27.01.2023 Bruder Stefan Federbusch

Kriegsverstrickungen

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Stefan Federbusch

Eines ist klar: Panzer bringen keinen Frieden. Panzer sind Instrumente des Krieges. Davon zeugen ihre Namensbezeichnungen. Es geht nicht um Schmusekatzen. Die Lieferung von Leopard 2 – Panzern an die Ukraine wird zu einer weiteren Eskalation der Situation beitragen. Die Verstrickung des Westens in den Konflikt wird dadurch noch größer.

Es darf nicht vergessen werden, dass vor 80 Jahren die deutsche Wehrmacht genau in die Gebiete vorrückte, die heute umkämpft sind. Der „Große Vaterländische Krieg“ ist das Trauma des russischen Volkes schlechthin. Waffen aus deutscher Produktion – gerichtet gegen russische Soldaten – dürften es erneut wachrufen und es ist höchst ungewiss, welche Reaktionen es russischerseits bewirkt.

Gewiss wiegt es schwer und darf nicht sein, jetzt umgekehrt das ukrainische Volk einem solchen Trauma zu überlassen. Der Verzicht auf eine weitere massive Abschreckung durch westliche Unterstützung könnte vom russischen Präsidenten als Einladung zur Ausweitung seines blutigen Feldzugs verstanden werden!

Nach fast einem Jahr russischer Besetzung scheint keine der beiden Kriegsparteien an einer Verhandlungslösung interessiert. Dennoch sehe ich es nicht zuletzt aus unserer historischen Verantwortung heraus als Verpflichtung, zumal am heutigen 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, dass Deutschland nichts unversucht lässt, den Konflikt am Verhandlungstisch zu lösen. Panzer werden den Krieg nicht eindämmen und beenden. Letztlich geht dies nur durch Diplomatie und durch Verhandlungen. Welcher Weg dahin der richtige ist, vermag derzeit niemand zu beurteilen und so maße auch ich mir nicht an, die richtige Lösung zu kennen. Für jeden politischen Schritt gibt es aktuell überzeugende Argumente, Pro und Contra. Und jede Position und Entscheidung muss angesichts der Dilemmasituation damit leben, sich in irgendeiner Weise schuldig zu machen, da jeder Krieg seine eigene tödliche Dynamik entwickelt.

Aus franziskanisch-christlicher Perspektive bleibt mir nur, meine pazifistische Grundeinstellung zu bewahren und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, der Gewaltfreiheit zum Durchbruch zu verhelfen.


Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de


4 Kommentare zu “Kriegsverstrickungen

  1. Das gegenwärtige Weltgeschehen erinnert mich in vielem an die Vorabende früherer Kriege: Der Gegner wird in Person des Staatslenkers personalisiert und dämonisiert. Wer die Sichtweise der anderen Seite nachzuvollziehen sucht und vermitteln möchte, gilt als Defätist. Statt auf Interessenausgleich setzt man auf die Niederlage des „Feindes“. Seit Jahren kündigen beide Seiten Abrüstungsabkommen auf; der Westen ist hier mindestens genauso tatkräftig wie Rußland. Die Aufrüstungsspirale dreht sich immer schneller. Beide Seiten setzen auf militärische Macht sowie auf Droh- und Abschreckungsszenarien, auch solche atomarer Art. Das erste mal seit der Kubakrise findet der Konflikt wieder direkt vor den Toren einer Atommacht statt, die ihre Interessen und ihre Sicherheit bedroht sieht.

    Aus der Kubakrise zog John F. Kennedy die Erkenntnis, daß die Führer von Nuklearmächten sich nicht gegenseitig in eine Lage bringen dürfen, in der es nur noch die Wahl zwischen Demütigung und Atomkrieg gibt. In welche Lage aber bringen wir Rußland, wenn es die Krim verliert und mit ihr die Schwarzmeerflotte?

    Das Prinzip der atomaren Abschreckung beinhaltet immer das „Restrisiko“, daß die Atomwaffen zum Einsatz kommen. Über einen kurzen Zeitraum ist dieses Risiko vielleicht gering. Mit der Zeit addiert es sich jedoch und beträgt auf lange Sicht an die 100%.

