21.10.2022 Bruder René Walke

Krieg im Wohnzimmer

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder René Walke

Alle Kriegsschauplätze dieser Erde finden zusammen in unseren Wohnzimmern. Dort lässt die Berichterstattung dem erprobten Nachrichtenschauer von morgens bis abends keine Attacke mehr verborgen.

  • 25 Tote bei Raketenangriff auf Stadt in XY
  • Luftangriff lässt hunderte Ortschaften ohne Strom
  • Massengrab in XY gefunden
  • Augenzeugen berichten von Folter
  • Die Zahl der Todesopfer liegt im sechsstelligen Bereich

Ein kleiner Einblick in Schlagzeilen der letzten Tage bei einem einzigen Nachrichtensender. Und um möglichst keine Nachricht zu verpassen, meldet die App auf dem Mobilgerät mit leisem Glöckchen und sanfter Vibration den nächsten Todesschlag.

Wie viel von diesen Informationen brauche ich und wozu überhaupt? Was wäre, wenn ich nicht mitmache, mich von diesen permanenten Hiobsbotschaften abschotte?
Wäre es mir dann gleichgültig, dass Menschen in Äthiopien, der Ukraine und anderen Kriegsschauplätzen leiden, fliehen und sterben, dass Kriegstreibende mit offensichtlichen Lügen Hass und Gewalt verbreiten? Negiere ich die Bedeutung des oftmals heroischen Einsatzes von Kriegsberichterstattenden? Ist es meine Pflicht, mich über alles Unheil auf der Welt tagesaktuell zu informieren?

Wozu? Um es selbst weiterzuverbreiten? Um mitreden zu können? Um durch den Bildschirm hindurch Mitleid zu haben? Um für die Menschen hinter den Nachrichten zu beten?

Ich weiß nicht, ob das permanente Informieren mich mehr mitleiden lässt oder aber abstumpfen. Ich fühle mich dabei hoffnungslos überfordert und muss an Jesus denken: Er trug die Schuld der Welt.

Ich muss es also nicht. Gott sei Dank.

Wie wir mit dem Evangelium, der guten Botschaft, umgehen, lernen wir in Katechese, Bibelteilen, Gottesdiensten und Exerzitien. Die Nachrichten mit ihren furchtbaren Botschaften darin fordern uns heraus und wir tun gut daran, gemeinsam zu lernen, wie wir damit umgehen können.


Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de


4 Kommentare zu “Krieg im Wohnzimmer

  1. In der Antike gab es den bis heute bekannten Topos „Schiffsbruch mit Zuschauer“, was meint: die größte Behaglichkeit resultiert aus dem Blick auf das Unglück anderer. Noch Thomas von Aquin glaubte behaupten zu dürfen, der Anblick der Verdammten und ihrer Qualen erhöhe die Freuden der Seligen… Also beide Male das Glück der Entronnenen. Diese Haltung, drapiere sie sich auch noch so fromm und edel, ist sicherlich verwerflich! Aber kann Realitätsverweigerung die Lösung sein. Ich hoffe, der Kommentar ist nicht so zu verstehen. Der französische Philosoph Jean Baudrilliard schrieb 1994: „Der Golfkrieg fand nicht statt“ und 2001: „Das Jahr 2000 fand nicht statt“ — beide aussagen meinen, die betreffenden Ereignisse fanden für die meisten Menschen „nur“ im Fernsehen, d.h. nicht in der Realität statt, weil beide abgespalten voneinander sind; die Ereignisse werden zu „Simulacren“ (so nennt sie Baudrillard). Was kann man gegen ein solches verzerrtes Wahrnehmungsgeschehen zu? Dazu erwarte ich mehr als „fromme“ Hinweise auf Katechese, Bibelteilen und Gottesdiensten.

    1. Lieber Hr. Hecker, danke für Ihren Kommentar. Das Spannungsfeld zwischen der Freude am Unglück der anderen und Realitätsverweigerung ist enorm! In meinem Beitrag liegt das Spannungsfeld zwischen einer permanenten Informationsflut und der Realitätsflucht. Ich weiß nicht, ob es dazwischen irgendwo die goldene Mitte gibt, bei der wir uns dann der Realität auf konstruktive Weise stellen können. Mit meinem letzten Satz denke ich an einen gemeinsamen Lernprozess, der für mich auch in genau dieser Auseinandersetzung stattfindet.
      Meine frommen Hinweise sind nicht als solche gemeint, sondern als ein Beispiel für einen guten und kreativen Umgang mit Botschaften, der vielleicht Möglichkeiten bietet, wie wir mit Nachrichten umgehen. Z.B. könnte man einen Zeitungsartikel nach der Bibelteilmethode lesen und so die verschiedenen Zugänge der Teilnehmenden gewinnbringend sammeln.

  2. Schönen Dank für den heutigen Kommentar von Bruder René! Tatsächlich suche ich für mich auch immer nach einem Weg, tagesaktuell informiert zu sein, ohne dabei alle Schreckensnachrichten und Bedrohungsszenarien in intensiven Bildern und Tönen mit in die Nacht zu nehmen. Ich will die Not in der Welt nicht ignorieren, ich will mich aber auch nicht von ihrer Dunkelheit bestimmen lassen. Im Abendgebet lege ich die Welt vor Gott und summe „Herr, gib uns Deinen Frieden, Frieden, gib uns Deinen Frieden, Herr gib uns Deinen Frieden!“

    1. Lieber Hr. Krieg, danke für Ihren Kommentar. Es ist für mich gut zu lesen, dass die Suche nach einem guten Weg mit den Informationen umzugehen auch andere beschäftigt. So ist es kein einsames Ringen, sondern ein gemeinsames und auch Ihr Friedensgebet ist gemeinsames Gebet mit vielen Menschen auf der Welt, auch mit mir. Shalom, Mir, Selam, Frieden.

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