir – die „Francis Boys“ – uns viel der Musik. In zahlreichen Pfarreien spielten wir Jazzmessen, aber auch zum Tanz beim Pfarrfasching. Und in dieser Zeit erstellten wir auch das Liederbuch „Der Bettelmusikant“, das dann vom Voggenreiter Verlag übernommen wurde. Alle Noten dafür habe ich mit der Hand geschrieben. So war das damals.

Nach der Priesterweihe 1972 wurde ich Kaplan in unserer Pfarrei St. Anna in München mit viel Jugendarbeit: Jugendheim, Dekanat, Pfadfinder… Aus dieser Zeit habe ich heute noch viele Spender und Spenderinnen , die meine Arbeit in Bolivien unterstützen.

Die Missionare aus Bolivien informierten uns regelmäßig über ihre Arbeit und animierten uns, ihnen zu helfen. Und ich – warum nicht ich? Als ich 33 Jahre alt war, spürte ich: jetzt oder nie! Der Provinzial nahm mein Gesuch an, und ich durfte für fünf Jahre nach Bolivien. Daraus sind jetzt 40 Jahre geworden. Ende 1979 flog ich mit Bischof Eduard Bösl OFM nach Santa Cruz und dann im Kleinflugzeug nach Concepción, wo ich 26 Jahre verbrachte.

Diese ehemalige Jesuitenreduktion wird seit 1930 von Franziskanern betreut. Hier war ich Kaplan, Pfarrer und dann auch Generalvikar – immer auch Religionslehrer und Chorleiter. Gemeinsam mit den Missionshelfern habe ich die erste Kolpingfamilie von Bolivien gegründet und war eine Zeit lang deren Nationalpräses. Bischof Bösl und ich verstanden uns gut und halfen uns gegenseitig. Manchmal tranken wir auch ein Bier miteinander und sangen aus dem Bettelmusikanten.

Die Kathedrale ist wunderbar und die Prozessionen vor Weihnachten und in der Karwoche ein Erlebnis. Doch besondere Zuneigung entwickelte ich für die Chiquitano-Indianer, die in 25 Dörfern im Wald auf einem Gebiet von circa 200 x 100 Kilometern leben. Hier erkannte ich, dass es keine Pastoral ohne Sozial¬arbeit gibt. „Gebt ihr ihnen zu essen!“, sagte Jesus. Und Santiago schreibt: „Dein Glaube ohne Werke ist tot.“ Und so fing ich zusammen mit den Indianern und mithilfe von Spenden aus Deutschland an, mich um ein besseres und würdigeres Leben der Indianer zu kümmern: Wege, Brücken, Gesundheit, Krankenwagen, Brunnen, Weiher für die Rinder, Viehgenossenschaften, Gärten für die Mütterclubs, Kapellen, Schulen, Pfarrheime, die auch für den Unterricht genutzt werden; ein Lastwagen, der wöchentlich die Dörfer besuchte und auch über einen Verkaufsladen verfügte; Gemeinschaftshäuser je eines für jedes Dorf; Gründung von Chor und Orchester für barocke Musik aus der Jesuitenzeit; Leitung des Kirchenchores. Es ging um Pastoral, Kultur und Sozialarbeit.

Dann schickte mich der Provinzial in die Großstadt Santa Cruz, wo ich 12 Jahre Hausoberer und Pfarrer einer großen Pfarrei war – eine neue Erfahrung! Wir hatten zwölf Filialen, und manche brauchten eine Kapelle oder ein Pfarrheim oder andere Erweiterungsbauten. Besonders wichtig war auch, die Laien mehr einzubeziehen, Weiterbildung zu vermitteln und Verantwortung zu übergeben.

2017 wurde ich schließlich in den Nachbarort von Concepción, San Javier, geschickt, auch eine ehemalige Jesuitenreduktion, zu der 23 Indianerdörfer gehören. Die Situation ist ähnlich wie in Concepción, und meine Erfahrungen dort kamen mir hier wieder zugute. In vielen Dörfern konnte ich Wassersysteme einrichten, die sogar einen Wasserhahn für jede Hütte haben. Was jetzt noch fehlt, sind die Weiher, da die Rinder besonders in der Trockenzeit Wasser brauchen. Und Wasser ist zudem wichtig, um die vielen Wald- und Steppenbrände besser löschen zu können.

Und die Kultur der Chiquitanos? Ist sie zu retten? Viele verlassen ihre entlegenen Dörfer und ihr Land, suchen Arbeit in San Javier und ziehen dann meist in die Großstadt weiter, wo sie oft ihren Glauben und ihre Kultur verlieren. Jedes Dorf erhielt von der Pfarrei eine Fahne und Kazikenstäbe („Häuptlingsstab“) für das Cabildo (Stammesrat), und monatlich halten wir eine Messe in Chiquitano mit Liedern und Flötenmusik.

Glaube, Kultur und Sozialarbeit. Wo und wie könnte man dies besser fördern als in einer Pfarrei? Und so bin ich im Franziskanerkloster und doch auch zugleich Pfarrer. Und ich bin es gerne. Wer hätte das gedacht!

Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskaner Sommer 2020


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