Die Oberkirche von San Francesco ist vor allem wegen ihrer reichen und farbenfrohen Freskierung bekannt. Giotto di Bondone hat sie vom Übergang der Spätgotik zur Frührennaissance geschaffen. Bei den Darstellungen des Franziskuslebens hat sich der Maler von den Vorgaben aus dem sog. Franziskusleben des heiligen Bonaventura inspirieren lassen. Dabei werden Lebensstationen Christi, denen des heiligen Franziskus gegenübergestellt.
Wie ein Film lässt Giotto die zahlreichen Stationen aus dem Leben des heiligen Franziskus vor den Augen des Betrachters revue passieren. Giotto gilt als einer der Erneuerer in der italienischen Malerei. Mit der Komposition seiner Bilder verstand er es, den Menschen das Leben des Ordensvaters auf besonders realistische Weise vor Augen zu führen. Davon geben die Fresken des Franziskuslebens in der Oberkirche reiches Zeugnis.
Die prächtige Ausstattung der Oberkirche entspringt dem Zeitgeist dieser Epoche, die vor allem daran interessiert war, die Größe Gottes und der Kirche anschaulich zu repräsentieren.
Der kleine Arme und die prachtvolle Kirche
Über eine steile Treppe führt im westlichen Querschiff der Weg aus „dem dunklen, gedrückten Raum der Unterkirche“ in den „hohen, hellen Saal der Oberkirche“ (Desbonnets). Vor diesem Kontrasterlebnis steht man allerdings zunächst im „Freien“, an der frischen Luft, oben auf dem Umgang des zweistöckigen Kreuzgangs. Der Blick fällt nach unten auf eine große Zisterne, die Papst Pius IV. im Jahr 1476 als Wassersammelbecken erbauen ließ.
Die Oberkirche von San Francesco gilt als einer der schönsten Räume der italienischen Kunstgeschichte. Vom Stil her gotisch, entspricht sie jedoch nicht der nordeuropäischen Gotik. Bei aller farblich reichen Ausstattung bleibt es auch ein „bescheidener“ Raum, wie es eigentlich der Tradition der Bettelorden entspricht. Hier spiegelt sich aber auch der Zwiespalt wider, der im Leben von Franziskus deutlich wird: Auf der einen Seite kann es ihm nicht prächtig genug sein, wenn es um die Verehrung Christi in der Eucharistie geht, auf der anderen Seite steht als „Gegenpart“ das Ideal der Armut.
Einzigartig ist die Ausmalung der Oberkirche. Erzählungen aus der „Legenda maior“ – der großen Franziskusbiografie des heiligen Bonaventura – bilden den Hintergrund von 28 Fresken, die größtenteils von Giotto selbst oder aus seiner Schule stammen. Das große Franziskusleben von Bonaventura ist – so heißt es in den neu herausgegebenen Franziskus-Quellen – in seinem „Kern keine historische Franziskuslegende, sondern eine Franziskustheologie: Der seraphische Lehrer stellt Franziskus als sehr treuen Nachfolger Jesu dar, der in dieser Nachfolge Jesus immer ähnlicher wird und so schließlich immer mehr in die Gestalt Jesu hineinverwandelt wird“. So ist es nicht verwunderlich, dass Szenen aus dem Leben von Franziskus Szenen aus dem Alten Testament und dem Neuen Testament gegenübergestellt werden. Wer viel Zeit mitbringt, kann sich die Zusammenhänge zwischen diesen gegenüberliegenden verschiedenen Fresken erklären lassen oder kann selber versuchen, anhand der Bibel und der Franziskuslegenden Zusammenhänge zu erkennen und herauszufinden, wie das Wort über Franziskus als „alter Christus“ damals verstanden wurde.
Franziskus als „alter Christus“
Auffällig ist, dass die Oberkirche keine Seitenkapellen hat, sondern nur aus einem Langhaus und einem Querschiff besteht. Gründe hierfür hat die Nachwelt einige gefunden: Die einen bringen es mit Bescheidenheit in Verbindung; andere weisen auf Gründe der Statik einer Doppelkirche hin; wieder andere sagen, das habe damit zu tun, dass es damals bei den Franziskanern wenig Priester gegeben habe und deshalb zusätzliche Altäre für die tägliche Zelebration nicht notwendig gewesen seien. Vielleicht hat man sich hier aber auch nur an ein Franziskuswort aus seinem Brief an den gesamten Orden erinnert: „Deshalb mahne und ermahne ich im Herrn, dass an den Orten, wo die Brüder weilen, nur eine Messe am Tag gefeiert werde nach dem Ritus der heiligen Kirche. Wenn aber mehrere Priester an einem Ort sein sollten, so sei der eine aus Liebe zur Liebe mit dem Anhören der Messe eines anderen Priesters zufrieden.“
Erdbeben und rasche Restaurierung
Ein dunkler Tag in der Geschichte von San Francesco war der 26. September 1997. Ein starkes Erdbeben ließ in Assisi zahlreiche Häuser und – bei einem starken Nachbeben – auch Teile des Kirchenschiffs einstürzen. Dabei fanden mehrere Menschen in der Oberkirche den Tod. Auffallend schnell konnten die Restaurierungsarbeiten für die Oberkirche beginnen. Zu Beginn des Heiligen Jahres 2000 – also nach gut zwei Jahren – war die Kirche für die Öffentlichkeit wieder zugänglich. Die Unterkirche, die nur leicht beschädigt worden war, konnte bereits zwei Monate nach dem Erdbeben wieder geöffnet werden.
Bei aller „Größe“, Erhabenheit, Schönheit und Bedeutung von San Francesco bleibt mir ein Wort aus dem Buch von N. G. van Doornik „Franz von Assisi“ in Erinnerung. Er beschreibt dort Franziskus als „gestorbener Prophet … machtlos geworden in den Händen seiner Bewunderer“. Ich denke, das gilt für keine franziskanische Stätte mehr als für San Francesco.