07.08.2020 Bruder Martin Lütticke

Miteinander Kirche sein

<> Der Kommentar der Woche.

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren die Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Martin Lütticke

In der Diskussion um die „black lives matter-Bewegung“ in den USA und die Frage, ob es auch Rassismus bei uns in Deutschland gibt, habe ich gelernt, dass es schräg ist, wenn in Deutschland geborene, weiße Männer der Oberschicht behaupten, bei uns gäbe es keinen Rassismus. Dagegen gilt es die Perspektive der Anderen, der Betroffenen, der Benachteiligten einzuholen.

Wie ist das in der Kirche? Ich empfinde es als genauso schräg, wenn in Dokumenten, die von alten, geweihten Männern der Kirchenhierarchie verfasst werden, immer wieder die wichtige Rolle der Laien in der Kirche und die hohe Bedeutung gerade der Frauen betont wird, ohne dass diese beteiligt sind am Zustandekommen dieser Dokumente. Wie sähen solche Texte aus, wenn die Laien, das Volk, tatsächlich gehört würden und Stimme hätten? Wie sähe eine Kirche aus, in der tatsächlich Frauen Gleichberechtigung erführen?

Nach einem inspirierenden, kreativ-geistlichen Beginn über missionarische Kirche folgen in der vatikanischen Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ kirchenrechtliche Beschreibungen, die festlegen, dass nur der geweihte Priester Leiter einer Gemeinde sein darf und alle anderen Leitungsmodelle in der katholischen Kirche keinen Platz haben. Nichts Neues, aber doch war die Sehnsucht nach Neuem groß.

Die deutsche Kirche ringt seit Jahrzehnten um immer die gleichen Fragen und kommt nicht vorwärts. Sie sucht Schlupflöcher im Kirchenrecht, um das einzuholen, was in vielen Gemeinden vor Ort längst schon gelebt wird und lebendige Praxis ist.

Ein synodaler Gesprächsprozess folgt dem nächsten. Am Ende steht dann das Kirchenrecht und die Entscheidung aus Rom, die sagt: „Geht nicht!‘ Das macht müde und bremst viele engagierte, gläubige Menschen aus.

Die Initiative ‚Maria 2.0‘ habe ich als hoffnungsvollen, mutigen und kraftvollen Schritt erlebt, miteinander Kirche zu leben und zu gestalten, die sich immer wieder an der frohen und befreienden Botschaft des Evangeliums Jesu Christi orientiert.

Meine Vision: Wenn es denn schon so sein soll, dass nur geweihte Menschen in der Kirche Leitungsfunktionen innehaben, dann soll man sie halt weihen, all die Menschen, Männer und Frauen, Verheiratete und Zölibatäre, die begabt und berufen sind, sich mit ihrem Glauben, ihrem Engagement und ihren Fähigkeiten in die Leitung einer geschwisterlichen, Gott und den Menschen dienenden Kirche einzubringen.

Meine Hoffnung: Dass sich all diese Frauen und Männer, Laien und Priester, nicht entmutigen lassen und weiterhin vor Ort Kirche leben.


Der Blick zurück, der Blick nach vorne, und der Blick nach innen.
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Immer freitags auf franziskaner.de


4 Kommentare zu “Miteinander Kirche sein

  1. Guten Tag Herr Kastenholz,

    Ihre Erwartungen an die römisch-katholische Kirche stehen im Widerspruch zu den Lehren der Kirche seit deren Gründung vor 2000 Jahren. Sie stehen im Widerspruch zu den Grundlagen, wie sie in der Bibel, in den Beschlüssen der Konzikilien, den Kirchenvätern und dem Katechismus verfasst wurden.
    Wenn Sie dennoch eine andere Vorstellung von Kirche haben – wäre es dann nicht an der Zeit Konsequenzen zu ziehen und sich eine Kirche zu suchen, die Ihren Vorstellungen entspricht. Auch wenn diese Kirche in Bezug auf die Tötung ungeborenen Lebens, der Grundlage der Kirche (Mann und Frau als Basis der Familie) und der Vorstellung eines Menschen (nicht als Mann und Frau sondern als eine von ungefähr 70 Varianten die sich ändern können) fundamental entgegengehende Vorstellungen haben.
    Meine Kirchensteuer wird in Deutschland von einer Bischofskonferenz verwaltet, die die Bibel und den Katechismus ändern will – ohne einen dafür erforderlichen Beschluss der Weltkirche. Ich würde gerne meine Kirchensteuer anders verwenden als für die Propagierung nichtkatholischer Ziele.

