Ich habe Tausende von Leichen seziert, aber nie eine Seele gefunden«, soll Rudolf Virchow gesagt haben. Hätte er eine finden sollen?
Die Vorstellung einer Seele durchzieht die Religions-und Philosophiegeschichte. Sie knüpft an der unmittelbaren Selbsterfahrung des Menschen an. Als körperliches Wesen ist er abhängig, begrenzt und endlich: Er wird geboren, altert und stirbt. Aber er erlebt zugleich, dass er mit seiner Persönlichkeit, seinem Ich mehr ist als nur sein Körper. Der Geist kann lebendig sein, wenn der Körper verfällt. Lust will Ewigkeit (Friedrich Nietzsche). „Einen Menschen lieben, heißt sagen: Du wirst nicht sterben!“ (Gabriel Marcel)
Die Begrifflichkeiten wechseln, die Frage bleibt gleich: Wie verhalten sich Materie und Geist, Physis und Psyche, Leib und Seele zueinander? Oft wurden sie dualistisch einander gegenübergestellt. Das hat auch zu dem Versuch geführt, den Menschen auf einen der beiden Pole zu reduzieren. Dann wird der Geist zu einer reinen Funktion der Materie. Dann bestimmen die gesellschaftlichen Verhältnisse das Bewusstsein (Karl Marx) und psychische Vorgänge sind allein neurobiologisch erklärbar. Oder aber das Geistige ist der „eigentliche“ Mensch, dann wird alles Materielle und Körperliche minderwertig und böse, so dass man sich davon befreien muss. Für Platon ist der Körper der Kerker der Seele. Östliche Erlösungsvorstellungen zielen auf die Loslösung von allem Stofflichen.
Der Mensch hat nicht nur einen Leib. Er ist Leib. Über diesen Leib ist er Teil der Welt und kommuniziert mit anderen: Er erfährt Lust und tiefe Vereinigung, heilende Nähe und Schmerz, Verantwortung und Sorge. Er ist beseelter Leib, Geist in Leib, in seinen verschiedenen Dimensionen immer nur einer. Medizin und Physik etwa entdecken heute wieder neu dieses Ineinander von Materie und Geist.
Im Lauf der Geschichte ist eine gewisse Leibfeindlichkeit in das Christentum eingedrungen. Dabei ist sie der biblischen Botschaft fremd. Denn die gesamte Wirklichkeit ist von Gott geschaffen. Und „Gott sah, dass es gut war“. Der Mensch als ganzer, auch als körperliches Wesen, ist Ebenbild Gottes. Nach den biblischen Schöpfungserzählungen ist er ein Klumpen Lehm, ein Stück Erde, dem Gott seinen Atem einhaucht. Dadurch wird er lebendig. Sein Leben kommt also aus der Beziehung zu Gott, ist Teilhabe am göttlichen Leben. Gottesbeziehung aber ist immer auf Dauer, auf Ewigkeit angelegt. Und dieser Gott hat in Jesus Christus selbst einen Leib angenommen. Paulus lädt ein, Gott mit unserem Leib zu verherrlichen, der Leib ist „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19f.). In den Sakramenten wird Gottesbegegnung körperlich vermittelt: Der Körper wird mit Wasser übergossen, berührt, gesalbt, mit Brot gestärkt. Und schließlich erwartet uns als Vollendung nicht nur die Rettung der Seele, sondern die Auferstehung des Fleisches und ein neuer Himmel und eine neue Erde.
Die Frage, wie das sein wird, ist interessant, aber weder zu beantworten noch wichtig. Entscheidend ist, dass dann der ganze Mensch bei Gott ist.
Erstveröffentlichung Zeitschrift „Franziskaner“ Frühjahr 2017