29.01.2021 Bruder René Walke

Wir haben doch gelernt! – Oder?

<> Der Kommentar der Woche.

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren die Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder René Walke

Beim Holocaust-Gedenken im Bundestag am Mittwoch weist die Publizistin Marina Weisband darauf hin, dass Antisemitismus nicht dort beginne, wo auf eine Synagoge geschossen werde und so auch die Shoa nicht mit Gaskammern anfing: „Es beginnt mit Verschwörungserzählungen.“

Die Weltwirtschaftskrise, die 1929 begann, wird auch „great depression“ genannt – nach goldenen Zwanzigern breitet sich die Not der 30er Jahre rasant in Deutschland aus. Not muss gebannt werden, gelindert, bekämpft – sicherlich gibt es Ansätze dazu in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, etc. Doch die verheißungsvollsten Antworten gibt die NSDAP. Dabei wird es zunehmend gleichgültiger, ob es Wahrheit oder Lüge ist. Eine schnelle Lösung – die zur katastrophalen „Endlösung“ mutiert.

Die Pandemie lässt antisemitische Verschwörungstheorien wuchern: Eine einfache Erklärung für das, was uns alle bedroht und einengt – verbunden mit einer einfachen Lösung – und da wären wir wieder in der gleichen Falle, wie vor fast einhundert Jahren.

Das darf nicht geschehen – das wird nicht geschehen – das kann doch nicht geschehen: Wir haben doch gelernt!

Was immer ich gelernt habe: Wenn meine Geduld auf die Probe gestellt wird und die Not und Enge zunimmt, steigt die Tendenz, einfache Lösungen ungeprüft und gegen besseres Wissen und Empfinden zu akzeptieren.

Die Sehnsucht von Marina Weisband ist, „einfach nur Mensch (zu) sein“. Ich nehme dies als Marker dafür, ob meine und unsere kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Lösungen diesem Wunsch entsprechen: Kann ich dabei Mensch sein und bleiben? Und auch mein Nächster, mein Freund und selbst mein Feind?

Jesus ist Mensch geworden – einer von uns – ein Jude.


Der Blick zurück, der Blick nach vorne, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
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