20.01.2021 Bruder Natanael Ganter

Rulebreaker, Franziskaner, YouTuber

Ein Künstlerportrait über den Franziskaner Sandesh Manuel

Musikalische Glaubensverkündigung mit Gittarenmusik. Bild von Sandesh Manuel.

In einer sonnigen Berglandschaft an den Kärntner See in Österreich rennt ein dunkelhäutiger Franziskaner in Kutte über den Steg auf die Kamera zu, während im Hintergrund volkstümliche Akkordeonmusik erklingt. Auf einmal setzt der Rhythmus ein, der Franziskaner trägt plötzlich eine Lederhose und einen Gamsbarthut, tanzt auf dem Marktplatz in Villach, füttert Kühe auf der Alm und beginnt zu rappen über die Schönheit des Landes und die Lebensfreude der Menschen.

Der Franziskaner in dem eben beschriebenen Videoclip, der auf YouTube in diesem Sommer mehr als 80.000 Zuschauer begeistert hat, ist Bruder Sandesh Manuel, ein Priester aus dem Franziskanerkloster in Wien.

Bruder Sandesh stammt ursprünglich aus Bangalore in Indien. Zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester lebte er in der elf Millionen Einwohner zählenden Stadt, die auch das indische Silicon Valley genannt wird. Sein Vater war Polizeibeamter, seine Mutter Lehrerin. In Indien sind rund 70 Prozent der Bevölkerung sehr arm und weniger als ein Prozent superreich. Seine Familie gehört zur Gruppe einer verhältnismäßig wohlhabenden Mittelschicht. Seine Eltern sind sehr christlich. Sehr früh wurde Sandesh dazu erzogen, regelmäßig in die Kirche zu gehen und zu beten. Indien ist eine multireligiöse Gesellschaft, nur etwa zwei bis drei Prozent der Menschen sind Christen. Als kleine Minderheit haben die Katholiken natürlich umso mehr zusammengehalten, und Sandesh lernte früh ein aktives Gemeindeleben kennen. Auch wenn er als Junge natürlich gegen seine Eltern rebellierte und viele andere Dinge im Kopf hatte, ging er dennoch gerne zusammen mit seinem Großvater in die nahe gelegene Franziskanerpfarrei und war dort auch Ministrant. Gerne spielte er mit den Franziskanerbrüdern Volleyball auf der Straße, hatte aber immer großen Respekt vor ihnen.

Der Wunsch seiner Eltern war, dass Sandesh Arzt werden sollte. Nach seinem Schulabschluss nahm er dann auch an der Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium teil, merkte aber schnell, dass er selbst etwas anderes suchte. Ihn bewegten viele kritische Fragen über das Leben und über Gott, die ihn schließlich dazu brachten, den Franziskanern beizutreten. Nach seiner Grundausbildung im Orden begann er ein dreijähriges Philosophiestudium. Die Hochschule war, wie es der Zufall wollte (und sehr zur Freude seiner Eltern), in derselben Pfarrei in der Stadt Bangalore, in der er aufgewachsen war. Mit großem Enthusiasmus besuchte er die Vorlesungen und lernte viel über die Welt, die Weisheitslehren und die menschliche Existenz. Eigentlich war geplant, dass sich direkt ein Theologiestudium anschließen sollte. Aber es kam anders, denn bereits ganz zu Anfang seines Noviziates war ihm eine alte Gitarre in die Hände gefallen, und er hatte begonnen, sich selbst das Gitarrespielen beizubringen. Er übte, bis ihm die Finger schmerzten. Das Instrument und die Musik waren ihm in den Jahren seines Studiums zu wichtigen Begleitern geworden. Immer wenn er eine Krise hatte, half ihm die Musik darüber hinweg. Und deshalb erlaubte ihm der Orden, vor seiner weiteren theologischen Ausbildung zunächst indische Musik zu studieren, was Sandesh mit großer Begeisterung und Dankbarkeit tat. Das Theologiestudium folgte, und mit 29 Jahren wurde Sandesh Manuel dann in seiner Heimatpfarrei in Bangalore zum Priester geweiht. 5.000 Menschen kamen zu der Messe und zum anschließenden Fest!

In Bangalore hatte er dann auch seine erste Stelle als junger Kaplan. Es folgte eine gute, arbeitsintensive Zeit, an die er sich gerne erinnert. Da er ein Sohn der Gemeinde war und alle seine Verwandten, Freunde, Schulkameraden und Bekannten dort lebten, konnte er nach dreieinhalb Jahren Kaplanszeit auf 280 Hoch-zeiten, 350 Taufen und 180 Beerdigungen zurückblicken. Dazu kamen bis zu zehn Gottesdienste an den Wochenenden, mit teilweise mehr als 2.000 Gläubigen! Es war eine extreme Zeit der pastoralen Arbeit für den jungen Priester mit der Gitarre. Musik war Bestandteil seiner Evangelisation, und seine Gitarre hatte er immer bei sich, auch im Gottesdienst.

Von Indien nach Östereich

Als sein Orden ihm 2013 anbot, sich musikalisch weiterzubilden, war seine Antwort klar: „Ja, ich möchte meine Liebe zur Musik vertiefen!“ Zur gleichen Zeit traf er in Bangalore den österreichischen Provinzialminister Oliver Ruggenthaler der einige Wochen in Indien war, um dort Hilfsprojekte zu besuchen. Der österreichische Franziskaner war begeistert von der pastoralen Arbeit des jungen Inders, und lud ihn ein, nach Österreich zu kommen, um in Europa klassische Musik zu studieren. Welche Verlockung! Aber es war kein leichter Aufbruch für ihn. Sandesh war fest verwurzelt in Bangalore. Er hatte nie den Wunsch verspürt aufzubrechen in die Fremde. Die pulsierende Millionenmetropole Bangalore mit der jungen, lebendigen katholischen Gemeinde war seine Welt.

Aber sechs Monate später stand Sandesh in Salzburg und schaute in den eiskalten Himmel eines späten Novembertages und freute sich an den ersten Schneeflocken seines Lebens! Zuerst meldete er sich zum Sprachkurs an, und schon am nächsten Tag schrieb er sich an der renommierten Musikuniversität Mozarteum ein, um Klavier zu studieren.

Die Ruhe Europas, im Vergleich zur dichten und quirligen, bunten, lauten und manchmal schon fast schrillen Gesellschaft Indiens, war für Sandesh eine neue Erfahrung. Es fehlte auch die emsige Geschäftigkeit seiner Pfarrei. Nur konzentriert auf die regelmäßigen Klavierstunden, den täglichen Deutschunterricht und das eher gemächliche Miteinander der Bruderschaft im Salzburger Franziskanerkloster hatte Bruder Sandesh plötzlich sehr viel Zeit für sich selbst. Seine Welt hatte sich verändert, doch er spürte, er war noch nicht angekommen.

Auf der Suche nach der eigentlichen Berufung

Nach einigen Monaten ergab es sich, dass er zu Besuch im Kloster auf der Insel Werd in der Schweiz war. Am Abend saßen die Brüder zusammen, es stand ein Klavier im Raum, und Bruder Benedikt Borer, der 85-jährige Senior der Gemeinschaft, begann frei und fröhlich einige Lieder zu spielen. Da er wusste, dass Sandesh in Wien am Mozarteum studiert, hatte er großen Respekt vor ihm und bat ihn, auch etwas auf dem Klavier vorzuspielen. Sandesh begann dann mit einem klassischen Stück, das er derzeit für das Studium einübte, verhaspelte sich aber mehrmals und hatte anschließend einen „Blackout“ und wusste gar nicht mehr weiterzuspielen. Bruder Benedikt löste die peinliche Atmosphäre, indem er eine Gitarre hervorholte und einige Klänge spielte. Er fragte Bruder Sandesh, ob er auch Gitarre spiele. Sandesh nahm die Gitarre entgegen, schloss die Augen, begann ganz gefühlvoll die Saiten zu zupfen und spielte aus dem Gedächtnis „Tears In Heaven“ von Eric Clapton. Gebannt lauschten alle seiner Musik, und Bruder Benedikt fragte ihn verwundert, warum er sich denn mit dem Klavier abmühe, wenn seine Begabung doch eindeutig auf der Gitarre liege.

Das war für Sandesh ein Berufungserlebnis, denn er hatte sich selbst diese Frage nicht gestellt. Ihm wurde klar, warum er in seinem Inneren zunehmend unruhig geworden war. Es lag nicht an der Fremde Europas, sondern daran, dass er nicht seinem Herzen gefolgt war, denn das schlug eindeutig für die Gitarre und nicht für Klavier oder Orgel. Mit seiner Gitarre konnte er unterwegs sein, sie immer bei sich haben und dort musizieren, wo er Leute traf.

Und so begann Sandesh noch einmal in Österreich von neuem. Er brach sein Studium in Salzburg ab, zog um nach Wien und begann dort klassische Gitarre zu studieren.

Heute, einige Jahre später würde Bruder Sandesh von sich selbst nicht behaupten, dass er perfekt Gitarre spielt. Wenn man ihn aber mit seinem Instrument erlebt, beeindruckt seine Leichtigkeit. Diese hat er sich hart antrainiert. Bis zu acht Stunden täglich übt er auf seinem Instrument. Ein Lehrer gab ihm einmal den Tipp, die Übungen aufzunehmen und das Resultat hinterher auszuwerten. So begann er, sich selbst mit dem Smartphone zu filmen. Dabei kam er auf die Idee, einen richtigen Videoclip von seinem Spiel aufzunehmen.

Musik- und Videoproduktion war ihm grundsätzlich nicht fremd, denn bereits in seiner Zeit als Gemeindepriester in Indien hatte Sandesh begonnen, Musik-CDs aufzunehmen und einen eigenen YouTube-Kanal zu betreiben. Die Predigt und die Lieder während der Messe hatte er damals filmen lassen und sie anschließend für die Gemeindemitglieder, die nicht live dabei sein konnten, online gestellt.

Sein erstes „europäisches“ Musikvideo produzierte er 2017 zusammen mit Bruder Natanael Ganter in München. Mit einer einfachen Fotokamera und einem Smartphone ausgerüstet nahmen sie ein fröhliches Gitarrensolo der brasilianischen Melodie „Tico-Tico“ im Kloster auf und stellten es online. Schnell hatte das Video im Netz viele Klicks und haufenweise positive Kommentare. Der Zuspruch machte ihm Mut, mit seinem Talent an die Öffentlichkeit zu gehen. Sandesh hatte Feuer gefangen!

Ein Video kam zum anderen. Sandesh spielte kleine Konzerte und stellte die Clips ins Netz. Er lernte Menschen aus der Musiker- und Künstlerszene in Wien kennen, die ihm halfen, professioneller zu werden. Seine Musik, die er auf der Gitarre komponiert, konnte er mit Unterstützung eines Musikproduzenten nun auch breiter orchestrieren. Videokünstler halfen ihm dabei, seine Ideen in Szene zu setzen. Er experimentierte viel, um seinen Stil zu finden: gediegen oder locker, romantisch oder peppig, ernst¬haft oder lustig? Was wollten die Leute hören, wie wollte er sich ausdrücken? Bruder Sandesh hat viele Facetten, und seine Musik ist sehr vielschichtig: von Balladen über Rap- bis Popmusik. Es fällt schwer, ihn in eine Schublade zu stecken.

Im Sommer 2019 wurde Florian Kobler, ein Journalist des ORF, auf seine Arbeit aufmerksam und produzierte eine Fernsehreportage über den „rappenden Franziskaner“. Sandeshs YouTube-Kanal stieg von einigen Hundert, auf mehrere Tausend Abonnenten. Auf der Straße wurde er plötzlich von Fremden angesprochen, die ihn erkannten. Seither steht das Telefon nicht mehr still. In diesem Sommer war Pro7 in Wien, und Claudia Mayer porträtierte ihn für die Sendung »Galileo«. „Rulebreaker“, Regelbrecher, nannte sie ihn im Titel der Sendung, denn durch seine Musikvideos bricht er mit Erwartungen und Vorurteilen, die Menschen an einen Priester und Franziskaner haben. »Die Rakete ist gestartet«, sagt Bruder Sandesh über seine plötzliche mediale Aufmerksamkeit, „und jetzt soll sie weiterfliegen.“ Damit das so bleibt, muss er jede Woche einen Videoclip produzieren. Nur so wird der Algorithmus, der Aufmerksamkeit generiert, gefüttert.

Bruder Sandesh rappt über Freundschaft und Freude am Leben. Bild von Sandesh Manuel.

Die Kontinuität ist wichtig, denn auf dem Videokanal werden täglich viele Millionen Clips hochgeladen. Dem individuellen Zuschauer wird dabei nur eine Auswahl von Videos vorgeschlagen, die als relevant für sie errechnet wurden. Wer nicht regelmäßig liefert, geht wieder unter.

Bruder Sandesh hat viel Spaß an seiner Arbeit. Es reizt ihn, ständig kreativ zu sein, Melodien zu komponieren, Texte zu schreiben und Bilder zu entwickeln. Je mehr er arbeitetet, umso mehr sprudeln die Ideen. Er möchte die Menschen motivieren mit seiner Musik. Er möchte kein Influencer sein, niemanden beeinflussen oder belehren, sondern seine Lebensfreude teilen, die bei ihm einen tiefen christlich-religiösen Ursprung hat.

Vor einer bunt bemalten Wand mit meterhohen Graffiti hat sich mitten in Wien am Ufer der Donau eine Gruppe junger Menschen versammelt. Plötzlich setzt rhythmische Musik ein, und die Jugendlichen beginnen choreografiert zu tanzen. Ein Franziskaner mit Pokémon-Mütze und schrill-bunter Sonnenbrille tritt hinter ihnen hervor und beginnt zu rappen über Freundschaft und die Freude am Leben. Die Kamera läuft –Bruder Sandesh ist wieder in seinem Element.

Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskaner Winter 2020

Besuchen Sie den YouTube-Kanal von Sandesh Manuel


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