28.10.2016 Janina Mogendorf / katholisch.de

Spirituelle Momente im Herbst

Gebet als Kraftquelle für die stille Jahreszeit. Geistliche Impulse von Bruder Christoph Kreitmeir

"Der Herbst verändert nicht nur die Natur, sondern wirkt sich auch auf die Stimmung aus. Wenn die Tage kürzer werden und die Blätter fallen, ist für viele eine Zeit der Innenschau gekommen!" Bild von Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de
„Der Herbst verändert nicht nur die Natur, sondern wirkt sich auch auf die Stimmung aus. Wenn die Tage kürzer werden und die Blätter fallen, ist für viele eine Zeit der Innenschau gekommen!“ Bild von Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de

Der Herbst verändert nicht nur die Natur, sondern wirkt sich auch auf die Stimmung aus. Wenn die Tage kürzer werden und die Blätter fallen, ist für viele eine Zeit der Innenschau gekommen. So mancher leidet unter dem Verlust von Wärme und satten Grüntönen. Bruder Christoph Kreitmeir ist Fachmann für Spiritualität und berät Menschen in seelischen Nöten. Im Interview mit katholisch.de spricht er über wertvolle, spirituelle Momente im Herbst und zeigt, was wir in der dunklen Jahreszeit für unsere Seelengesundheit tun können.

Frage: Was macht der Herbst mit den Menschen?

Der Herbst macht mit den Menschen einiges, weil er eine Zeit der Wandlung und des Nach-Innen-Gehens ist. In der Natur ziehen sich die Kräfte zurück und es beginnt ein Absterben. Der Herbst ist auch eine Zeit des Sammelns, eine Zeit der Ernte und der Dankbarkeit dafür. Der Wiener Psychiater Viktor Emil Frankl sagt: „Die Menschen machen den Fehler, dass sie immer die abgeernteten Stoppelfelder der Vergänglichkeit sehen und dabei übersehen sie die vollen Scheunen der Vergangenheit.“ Während die Menschen den reifen Feldern nachtrauern, liegt in den Scheunen die Ernte ihrer Mühe – ihre Kraftreserve für Herbst und Winter.

Frage: Und doch leiden viele in diesen Monaten unter Depressionen…

Ja, heute früh habe ich schon zwei Anrufe von Menschen erhalten, bei denen ich schon an der Stimme bemerkte, da geht es um Verlust und Depression. Als Seelsorger muss ich mich im Herbst darauf einstellen. Es ist wichtig, dass die Menschen ausdrücken dürfen, was sie belastet. Sie sollten aber nicht permanent um das Verlustthema kreisen. Deshalb lenke ich den Blick auf die vollen Scheunen und darauf, dass wir getragen werden. In dem wunderbaren Gedicht „Herbst“ von Rainer Maria Rilke heißt es: „Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Gläubigen Menschen gibt dieses Wissen Sicherheit und Halt.

Frage: Welche spirituellen Momente eröffnet der Herbst?

Drinnen Einkuscheln und Hinausgehen – beides darf sein. Rückzug aufs Sofa mit Tee und einem guten Buch. Sich Seelennahrung geben. Aber auch draußen den Stürmen und dem Regen des Herbstes trotzen. Das stärkt die innere und die äußere Widerstandskraft und wir spüren, dass die Naturgewalten uns herausfordern. Der Wind kann mich nicht umblasen, wenn ich verwurzelt bin. Das ist ein Sinnbild für das Leben.

Frage: Der Alltag ist eng gestrickt. Wie finde ich Zeit für Spiritualität?

Das Gefühl, keine Zeit zu haben, ist subjektiv. Es ist nachgewiesen, dass wir heute viel mehr Freizeit haben, als die Menschen vor fünfzig Jahren, aber wir können damit kaum umgehen. Wir haben so genannte Zeitersparer, wie Handy oder PCs, und lassen uns davon ab und an terrorisieren. Ich nutze sie selber und bin froh darüber, aber ich muss lernen, verantwortlich damit umzugehen. Ein wichtiges Buch zum Thema „Zeit“ ist die Geschichte von „Momo“ vom Autor Michael Ende, die sich in meine Seele eingeprägt hat. Da heißt es: Vorsicht vor den grauen Herren, die dir die Zeit stehlen. Momo hat Zeit und zwar so viel, dass in ihrer Nähe sogar dumme Menschen gescheit reden.

Frage: Was also kann der gestresste Mensch des 21. Jahrhunderts konkret tun?

Er kann sich Zeitgeschenke machen. Wir Geistliche beten dreimal am Tag das Stundengebet. Im hektischen Alltag kann es helfen, den Tag mit einem kurzen Ausblick zu beginnen, also nicht einfach in den Tag hineinzustolpern. Zwischendurch kurz innehalten, sich in einen Ruheraum begeben, durchatmen und dadurch den Tag bewusster gestalten. Und am Abend einen Moment Zeit nehmen und sich auf den Tag rückbesinnen.

Frage: Wie mache ich solche kleinen spirituellen Momente so groß, dass sie den Rest des Tages aufwiegen?

Indem ich Achtsamkeit lerne. Das ist eine Schwester der Dankbarkeit und der Bewusstheit. Ein Klassiker im Achtsamkeitstraining ist die Atemübung. Ich setze mich hin und nehme wahr, wie mein Zwerchfell sich hebt und senkt, ohne dass ich etwas machen muss. Man kann das mit einem Gebet kombinieren, etwa in dem man „Jesus“ beim Einatmen spricht und „Erbarme dich meiner“ beim Ausatmen. Aus Amerika kommt das so genannte „Prayerwalking“ – ins Deutsche übersetzt als „Geh-Beten“. Eine Kombination aus Gehen, Atmen und Beten. Wer das übt, merkt irgendwann: Ich bin gar nicht mehr alleine unterwegs, da ist jemand an meiner Seite.

Frage: Spiritualität hilft also dabei, Gott im Alltag zu finden…

Eine alte Weisheit sagt, „Wenn du dich wirklich auf die Suche machst, dann kommt dir das Gesuchte entgegen.“ Wenn ich mich öffne und meine Sehnsucht nach Gott ausstrahle, kommt etwas zurück. Das Aufwachen ist ein wichtiger Punkt der Spiritualität. Viele Menschen befinden sich im Dämmerschlaf. Bevor man es alleine versucht, kann man es mit kundigen Fachleuten einüben.

"Jeder Mensch hat spirituelle Fähigkeiten, aber sie müssen trainiert werden!" Bild von Bruder Christoph Kreitmeir.
„Jeder Mensch hat spirituelle Fähigkeiten, aber sie müssen trainiert werden!“ Bild von Bruder Christoph Kreitmeir.

Jeder Mensch hat spirituelle Fähigkeiten, aber sie müssen trainiert werden.

Von Juni 2005 bis September 2016 war Pater Christoph Kreitmeir unter anderem Wallfahrtsseelsorger und Hausvikar im Franziskanerkloster Vierzehnheiligen. Seit Oktober 2016 ist er Mitglied im Konvent des Klosters Frauenberg in Fulda. Kreitmeir hat in den vergangenen 20 Jahren mehrere Bücher rund um das Thema Glaube und Spiritualität im Alltag verfasst.

Mehr von Bruder Christoph Kreitmeir hier


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