Von Bruder Helmut Schlegel ofm und Ricarda Moufang (Zentrum für christliche Meditation und Spiritualität, Frankfurt)

Das Wunder, dass ich fühlen kann

Schöpfung: Wer staunt, fängt an zu glauben …

Wir laden Sie zu vier Schritten ein: staunen – hören – glauben – tun.

Gefühle sind spontane Botschaften. Bild von twinlili / pixelio.de
Gefühle sind spontane Botschaften. Bild von twinlili / pixelio.de

staunen

Das Fühlen und die Gefühle begleiten das menschliche Leben wie die Gedanken. Fühlen kann ich auf der Wahrnehmungsebene. Ich kann etwas ertasten, Oberflächen fühlen, Temperatur spüren. Ich fühle mich krank oder gesund, matt oder fit.

Die Gefühle gehören eher in den Bereich der Psyche, der Seele. Zwischen »himmelhoch jauchzend« und »zu Tode betrübt« erlebe ich eine ganze Palette von Gefühlen: Sympathie, Abneigung, Neid, Freude, Stolz, Liebe, Trauer. Glück, Leere, Einsamkeit, Geborgenheit. Herzschmerz, Begeisterung, Ehrgeiz, Eifersucht. Angst. Wut.

Ohne Gefühle bleiben die Gedanken kalt. Ohne unser Herz und seine Regungen von Liebe und Mitgefühl wäre die Welt ein schrecklicher Ort. Gleichzeitig gibt es Gefühle, die Unglück bringen: Wut, Fanatismus, besitzergreifende Liebe, blinde Eifersucht, die Gier nach Macht und Erfolg. – Wenn Menschen sich diesen Gefühlen überlassen, kommt meistens viel Leid dabei heraus.

Deshalb sind das Wahrnehmen und das Bändigen der potenziell schädlichen Gefühle immer ein wichtiger Teil eines geistlichen Weges. Die Gefühle, die »Leiden schaffen« – die Leidenschaften –, in den Griff zu kriegen, ist unerlässlich. Nicht unterdrücken soll ich diese Gefühle, sondern lernen, sie nicht auszuagieren.

Gefühle sind wunderbar. Verliebt sein, schwärmen; ergriffen sein. Nicht mit dem Verstand, mit dem Herzen erkennt man Gott – so schreiben viele christliche Mystikerinnen und Mystiker.

hören

Nach dem Gespräch Davids mit Saul schloss Jonatan David in sein Herz. Und Jonatan liebte David wie sein eigenes Leben. Jonatan schloss mit David einen Bund, weil er ihn wie sein eigenes Leben liebte. Er zog den Mantel, den er anhatte, aus und gab ihn David, ebenso seine Rüstung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel. (1 Sam 18.1.3)

glauben

Mit pochendem Herzen
schreie ich nach dir.
Mit sehnsüchtigem Herzen
lausche ich auf dein Wort.
Mit verwundetem Herzen
bitte ich dich um Heilung.

Du wendest mir dein Angesicht zu
und auch dein lebendiges Herz,
das wie mein Herz weint und klagt,
zürnt und umarmt,
liebt und sich lieben lässt.

Das tote Herz aus Stein
nimmst du aus meiner Brust.
Du gibst mir ein Herz aus Fleisch,
aus Mitgefühl und Erbarmen,
dass ich dich suche in den Herzen
meiner Nächsten.

tun

Machen Sie Ihre Gefühle zu ihren Freunden, die »Gastrecht« in Ihrem Inneren haben die sich aber nicht hemmungslos ausleben und Ihr »Lebenshaus« beherrschen dürfen.

Denken Sie daran, dass Gefühle spontane Botschaften sind, die uns auf dem Weg des Leben- und Überleben-Wollens warnen, schützen oder auch wichtige Energien mobilisieren.

Genießen Sie es, wenn Ihr Glaube an Gott von tiefen und innigen Gefühlen begleitet wird. Machen Sie sich bewusst, dass sich der Glaube mitunter durch eine sehr gefühlsarme Phase der schlichten Treue hindurch bewegt.

 

Erstveröffentlichung Zeitschrift „Franziskaner“ Herbst 2014