    1. Lieber Herr Nowag, die Kirche in der Gegenwart mag ja vieles brauchen, aber sicherlich keinen ‚tumben‘, also unreflektierten, besserwisserischen und hämischen Fundamentalismus, der auch noch pharisäerhaft auf andere zeigt. Da Sie behaupten, die Bibel so gut zu kennen, dann lesen Sie doch bitte nach, was Jesus im NT über diese Haltung zu verstehen gibt. Oder passt dessen Geisteshaltung Ihnen auch nicht? Eigentlich wollte Ihre Einlassungen gegen Herrn Kastenholz mit sog. Fremdschämen übergehen, aber manchmal ist der Unsinn so groß, dass einem der Hut dann eben doch hoch geht. Ihren Katholizismus möchte ich so wenig haben wie das „Gedankengut“ jeder anderen Sekte.

    2. Herr Nowag, wenn Sie die Evangelien etwas aufmerksamer gelesen hätten, wäre Ihnen nicht entgangen, dass an KEINER Stelle die Rede davon ist, dass Jesus eine Kirche gründen wollte. Dass dies doch geschehen ist, liegt wohl eher im Menschen selbst begründet, der sich schon immer in Horden und Gruppen organisiert hat. Der Mensch braucht Struktur. Und diese menschlichen Strukturen haben sich immer wieder verändert – bis hin zur heutigen und mehrheitlich gewollten Staatsform, der Demokratie. In den Anfängen der Kirche, der sogenannten Urkirche, gab es zwar auch Vorsteher der Gemeinden, es gab die Apostel, aber man sah sich als Schwestern und Brüder und nicht als hierarschich verfasste Struktur. Erst später, analog zur weltlichen Entwicklung der Feudalgesellschaften, wurde auch die Kirche eine Gebilde mit einem Machtgefälle: von oben nach unten. Die katholische, und für Sie betone ich es deutlicher, die römisch-katholische Kirche ist auf dem Stand einer absolutistischen Monarchie stehen geblieben und hat sich seitdem nicht mehr weiter entwickelt, oder kaum noch. Wenn Sie, Herr Nowag, gern Teil einer solchen Struktur sein möchten, dann steht Ihnen das frei. Mir und allen anderen Kirchenmitgliedern, die sich weiter entwickelt haben, dann aber zu sagen, wir sollen uns eine andere Kirche suchen, ist ein wenig billig. Dank der Wissenschaften, und hier betont die Kirche ja gern, dass Kirche und Wissenschaft sich einander ergänzen und bereichern, diese Wissenschaften haben so viele neue Erkenntnisse erbracht, auch über den Menschen und sein Wesen und seine Sexualität. Menschen wie Sie stecken aber gern den Kopf in den Sand wie der berühmte Vogel Strauss. Sie leugnen schlichtweg die Realität. Ich persönlich finde das eine oder andere in der Genderdiskussion ein wenig aufgebauscht und kann nicht alles mittragen. Aber es ist doch z.B. Tatsache, dass es Homosexulität in der Tierwelt gibt (siehe Stockenten und Pinguine, wo man beobachten kann, dass 2 männliche Tiere sich um Eier und Nachwuchs kümmern). Die nordamerikanischen Ureinwohner kennen 3 „Geschlechter“. Neben Männern und Frauen gibt es die sogenannten „Two Spirit“-Menschen, also „Zwei-Seelen-Menschen“. In Sulawesi kennt man sogar 5 Geschlechtsidentitäten. Das sind Realitäten und entstammt nicht etwa einem Märchenbuch. Dies alles wird von der Kirche geleugnet. Übrigens wurden die Two-Spirits dank der katholischen Kirche und ihrer Lehre zur Sexualmoral zu Ausgestossen in ihren Völkern – bis heute!

      Das Bild von den Schafen und dem Hirten finde ich durchaus sehr schön. Und ich lasse dieses Bild auch gern für mich zu, aber ich lasse mich nicht von einer Kirche für dumm verkaufen und niedrig halten. Ich lasse mein ein selbständiges Denken und Urteilen nicht verbieten. Ich lasse mich nicht in ein Korsett, in ein Gedankengebäude drängen, dem der Mief des Mittelalters anhaftet. Und ich denke auch nicht, dass dies von Gott so gewollt ist. Denn sonst hätte er den Menschen nicht nach seinem Ebenbild geschaffen. Oder ist Gott tatsächlich so kleinkariert? Wohl kaum!

      Apropos Kirchensteuer: Ja, auch ich wünsche mir selbständig darüber zu entscheiden, wofür mein Geld verwendet wird. Jedenfalls nicht für eine unnütze konservative katholische Hochschule wie von Herrn Wölki angestrebt. Nicht für eine überholte Machtstruktur im Vatikan und in den Bistümern. Nicht für eine Kirche, die die Hälfte ihrer Kinder / Schafe nur als Helfer für den Blumenschmuck in den Kirchen oder als Pfarrhaushälterinnen (im kanonischen Alter!) sieht, nämlich die Frauen. Und ob diese römisch-katholische Kirche ihr schwerstes aller Verbrechen, den Missbrauch von Kindern, überlebt, das muss sich erst noch zeigen. Sollte diese unflexible und verknöcherte Struktur zugrunde gehen, dann habe ich dennoch die Hoffnung, dass aus dem Scherbenhaufen etwas Neues entsteht, eine Gemeinschaft von Menschen, die denken und handeln wie Jesus Christus, der ja auch Umgang hatte mit Zöllnern und Huren, dem man vorwarf, er sei ein Fresser und Säufer. Eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht verurteilen und ausstossen, die sich in geschwisterlicher Liebe zugetan sind. Das wollte auch Franz von Assisi für seine Gemeinschaft. Und dem streben die Franziskaner bis heute nach.

