23.01.2017 Eine Buchbesprechung von Bruder Stefan Federbusch

Muslime und Christen

Ein franziskanischer Blick auf den Islam

Jürgen Neitzert - Muslime und Christen. Ein franziskanischer Blick auf den Islam
Jürgen Neitzert – Muslime und Christen. Ein franziskanischer Blick auf den Islam.

Im Nachrichtenblatt „Fraternitas“ der Ordensleitung der Franziskaner in Rom war zu lesen: „Die Kommission für den Dialog mit dem Islam traf sich vom 21.-25. November 2016 an der Generalkurie. Ziel dieses Treffens war es, die Agenda der Aktivitäten und Projekte für die nächsten sechs Jahre festzulegen, unterschiedliches mehrsprachiges Arbeitsmaterial vorzubereiten, um den Orden in diesem entsprechenden Anliegen Anregungen geben zu können, den ökumenischen und interreligiösen Dialog zu fördern sowie den 800-Jahrestag des Treffens zwischen dem hl. Franziskus und Sultan Malik al-Kamil im Jahre 1219 vorzubereiten.“

Einer, der den Dialog mit dem Islam seit Jahren pflegt, ist Bruder Jürgen Neitzert aus Köln. Durch das Studium der Islamwissenschaft, die Jugendarbeit mit muslimischen Jugendlichen sowie regelmäßigen Aufenthalten in der Franziskanerkommunität von Istanbul ist er nah dran am aktuellen Geschehen. Im Rahmen der Buchreihe „Franziskanische Akzente“ hat er den Band „Muslime und Christen“ vorgelegt. Sein Einstieg „Ein Tag unter Muslimen“ bestätigt den christlich-islamischen Dialog und das interreligiöse Zusammenleben als Tagesgeschäft und Herzensanliegen des Autors.

Das erste Kapitel ist der Rückbezug auf die Ursprünge des franziskanischen Dialogs. Geschildert werden die Begegnung zwischen Franz von Assisi und Sultan al-Malik al-Kamil im Jahr 1219 sowie die Konsequenzen, die Franziskus daraus für sich und seine Bruderschaft zieht. Manches Erlebte wie beispielsweise die Gebetspraxis der Muslime stellt er den Brüdern als Vorbild hin. Im Folgenden werden einige Franziskaner angeführt, die den christlich-islamischen Dialog aufgegriffen und weiter geführt haben: Roger Bacon (1220-1292) und Raimund Llull (1232-1316). Im 15. Jh. sind es Fra Andjeo Zvijezdovic von Bosnien und Sultan Fatih Mehmet, die für Bosnien einen Schutz der Christen durch die muslimischen Herrscher aushandeln. Für eine andere Erfahrung steht Johannes Capistran, der zur Verteidigung Belgrads gegen Sultan Fatih Mehmet II. im Juli 1456 aufruft. Die Kapuziner Laurentius von Brindisi (1559-1619) und Marco d’Aviano (1631-1699) wirken als Prediger und tragen wesentlich zum Kampf bzw. Sieg gegen die Osmanen bei Wien und Belgrad bei.

Vorgestellt wird die rund 800-jährige Präsenz der Franziskaner im Heiligen Land und den umliegenden Staaten Syrien, Ägypten, Libyen, Sudan, Marokko. Papst Clemens VI. bestätigt die Franziskaner 1342 mit zwei Bullen als Hüter der hl. Stätten und begründet so die bis heute bestehende Kustodie vom Heiligen Land. Eingegangen wird auf die franziskanische Präsenz in Bosnien und in der Türkei sowie in den asiatischen Ländern Pakistan, Indonesien und Philippinen.

