29.07.2022 Bruder Stefan Federbusch

Individuelle oder Institutionelle Schuld?

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Stefan Federbusch

Es wurde Zeit, höchste Zeit für eine Entschuldigung. 2009 hatte Papst Benedikt lediglich sein „Bedauern“ über die Zwangsassimilation indigener Kinder in kanadischen Schulen ausgedrückt. Auch Papst Franziskus lehnte noch 2018 eine Entschuldigung seitens der Kirche ab, ohne dafür Gründe zu nennen. Spekuliert wurde über die Angst vor hohen Schadensersatzzahlungen. Über 6.000 an physischer Gewalt, Hunger, Krankheiten, kultureller Entfremdung und Einsamkeit verstorbene Kinder dürften Grund genug sein für ein Schuldeingeständnis. Rund 150.000 Kinder der Ureinwohner wurden auf Veranlassung des kanadischen Staates zwischen 1883 und 1996 in Internate gesteckt, mit dem Ziel, dort ihre indigene Kultur zu tilgen und sie zwangsweise in die weiße Gesellschaft zu assimilieren. Zweidrittel dieser Schulen wurden von der katholischen Kirche betrieben. Sexueller und spiritueller Missbrauch war dort an der Tagesordnung.

Jetzt endlich also ein päpstliches Wort der Reue. Es stellt sich jedoch die Frage, warum es bei einer „persönlichen Entschuldigung“ blieb. Bis heute ist es Strategie und Marschrichtung päpstlicher Schuldbekenntnisse, sich nicht für die Institution Kirche zu entschuldigen, sondern lediglich für das Fehlverhalten einzelner. „Es tut mir leid“, so Papst Franziskus, „dass viele Christen die kolonisierende Mentalität der Mächte unterstützten, die die indigenen Völker unterdrückten“. Er bitte um Vergebung dafür, dass „viele Mitglieder der Kirche und religiöser Gemeinschaften“ bei der von den Regierungen betriebenen kulturellen Zerstörung und erzwungenen Assimilierung kooperiert hätten, „die im System der Residential Schools ihren Höhepunkt fanden“. Wenn es bei den 130 Internaten um ein katastrophales und desaströses System ging, das mit der Botschaft Jesu Christi unvereinbar ist, dann kann es sich nicht nur um ein Versagen Einzelner handeln, sondern um ein strukturelles Versagen des Gesamtsystems Kirche, die durch ihre Rahmenbedingungen und inhaltlichen Leitlinien das Verhalten ihrer Mitglieder prägt.

Unbestritten hat Papst Franziskus mit seinem Besuch vor Ort den Weg der „Reconciliation“ begonnen, dennoch ist mir angesichts der lehramtlichen Anerkenntnis einer „strukturellen Sünde“ auch theologisch nicht einsichtig, warum nicht endlich auf den diversen Missbrauchsfeldern ein Schuldeingeständnis auch für die gesamte Institution Kirche erfolgt. Die „heilige Mutter Kirche“ ist es ihren Kindern schuldig. Besonders allen, die durch sie zu Schaden gekommenen sind.


Der Blick zurück, der Blick nach vorne, und der Blick nach innen.
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