  2. Im Evangelium vom Donnerstag der 17. Woche im Jahreskreis heisst es am Schluss: “ Jeder Schriftgelehrte also, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt.“ Dazu heisst es im Begleittext beim Tagesimpuls: „Für die Kirche ist entscheidend, dass die Jünger die Lehre des Meisters richtig verstehen und richtig weitergeben. Wenn sie alles verstanden haben, werden sie auch in neuen Situationen aus ihrem Vorrat das Richtige hervorholen können, sie werden sich nicht ängstlich an alte Formeln klammern, wo neue Lösungen gebraucht werden.“ Die Amtskirche tut nun genau das: Sie hält an Überholtem und alten Formlen fest, wo neue Lösungen schon längst gefragt und überfällig sind. Die Instruktion zur Frage der Beteiligung der Laien wurde mit Genehmigung von Papst Franziskus herausgegeben. Bereits die päpstliche Verlautbarung nach der Amazonas-Synode liess erkennen, dass die Hoffnung auf eine Reform in der Kirche vergebens ist und Papst Franziskus nun doch nicht der grosse Erneuerer ist, für den ihn wohl viele Gläubige gehalten haben. Die zu recht kritisierte Instruktion zeugt von einem Kirchenbild, das man eher vorkonziliar nennen kann. Die an der Erstellung Beteiltigten machen aber auch deutlich, dass sie die Situation in der Weltkirche nicht kennen oder sie aber schlichtweg verleugnen. Daher finde ich die Empfehlung, die ich in einem Zeitungsartikel gelesen habe, durchaus erwägenswert: Jeder, der zum Bischof ernannt wird, muss vor Amtsantritt erst einmal mehrere Jahre im Amazonasgebiet leben und wirken und danach in einer Pfarrei in Deutschland, um die Wirklichkeit, das reale Kirchenleben zu spüren und zu begreifen. Wichtig wäre auch eine Verjüngung des Kardinalskollegiums, damit eine Vergreisung in diesem Gremium verhindert wird.

    Die Frage liegt auf der Hand: Was nun? Wie weiter? Einige Bischöfe / Bischofskonferenzen haben sich zur Instruktion erstaunt geäussert. Der Bischof von Basel hat seinen kritischen Anmerkungen ganz diplomatisch noch ein paar positive Dinge vorangestellt, die er dem Schreiben entnehmen konnte. Aber ist Erstaunen äussern genug? Hilft das im realen Kirchenalltag? Ich finde nein. Zwar muss man froh sein, dass der Basler Bischof in seinem Sprengel alles so weiterlaufen lässt wie anhin, d.h. Laien dürfen Leiter einer Pfarrei sein und WGF vorstehen – inklusive Predigt. Aber bzgl. so wichtiger Fragen wie Gleichberechtigung für Frauen in der Kirche, Aufhebung der Verpflichtung zum Zölibat für Priester, Ausschluss von Homosexuellen vom Priestertum usw. kommen wir trotzdem keinen Schritt weiter. Kirchenrechtlich gesehen gibt es ohnehin keinen gangbaren Weg, um die Ewiggestrigen in Rom in den Ruhestand zu senden. Da in Deutschland und der Schweiz die Kirchensteuer vom Staat einkassiert und an die Kirche weitergegeben wird, kann das Druckmittel der Steuerverweigerung nicht angewandt werden. Damit stehen wir Gläubigen da, wie die sprichwörtliche Schafherde, der der Hirt die Richtung vorgibt. Was aber, wenn der Leidensdruck der Laien noch grösser wird? Ich sehe da die Gefahr einer Abspaltung der Unzufriedenen und Enttäuschten. Sicher, würde sich z.B. die Gruppierung „Wir sind Kirche“ entschliessen, der Kirche den Rücken zu kehren, dann wäre das ein Schlag ins römische Kontor, der in mehrfacher Hinsicht wehtut. Würde es aber ein Umdenken bewirken? Die Antwort ist ein Vielleicht mit vielen Fragezeichen. Und letztlich kann eine Kirchenspaltung auch nicht das Ziel sein. Spaltung war noch nie die Lösung. Hier in der Schweiz gibt es das „Gebet am Donnerstag“. Man betet für die Gleichstellung der Frau in der Kirche. Und so ist denn auch das stete Gebet als Weg einzuschlagen, den wir Laien gehen können. Und ich schliesse mich Bruder Martin an, dass sich nämlich „Frauen und Männer, Laien und Priester, nicht entmutigen lassen und weiterhin vor Ort Kirche leben.“

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