11.12.2020 Bruder Franz Richardt

A-H-A und S-O-S

<> Der Kommentar der Woche.

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren die Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Franz Richardt

S-O-S – diesen Notruf kennen wir aus dem Morsealphabet. Dreimal kurz – dreimal lang – dreimal kurz. Menschen, die in der Wüste oder im Gebirge in Not geraten waren, schrieben diese drei Buchstuben in großen Lettern in den Sand oder Schnee, in der Hoffnung, dass vorüberfliegende Flugzeuge den Hilferuf sahen und zu Hilfe kamen. Später wurden diesen drei Buchstaben dann kurze Sätze unterlegt: „Save our souls“, oder „save our ship“.

Vor zwei Wochen bin ich durch einen Vortrag von Dr. Norbert Lammert zu dem Thema „Corona – Stresstest für die Demokratie“ auf eine andere mögliche Bedeutung dieser drei Buchstaben aufmerksam geworden. Er wies hin auf Juli Zeh, eine brandenburgische Verfassungsrichterin, die für den Umgang mit der großen Herausforderung durch das Corona-Virus neben der AHA-Formel (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) eine zweite Spielregel empfahl, die S-O-S-Regel:

Dabei steht

  • S für: Sensibilität im Umgang mit fremden Ängsten
  • O für: Offenheit für abweichende Positionen
  • S für: Sorgfalt beim Formulieren der eigenen Ansichten.

Das ist ein kluges Wort. Im Betroffensein durch das Corona-Virus gibt es ja tatsächlich starke Ängste, z.B. Angst vor Ansteckung, die Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, die Angst um einen Menschen, der sich infiziert hat, oder die Angst junger Menschen, keinen Arbeitsplatz zu finden – und viele andere Ängste. Dabei ist es wichtig, nicht zu denken „Ach, du mit deiner Angst, halt den Ball mal flach!“ Nein, diese Ängste sind Ängste und dürfen nicht verharmlost werden.

Die zweite Verhaltensregel ist die Offenheit für abweichende Positionen. Das bedeutet nicht, allen abweichenden Meinungen immer Recht zu geben, schon gar nicht derer, die Fakten verleugnen oder verdrehen. Wohl aber, sich die Mühe zu machen, das mögliche Körnchen Wahrheit in der entgegenstehenden Meinung zu entdecken. Oft – nicht immer – ist ja ein Teil der fremden Meinung richtig und deswegen auch bedenkenswert.

Und drittens gehört es zu einer konstruktiven Auseinandersetzung, auf die eigene Meinung nicht zu verzichten, wohl aber, sorgfältig zu überlegen und zu prüfen, was ich sagen will. Erst einmal kurz nachzudenken, nicht sofort loszupoltern, sondern die eigene Position mit Argumenten zu untermauern und sie in einer verständlichen Sprache in die Diskussion einzubringen, das führt weiter.

Diese S-O-S-Weisung ist klug. Sie gilt nicht nur als Ergänzung zur AHA-Formel für Corona-Zeiten, sondern für jede Diskussion in Kirche, Politik, Gewerkschaft, Arbeitswelt und Familie.


Der Blick zurück, der Blick nach vorne, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de.


Ein Kommentar zu “A-H-A und S-O-S

  1. Überhaupt ist Juli Zeh eine kluge Frau, lese fast alles von ihr und auch ihre Texte über ihre Webseite. Jetzt ins Ausland zu fliegen halte ich für unverantwortlich! Brisbane hat einen neuen Lockdown verordnet – ein Cluster: 60% der Fälle durch Einreisende, nur 2 Community Infektionen. Millionen Menschen sind betroffen, und das jetzt, nach Monaten ohne jede Infektion. Was da in Deutschland und Europa passiert ist unverantwortlich!

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