02.04.2021 Bruder Markus Fuhrmann

„I can’t breathe!“

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren die Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Markus Fuhrmann

„I can’t breathe!“ („Ich kann nicht atmen!“) – Vor knapp zehn Monaten ging ein Video um die Welt, in dem der Afroamerikaner George Floyd um Luft ringend 27 Mal diesen einen Satz herausstieß. Der Polizist Derek Chauvin presste dem am Boden liegenden Floyd bei dessen Festnahme fast neun Minuten lang sein Knie in den Nacken. Floyd verlor das Bewusstsein und starb. Der Vorfall löste weltweit Proteste aus und verhalf der Black-Lives-Matter-Bewegung zu großer Aufmerksamkeit. Nun hat in Minneapolis das Hauptverfahren im Strafprozess gegen den mittlerweile vom Dienst suspendierten Derek Chauvin begonnen. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm bis zu 40 Jahre Haft.

Es mehren sich jetzt Stimmen, die sagen: Hier steht nicht nur ein ehemaliger Polizist vor Gericht, sondern ein ganzes Land. „Dies wird ein Referendum darüber, wie weit Amerika in seiner Suche nach Gleichheit und Gerechtigkeit gekommen ist“, meinte etwa der Anwalt der Familie Floyd unmittelbar vor Beginn des Prozesses. Der Bürgerrechtsaktivist Al Sharpton schlägt in einem Statement den Bogen vom aktuellen Gerichtsverfahren über jahrzehntelange Rassismus-Erfahrungen bis hin zum Ku-Klux-Klan. Schon jetzt zeichnet sich ab: Wird Chauvin womöglich nicht wegen „Mord zweiten Grades“ für schuldig befunden, dann gibt es erneut massive Proteste.

So berechtigt die Forderung nach einer gerechten Strafe für diese brutale und vermutlich auch rassistische Tat ist, so sehr beunruhigt mich der Eindruck, dass an Derek Chauvin gewissermaßen ein Exempel statuiert werden soll: Nach Jahrzehnten, nein nach Jahrhunderten der rassistischen Diskriminierung von Schwarzen in den USA und andernorts sitzt – bildlich gesprochen – endlich der von Weißen dominierte Staats-, Justiz- und Polizeiapparat selbst auf der Anklagebank und soll abgestraft werden. – Doch genau darum darf es meines Erachtens in diesem Prozess nicht gehen.

Stellvertretende Sühne spielt im Zusammenhang unseres Glaubens eine Rolle – gerade in diesen österlichen Tagen bedenken Christen dies im Blick auf Jesus Christus. Doch bei einem Strafprozess zählt ausschließlich die nachweisbare Verantwortung eines mutmaßlichen Täters für die Erfüllung eines Straftatbestands. Die Geschworenen-Jury hat einzig die Frage zu entscheiden, ob ein Mensch durch sein Verhalten den Tod eines anderen Menschen zu verantworten hat. Das Rechtsstaatsprinzip, konsequent und fair angewendet, wird im Fall von Derek Chauvin schon genügend Signalwirkung haben. Ein politisch motivierter Prozess würde die gesellschaftliche Spaltung in den USA nur noch verstärken.


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