    Dazu ein Gedankenexperiment: Angenommen, ich würde eine Zeitreise in die Welt des Alten Testaments unternehmen. Bekanntlich überfallen auch damals schon Länder ihre Nachbarn und unterdrücken sie. Manche erobern ein Land nach dem anderen und bauen große Imperien auf, z.B. das Babylonische oder das Römische Reich. Das Unrecht von Gewaltherrschern wie Nebukadnezar schreit zum Himmel. Kurz vor mir war jedoch schon ein anderer Zeitreisender dort und hat manchen Ländern Atomwaffen gebracht. Was rate ich den Ländern nun? Rate ich, alles aufzubieten, um Unrecht zu verhindern, inklusive militärischer Maßnahmen? Vielleicht wäre die Zahl der Unterdrückten und Entrechteten dann in meiner Zeitreisen-Welt dank moderner Waffen geringer, als sie es in der Wirklichkeit war. Für einige Jahrzehnte, vielleicht sogar etwas länger. Bis zum unweigerlich irgendwann eintretenden Tag X, an dem sich ein Land im Krieg mit einer Atommacht verkalkuliert hätte. Hier würde die Geschichte des Lebens auf der Erde enden. Die weitere Geschichte bis auf den heutigen Tag hätte nicht stattgefunden. Würde ich das raten? Würde ich den Tag X akzeptieren als Preis für das vermiedene Leid? Oder würde ich den Völkern geraumer Vorzeit raten, alle erdenklichen friedlichen Maßnahmen aufzubieten, auf Krieg aber zu verzichten und dafür im Zweifel Unrecht zu akzeptieren?

    Auch wir haben Verantwortung nicht nur in Bezug auf Unrecht heute, sondern auch gegenüber allem Leben der noch kommenden Jahrhunderte und Jahrtausende!
    Und wie sehr könnten wir das Leid in der Welt reduzieren, wenn wir dazu die Mittel verwenden würden, die wir in Krieg und in dessen Vorbereitung investieren!

    1. „Oder würde ich den Völkern geraumer Vorzeit raten, alle erdenklichen friedlichen Maßnahmen aufzubieten, auf Krieg aber zu verzichten und dafür im Zweifel Unrecht zu akzeptieren?“ Das wäre dann die Umsetzung des von mir erwähnten Spruchs „Lieber rot als tot.“. Wäre das die Empfehlung an die Menschen im russisch besetzten Gebiet? Folter und Mord an ukrainischen Soldaten akzeptieren? Dieses schändliche Tun hat gerade erst ein russischer Offizier zugegeben. Und wie viel des ukrainischen Staatsgebietes darf Russland besetzen, ohne Knurren und Murren des ukrainischen Volkes?

      „Der Gegner wird in Person des Staatslenkers personalisiert und dämonisiert.“ Ich weigere mich zu glauben, dass das gesamte russische Volk diesen Angriffskrieg will. Daher wäre eine Verallgemeinerung à la „die Russen wollen den Krieg“ völlig falsch. Und Putin ist mit Sicherheit kein Unschuldslamm, das man zu Unrecht „dämonisiert“. Er ist der Kriegstreiber, der sich für diesen völkerrechtswidrigen Angriff entschieden hat.

      „In welche Lage aber bringen wir Rußland, wenn es die Krim verliert und mit ihr die Schwarzmeerflotte?“ Hier wäre es gut, wenn man sich zuvor zum Thema Krim schlau macht. >Die Krim wurde in der frühen Antike von Taurern und Kimmerern bewohnt. Kurz vor der Griechischen Kolonisation des Schwarzmeergebiets im 7./6. Jahrhundert v. Chr. wanderten die Skythen, von Osten kommend, auf die Krim und andere von den Kimmerern besiedelte Gebiete ein. Später stand das Gebiet unter römischer, gotischer, sarmatischer, byzantinischer, hunnischer, chasarischer, kyptschakischer, mongolisch-tatarischer, venezianischer, genuesischer und osmanischer Herrschaft und wurde schließlich Ende des 18. Jahrhunderts Teil des Russischen Kaiserreichs. Nach dem Russischen Bürgerkrieg wurde es Teil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik innerhalb der Sowjetunion (UdSSR), war im Zweiten Weltkrieg stark umkämpft und zeitweise von der Wehrmacht besetzt. Nach der Rückeroberung durch die Rote Armee im Jahr 1944 folgten Massendeportationen nicht-russischer Ethnien unter Stalin. 1954 wurde die Krim unter Chruschtschow an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik angegliedert und verblieb nach Auflösung der UdSSR innerhalb des ukrainischen Staates.< Die Krim ist also ukrainisches Staatsgebiet, das 2014 von Russland besetzt worden ist! Wenn man Russland die Besetzung der Krim als rechtmässig zugesteht, dann öffnet das Tür und Tor für revanchistisches Denken und Handeln. Deutschland könnte sich Ostpreussen und Schlesien zurückholen, Österreich das wirtschaftlich starke Südtirol usw.

