Vielleicht kennen Sie diesen Appell: Nur keine Schwäche zeigen! Sich keine Blöße geben! Stark bleiben! Manche Menschen haben diese Elternbotschaft schon mit der Muttermilch eingesogen. Oft erzieht auch die Gesellschaft zu so einer Haltung. Das Klima wird kälter und rauer, da muss jeder selbst sehen, wie er durchkommt. Oder aber Enttäuschungen im Leben machen hart und verschlossen: Wer zu viel an sich ranlässt, ist am Ende doch nur der Dumme. Tatsächlich, sensible Menschen haben es oft schwer. Sie lassen sich von Begegnungen berühren. Sie fühlen und leiden mit anderen mit. Ihr Leben wird dadurch nicht leichter. Ist es also nicht wirklich besser, wenn ich mir nicht alles zu Herzen nehme und manches einfach an mir abprallen lasse? Wenn ich eben keine Schwäche zeige und stark bleibe? Wenigstens nach außen. Denn wie es drinnen in mir aussieht, das geht keinen was an.
Solch eine Lebensstrategie hat einiges für sich. Aber ob auf diese Weise Leben dauerhaft gelingt? Um wirklich Mensch zu sein und ein menschliches Leben zu führen, genügt Selbstschutz allein nicht. Wer sich nur sichern und abschotten will, braucht, bildlich gesprochen, immer höhere Mauern, mächtigere Grenzanlagen und schärfere Waffen. Und das verstärkt wieder die Abwehr der „Gegenseite“. Das gilt, im übertragenen Sinn, auch im persönlichen Leben.
So paradox es darum klingen mag: Zum erfüllten Menschsein gehört das ehrliche Eingeständnis, dass ich nicht immer nur stark, sondern auch schwach bin. Ich kann nicht alles alleine. Ich bin auf andere angewiesen. Ich bin weder perfekt – muss es auch nicht sein! Ich mache Fehler und darf Fehler machen. Ohnmachtserfahrungen gehören zum Leben dazu. Aber, so merkwürdig es auch scheint, all das macht das Leben letztlich reicher. Denn erst die Erfahrung von Schuld lässt das Geschenk der Vergebung erfahren. Nur wer zugibt, dass er sich nicht alles selbst verdienen kann, weiß, was es bedeutet, beschenkt zu werden. Wer nicht meint, er müsse alles selbst leisten, erlebt Barmherzigkeit. Erst das Eingeständnis von Schwäche bringt Menschen ehrlich zusammen. Die Einsicht, dass wir einander brauchen, schafft tiefe Solidarität. Wunden verbinden. Nein, immer nur stark sein zu wollen und bloß keine Schwäche zu zeigen, das macht die Welt nicht menschlicher. Zum gelingenden Menschsein gehört auch der Mut, Verletzlichkeit zu riskieren.
Die franziskanische Familie feiert schon wieder! Vor genau 800 Jahren hat Franz von Assisi die Wundmale Christi empfangen. Die Stigmatisation im Herbst 1224, zwei Jahre vor seinem Tod, ist die Konsequenz eines intensiven Lebens. Sie macht bis in seinen Körper hinein anschaulich, was ihn ein Leben lang umgetrieben hat: Er wollte Jesus ähnlich werden. Er wollte sich wie Jesus berühren lassen von der Not der Menschen. Schon die Begegnung mit dem Aussätzigen in jungen Jahren enthält das Lebensthema, das er dann entfalten wird: nicht weglaufen vor dem, was ekelt und Angst macht, vor den Wunden und Verletzungen. Als er den Aussätzigen umarmt, ist er sicher, dass der Herr ihn dorthin geführt hat. Ihm wird klar: Es kann nicht Ziel des Lebens sein, sich abzuschotten und alle Erfahrungen von Schwäche und Verwundungen von sich fernzuhalten. Ein Leben lang den starken Mann spielen zu wollen, bringt nicht wirklich weiter. Der Traum, hoch zu Roß und in schwerer Ritterrüstung, von Sieg zu Sieg zu eilen, ist endgültig vorbei. Darum muss er raus aus der Welt seines Vaters, der sich mit Geld gegen alle Gefährdungen absichern will. Er muss raus aus der reichen Stadt, die sich mit starken Mauern einschließt, er muss mitten unter die Armen, die draußen ungesichert um ihr tägliches Leben kämpfen. Am Ende seines Lebens ist er selbst verletzt und verwundet. Es sind die Wunden Christi, die er trägt. Gerade der solidarische Bruder wird zum Bild Christi.
Die Stigmatisation des heiligen Franziskus vor 800 Jahren ist kein Anlass, wild zu spekulieren, wie man dieses Phänomen psychosomatisch erklären könnte. Sie ist eine Einladung, Schwäche und Verletzlichkeit zu riskieren. Eine Einladung, uns berühren zu lassen von den Wunden anderer und solidarisch zu sein mit denen, die heute verletzt und stigmatisiert werden. Und in all dem die Einladung, genau auf diese Weise Mensch zu werden und zugleich etwas von Christus in dieser Welt sichtbar zu machen.
Verletzungen nicht verstecken. Durchaus einmal den Finger in die Wunde legen. Den Mut haben, den heute verwundeten Menschen zu begegnen, statt wegzusehen und wegzulaufen. Schwäche aushalten, fremde wie eigene. Verwundbarkeit und damit Menschlichkeit riskieren, statt sich hinter der Maske des starken Mannes oder der starken Frau in Sicherheit zu bringen. Solidarität statt Selbstschutz. Das sind Elemente franziskanisch geprägten Lebens. Sicher, das sind große Worte. Aber sie geben eine Richtung an.
Niemand ist immer nur stark. Jede und jeder von uns trägt auch Wunden und Verletzungen mit durchs Leben. Im Blick auf unseren Bruder Franziskus, dem Christus vor 800 Jahren seine Wundmale eingedrückt hat, wünsche ich uns allen die Bereitschaft, das Risiko der Verwundbarkeit einzugehen und gerade so menschlich zu bleiben und immer mehr Mensch zu werden.