Im zweiten Kapitel geht es um die gemeinsamen Wurzeln der drei abrahamitischen Religionsgemeinschaften, ebenso um die Konfliktlinien, die sich daraus ergeben. Gemeinsamer Bezugspunkt ist Abraham als Stammvater des Glaubens. Im Islam ist er in 25 Suren erwähnt. Kurz hingewiesen wird auf seine Bedeutung im Judentum und im Islam, nicht aber im Christentum. Auch fehlt eine Einschätzung, inwieweit Abraham als Bezugspunkt für den interreligiösen Dialog tatsächlich tauglich ist. Dies wird offensichtlich vorausgesetzt. Mit Johannes Kubik ist aber kritisch zu fragen: „Taugt Abraham als Integrationsfigur für den interreligiösen Dialog?“ (Loccumer Pelikan 2/2006, S. 61-65). Diese Frage stellt auch Ludger Schwienhorst-Schönberger (CIG 21/2016, S. 225): „Inwieweit eignet sich eine literarische Figur in Bibel und Koran für die Verständigung von Judentum, Christentum und Islam?“ Mit Hubert Frankemölle (Vater im Glauben? Abraham/Ibrahim in Tora, Neuem Testament und Koran, Herder Verlag, Freiburg 2016) verweist er darauf, dass für Mohammed Abraham (Ibrahim) zu einer Figur der Abgrenzung wird. Nach Sure 3,68 war Abraham weder Jude noch Christ, sondern Anhänger des unverfälschten monotheistischen Glaubens. Da Juden und Christen diesem Anspruch nicht gerecht werden, stehen sie aus islamischer Sicht nicht in der Tradition der Religion Abrahams. Der Islamwissenschaftler Friedmann Eißler merkt dazu an: „Die Bezugnahme der drei großen religiösen Traditionen auf Abraham ist offensichtlich so unterschiedlich, dass die Behauptung einer grundlegenden Gemeinsamkeit entweder nur Hülle ohne Inhalt ist oder aber im Namen einer gemeinsamen Symbolfigur einer eigenen, neuen Konstruktion jenseits dessen bedarf, was in der jeweiligen Glaubensgemeinschaft in Geltung steht“.

Das dritte Kapitel stellt die wesentlichen Grundlagen des Islam vor, deren Kenntnis für den Dialog zwingend erforderlich ist. Zu den 5 Säulen des Islam zählen Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Almosen und die Pilgerfahrt nach Mekka. Aus christlicher Perspektive aufschlussreich ist die Bedeutung Jesu, der im Koran öfter erwähnt wird als der Prophet Mohammed, und seiner Mutter Maria. Immer wieder heiß diskutiert wird die Bedeutung des Begriffs „Dschihad“ (= Anstrengung), da er als „hl. Krieg“ für die Rechtfertigung von Terror und Gewalt missbraucht wird. Heute teilweise als rein ethische Komponente der Anstrengung um ein gutes Leben qualifiziert, steht er vom Ursprung her für die defensive Verteidigung der angegriffenen Muslime. Ebenso umstritten ist der Begriff der „Scharia“, der für das islamische Rechtssystem steht. Eine Problematik besteht in der Spannung zu den allgemeinen Menschenrechten. Einige Staaten erkennen nur diejenigen Rechte voll an, die mit der Scharia übereinstimmen. Eine wichtige Frage auch in Deutschland, ob das Grundgesetz wirklich voll akzeptiert wird von denjenigen, die die Scharia bzw. das Verständnis, das sie von ihr haben, als verbindlich ansehen. Vorgestellt werden die verschiedenen islamischen Gruppierungen und Rechtsschulen: Sunniten, Schiiten, Charidschiten und Aleviten.

Das vierte Kapitel widmet sich dem Sufismus. Berühmte Persönlichkeiten des Sufismus sind Hasan al-Basri (642-728), Rabia al-Adawiyya (714/718-801), Abu Hamid al-Ghazali (1058-1111), Dschalal ad-Din Rumi (1207-1273) und Yunus Emre (1250-1321). „Jesus, der letzte Prophet vor Mohammed, gilt ihnen als der wahre Gottesliebende, der Demut, Frieden, Liebe und Güte lehrt. Durch Gebet suchen die Sufis mit Gott im irdischen Leben eins zu werden. Der Mittelpunkt der sufischen Lehre ist die Hinwendung zu Gott, die Liebe“ (61). In der islamischen Orthodoxie wird der Sufismus als nicht islamisch angesehen, da er Elemente von Musik und Tanz enthält und die Gottesferne durch das Gottesgedenken (Dhikr) zu überwinden sucht. Mit ihrer mystischen Gotteserfahrung und der Liebe zur Schöpfung weist der Sufismus Berührungspunkte zur franziskanischen Spiritualität auf.