      Das alles soll aber nicht heissen, dass man auf sämtliche Friedensbemühungen verzichten soll. Im Gegenteil. Aber dazu braucht es auch gesprächsbereite Parteien. Russland ist nicht bereit. Das ist derzeit Fakt. Und letztlich muss das Ziel heissen: Verbot aller Atomwaffen. Aber wer wagt diesen Schritt zuerst und macht sich so angreifbar(er)? Und kann der Westen Putin trauen, wenn er zusagen würde, sein Land abzurüsten? Man denke an das Geheimabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion, also zwischen Hitler und Stalin. Deutschland durfte Polen besetzen, ohne dass die Russen eingreifen. Könnte man also der Gegenseite, in dem Fall Russland / Putin, wirklich trauen? Wer hat den Mut dazu?

  2. Selbstverständlich ist alles wichtig, das zu einem Frieden würde. Da muss man nicht lange diskutieren. Aber bis dahin? Und da finde ich die Frage gerechtfertigt: Was ist bis dahin? Muss sich die Ukraine den völkerrechtswidrigen Angriff auf sein Territorium gefallen lassen? Immerhin gibt es denn durchaus ernstgemeinten Spruch aus der Zeit des kalten Krieges „Lieber rot als tot.“ Und es ist ja nicht der erste Angriff auf die Ukraine, denn es wurde ja schon vorher ukrainisches Gebiet besetzt – ebenfalls völkerrechtswidrig. Und Russland zeigt dabei deutlich, wie wenig sie die Genfer Konventionen achten. Gern geht auch vergessen, dass die damalige Sowjetunion in den 1930er Jahren bereits einen perfiden „Angriff“ auf seine Sowjetrepublik Ukraine durchführte, der Holodomor. Dabei liess man die Ukrainer verhungern. Zuerst wurden den Bauern die Höfe enteignet und anschliessend mussten diese für die Russen auf den Feldern arbeiten, um überhaupt etwas zu essen zu bekommen, was dennoch bei weitem nicht ausreichte. Ziel war es also, die angestammte Bevölkerung auszuhungern.
    Hier stelle ich also nochmals die Frage: Darf und soll sich die Ukraine verteidigen und darf sie es mit der Unterstützung durch moderne Waffentechnik, damit das Morden und die Angriffe auf Wohnhäuser, Schulen und Spitäler endlich ein Ende finden? Da die russisch-orthodoxe Kirche ein starker Unterstützer dieses Angriffskrieges ist, spielt auch das 5. Gebot eine gewisse Rolle: „Du sollst nicht töten.“ Also dann doch lieber rot als tot? Der gesunde Menschenverstand kann nur die Selbstverteidigung des angegriffenen Landes zulassen. Und der russische Aggressor muss begreifen, dass zumindest in Europa die Zeiten vorbei sind, in denen man seinen Nachbarn überfällt, ohne dass es ernsthafte Konsequenzen hat. Da der User Mario den Zweiten Weltkrieg angesprochen hat, darf man durchaus daran erinnern, dass Europa und die Welt nichts unternommen hat, als Hitler die Tcheschei besetzt hatte. Erst beim Überfall auf Polen traten England und Frankreich in den Krieg ein. Ein zögerliches und kleinliches Helfen im Fall der Ukraine kostet Menschen das Leben, nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten. Dies darf nicht sein!

  3. Leopardlieferungen an die Ukraine stellen keine Eskalation dar, sondern sie sind völkerrechtlich gedeckte Hilfen zur Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine
    und zur Beendigung der unzähligen Kriegsverbrechen, die von den Truppen der russländischen Föderation auf dem ukrainischen Staatsgebiet fortlaufend begangen werden. In diesem Krieg eskaliert nur einer und der heißt Putin. Wenn man in diesem Zusammenhang das Trauma des
    „Großen-Vaterländischen-Krieg“ bemühen muss, sollte nicht unter den Tisch gekehrt werden, dass die damaligen Verbrechen der nationalsozialistischen deutschen Wehrmacht vor allem an dem ukrainischen und dem weißrussischen Volk verübt wurde.

Schreibe einen Kommentar zu Mario Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert