05.03.2021 Bruder Franz Richardt

Zukunft erfinden

<> Der Kommentar der Woche.

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren die Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder Franz Richardt

Ich sehe in Nachrichten das Notlager für Geflüchtete im Sudan und die Gewalt in Äthiopien, ich sehe die Gewalt des Militärs gegen über den Demonstranten in Myanmar, die Gewalt des Staatsapparates in Russland, in Belarus und anderswo gegenüber denen, die für freiheitliche Rechte, für mehr Demokratie demonstrieren. Ich höre in Nachrichten, wie viele Frauen ihrer Rechte beraubt werden, als Mädchen verstümmelt werden, ich höre von Verschleppungen ganzer Mädchenschulklassen in Nigeria, die Reihe der schlimmen Nachrichten ließe sich fortsetzen.

Gleichzeitig lese ich im Evangelium diese Woche (Mittwoch der 2. Fastenwoche): „Jesus sagte: ‚Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein‘“ (Mt 20,26-27).

Ja, so ist es, ich kann nur zustimmen. Ja – manche Mächtige – Gott sei Dank nicht alle – missbrauchen ihre Macht. Aber: Reicht das, diese Zustände festzustellen? Ist es mit „bei euch soll es nicht so sein“ getan? Es sind unerträgliche Zustände, eine starke Belastung, solche Bilder immer wieder zu sehen und sehen zu müssen. Wären nicht Protest, Entrüstung, Anklage, öffentlicher Widerstand angesagt? Klar – eine Reihe westlicher Staaten verhängen Sanktionen, aber bewirken sie einen Einhalt? Und was nützt Empörung? Vielleicht ist ein Zeichen der Solidarität mit den Leidenden. Aber letztlich kommen mir mehr Fragen, als dass ich das Gefühl von befriedigenden Antworten hätte, wie eine Lösung aussehen kann.

Auf der anderen Seite: Jesus war kein politischer Messias. Und: Ist es nicht sehr viel, wenn seine Weisung gelebt würde: „Bei euch soll es nicht so sein“? Eine Weisung in die Welt hinein, mit dem Potenzial einer Veränderung zum Guten: Egal wo, ob in der Politik oder der Kirche: bei euch soll es keinen Missbrauch von Macht geben, keine Unterdrückung von Meinungen, keine versteckte Ausnutzung von Machtpositionen, sondern argumentative Auseinandersetzung, Toleranz anderer Meinungen, Hinterfragung von immer wieder behaupteten Sätzen und Satzungen, Suche von gemeinsamen Wegen in die Zukunft. Nicht notgedrungen, sondern gewollt: aus Freude an Kreativität. „Die beste Möglichkeit, Zukunft vorherzusagen ist, sie zu erfinden!“ (Alan Kay).


Der Blick zurück, der Blick nach vorne, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de.


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