Im fünften Kapitel „Dialog mit dem Islam in Deutschland“ werden Chancen und Probleme benannt. Beschrieben werden die zahlenmäßige Verteilung der muslimischen Richtungen und ihre Organisationsformen, zumeist in so genannten Moscheeverbänden. Erläutert werden der Ursprung und die Entwicklung des sunnitischen Salafismus, dessen extreme Ausrichtung zum Islamismus zur Gewaltbereitschaft geführt hat. Al-Quaida und der sogenannte „Islamische Staat“ haben hier ihre ideologische Verwurzelung. Kritisiert wird auch in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder die mangelnde innerislamische Verurteilung der von diesen Gruppierungen begangenen Gewaltverbrechen. Verwiesen wird daher auf einen Brief aus dem Jahr 2014, in dem 120 hochrangige Islamgelehrte genau dies tun. Für das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft schlägt der Autor die Goldene Regel vor und verweist auf das Projekt Weltethos von Hans Küng sowie die Erklärung des Weltparlaments der Religionen (1993).

Im Kapitel 6 beschreibt Jürgen Neitzert, was die franziskanische Welt heute für ein friedliches Miteinander einbringen kann. Er verweist auf Mohammed Ben Abd-el-Jalil (1904-1979), der mit 24 Jahren vom Islam zum Christentum konvertiert und Franziskaner wird. Als Grenzgänger zweier Religionen vermittelte er den Christen die Glaubenstiefe und Spiritualität des Islam und trug so wesentlich zur Entstehung der „Erklärung zum Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ (Nostra Aetate) des II. Vatikanischen Konzils bei. Im August 1965 wurde Abd-el-Jalil von Papst Paul VI. zum Berater des Sekretariates für die Nichtchristen ernannt.

Im Oktober 1982 fand in Assisi eine Konferenz zum Dialog mit dem Islam statt. Dreizehn Franziskaner aus zehn Ländern mit muslimischer Bevölkerung sensibilisierten in einem Brief alle Brüder des Ordens für den notwendigen Dialog. In Deutschland kamen erste Kontakte zustande und seit 1986 wurden jährlich Interreligiöse (Friedens)Gebete initiiert. Der Autor schildert dann die verschiedenen Fahrten und Initiativen, die es seitdem gegeben hat sowie die Jugendarbeit, die er in Köln mit Muslimen gestaltet. Nach diesen Praxisbeispielen folgt die Darstellung verschiedener Formen des Dialogs: der theologische Dialog, der Dialog des Lebens und des Handelns, der Dialog der religiösen Erfahrung.

Angesichts eines zunehmenden Populismus und wachsender Islamfeindlichkeit stellt das Buch die Einladung dar, Fremdheit durch Dialog und Begegnung zu überwinden und auf der praktischen Alltagsebene den Kontakt zu muslimischen Gläubigen zu suchen. An der einen oder anderen Stelle (wie insbesondere zu Kapitel zwei angemerkt) wäre eine vertiefte Auseinandersetzung wünschenswert gewesen, die aber aufgrund der begrenzten Seitenzahl nur eingeschränkt möglich ist.

Im Schlusswort heißt es: „Der Islam und die Muslime gehören zu Europa. In Deutschland hat die starke Präsenz von Muslimen eine 50-jährige Geschichte. Aus dem Nebeneinander von Muslimen und Christen muss ein Miteinander werden. Dazu gehört es, sich kennenzulernen, miteinander zu arbeiten, Freunde zu werden. Dazu gehört es, Feste miteinander zu feiern, aber auch, die Gastfreundschaft des anderen anzunehmen und dabei dessen Gebräuche zu achten“ (93). Jürgen Neitzert gibt dafür ein persönliches (Lebens-)Zeugnis, das ganz vom franziskanischen Geist durchdrungen ist.

Autor

Bruder Jürgen Neitzert, geboren 1959, examinierter Krankenpfleger, Studium der Islamwissenschaft, Philosophie und Soziologie sowie der Interkulturellen Pädagogik; u.a. Mitglied der Islamkommission des Weltordens der Franziskaner (1987-1993); seit 1994 Leiter des Jugendtreff Vingst der Franziskusstiftung, insbesondere für muslimische Migrantenjugendliche.

Produktinformation

  • Gebundene Ausgabe 104 Seiten
  • Verlag Echter
  • Autor: Bruder Jürgen Neitzert ofm
  • ISBN 978-3-429-04332-2
  • Preis 9,90,- Euro

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