Wir laden Sie zu vier Schritten ein: staunen – hören – glauben – tun.
staunen
„Die Ros ist ohn Warum. Sie blühet, weil sie blühet. Sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.“ Das schrieb der Mystiker Angelus Silesius im 17. Jahrhundert und beschreibt so sehr treffend eine Haupteigenschaft von Pflanzen: Sie wachsen, blühen, verblühen, tragen Frucht – ohne zu klagen, ohne nach Ziel und Sinn zu fragen, ohne zu fragen nach Warum und Wozu. Nebenbei ernähren sie Tiere und Menschen. Sie erfreuen unser Herz, bieten uns Schatten, beruhigen unsere Seele und spenden den Sauer stoff, ohne den das Leben nicht sein kann.
Pflanzen werden nicht gefragt, wo sie wachsen wollen. Aber wo sie Wurzel schlagen, dort bleiben sie und machen das Beste aus den Bedingungen. Pflanzen sind unglaublich zäh. Wie schnell ist eine verlassene Baustelle von Pflanzen und sogenanntem Unkraut überwachsen, wie oft findet man seltene Biotope zwischen verlassenen Bahngleisen.
Pflanzen behaupten sich unter widrigsten Bedingungen. Ich habe einmal einen sehr berührenden Text von einer Kartoffel im Keller eines alten Hauses gelesen. Obwohl es fast völlig dunkel war, trieb sie aus – und ihre Triebe, dünn und deformiert, reckten sich unbeirrbar in Richtung des wenigen Lichtes.
Pflanzen und Blumen – welche Wunder! Rosen, Flieder, Veilchen. Orchideen, Kakteen, Sonnenblumen … Tannen, Eichen, Zedern. Birken, Ahorn, Kastanien … Bäume, die wir pflanzen und hegen. Blumen, die wir einander schenken zu Jubiläen und Festen, die wir unseren Verstorbenen mitgeben – mitgeben auf ihrem Weg in den ewigen Garten. Ist nicht jeder Garten, den wir mit Liebe hegen und pflegen, ein kleines Abbild vom Paradies?
hören
Dann sprach Gott: Das Land lasse junges Grün wachsen, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin. So geschah es. Das Land brachte junges Grün hervor, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, alle Arten von Bäumen, die Früchte bringen mit ihrem Samen darin. Gott sah, dass es gut war. (Gen 1,11f.)
glauben
Eure Schönheit besticht meine Augen:
aufgerichtete Gräser, sattgrüne Blätter
und die unendliche Vielfalt der Farben.
Euer Geschmack verführt meinen Gaumen:
frische Salate, süße Früchte
und herb würzige Kräuter.
Euer Wohlgeruch betört meine Nase:
blühende Rosen, harzige Bäume
und der allgegenwärtige Duft nach Leben.
Dass ich ja nicht überhöre
den stummen Schrei der Leiden,
die wir unbedacht euch zufügen.
Dass ich ja nicht übersehe
die selbstvergessene Hingabe,
mit der ihr uns ernährt.
Dass ich ja nicht übertöne
den leisen Klang eurer Lieder,
die der Schöpfer mir zusingt.
tun
Auf die ganz kleinen unscheinbaren Pflanzen achten: auf das Moos auf einem feuchten Stein, auf den grünen Zweig, der aus einer Mauerritze sprießt, auf sogenanntes Unkraut. Unkraut nicht Unkraut nennen sondern „Wildkraut“
Sich ermutigen lassen von der Widerstandsfähigkeit des Lebens. In der Langsamkeit des Wachsens ein Gleichnis finden für die kleinen Schritte meiner eigenen Menschwerdung.
Einen Monat lang die Veränderung einer bestimmten Pflanze beobachten: ihre Größe, ihre Farbe, das Tempo ihres Wachstums.
Biblische Gleichnisse meditieren, in denen Jesus von Pflanzen spricht – das Weizenfeld, der Feigenbaum, der Weinstock, das Senfkorn … Was spricht mich an? Wo finde ich mich in diesem Gleichnis?
Erstveröffentlichung Zeitschrift „Franziskaner“ Sommer 2014