26.10.2024 Bruder Stefan Federbusch

Symposium zum Sonnengesang

Unsere lebendige Erde: Der Sonnengesang des Franz von Assisi – eine Ressource für unsere Zeit?

 

„In allen Weltsprachen gesungen, getanzt und interpretiert, ist der Sonnengesang des Franz von Assisi nicht nur ältestes Zeugnis italienischer Sprache und wichtiges Kulturgut. In Zeiten der Krise ist der Text spirituelle Ressource des geschwisterlichen Miteinanders aller Geschöpfe.“ So die These auf der Einladungskarte. Kann die Feier des 800-jährigen Jubiläums mehr sein als die Erinnerung an ein mittelalterliches Lied, das ein Heiliger am Ende seines Lebens gedichtet hat? Kann sie mehr sein als ein religiöses Momentum für franziskanisch inspirierte Menschen? Trägt der Sonnengesang etwas bei zum Not-wendigen Paradigmenwechsel im Zeitalter multipler Krisen? Trägt er etwas bei zum ökologisch-sozialen Transformationsprozess, den wir gesellschaftlich, politisch und ökonomisch benötigen?

Den Einstieg zur Klärung dieser Fragen bildete die Eröffnungsveranstaltung des Symposiums zum Sonnengesang am 24. Oktober 2024 im LVR-Landesmuseum in Bonn. Sie bot vor rund 250 Gästen eine gelungene Mischung aus inspirierenden Einblicken zum „Cantico delle creature“, Lyrik und musikalischen Darbietungen.

Der kapuzinische Historiker und Franziskanologe Br. Niklaus Kuster setzte den Auftakt mit seinem Vortrag unter dem Titel „Den Schöpfer mit allen Geschöpfen feiern“, die Schriftstellerin und Literaturprofessorin Ulrike Draesner erläuterte den Zusammenhang von Sprache und Wirklichkeit, erzählte von den Fähigkeiten ihres Hundes und brachte eine poetische Hommage auf die Mathematikerin Emmy Noether, die trotz ihrer Kompetenz nie eine ordentliche Professur erhielt und deren Lehrveranstaltungen unbezahlt blieben. Musikalisch untermalt wurde der Abend von Matthias Petzold Jazz Trio mit Stücken zur Lebensgeschichte von Franz von Assisi wie die Begegnung mit dem Aussätzigen, dem Wolf von Gubbio und der Vogelpredigt.

Zum eigentlichen Symposium versammelten sich am 25. Oktober 2024 rund 50 Zuhörende, die von Bernd Schmies im Namen der Veranstalter willkommen geheißen wurden. Es waren dies Franziskaner helfen (Bonn), die Duns-Scotus-Akademie (Mönchengladbach), die Fachstelle Franziskanische Forschung (Münster) sowie das Franciscans Studiecentrum (Utrecht). Am Vormittag erfolgten drei Impulsvorträge. Trees van Montfoort sprach zu „Der Sonnengesang als Zeugnis der Handlungsfähigkeit von Nicht-Menschen“, Johannes-Baptist Freyer zu Umwelt oder Mitwelt? Eine franziskanische Pro-vokation“ und Anna Maria Riedl zu „Wir teilen den gleichen Grund. Gelingende Mitwelt-Beziehungen im Anthropozän“.

Trees van Montfoort machte zunächst die biblische Perspektive stark, indem sie auf die (Schöpfungs)Psalmen blickte, die Franziskus in seinem Beten begleiteten. Die Übersetzung des lateinischen Wörtchens „per“ verdeutlicht die drei Dimensionen, die Franziskus in seinen Sonnengesang eingewoben hat. Den Lobpreis Gottes „für“ die Geschöpfe, „durch“ die (= mittels der) Geschöpfe sowie „von“ den Geschöpfen. Die Überzeugung, dass die Geschöpfe „Subjekte“ sind, ist im Laufe der Geschichte verloren gegangen. Sie wurden zu „Objekten“ menschlichen Handelns. Dass Tiere Selbstbewusstsein haben. Pflanzen kommunizieren und Subjekte der Natur Rechte zustehen sind relativ neue Erkenntnisse und Überlegungen. Es geht darum, die Trennung von Natur und Kultur zu überwinden und ein neues Modell der Verbundenheit zu entwickeln, in dem Werte wie Mitgefühl und solidarisches Handeln zählen.

„Sprechen Sie mit Pflanzen?“ fragte Johannes B. Freyer die Zuhörenden, so wie mit ihren Haustieren. Erwiesenermaßen gedeihen Pflanzen mit Kommunikation besser, ebenso wie mit bestimmter Musik. Auch hier geht es um die Subjekthaftigkeit. Der Referent stellte dar, dass heute die Darwinschen Thesen von Konkurrenz und „Survival of the fittest“ kritisch infrage gestellt werden durch das Modell, dass gerade Kooperation Diversität ermöglicht und die Natur sich in Netzwerken von Beziehungen, Zugehörigkeiten und Verbundenheiten organisiert. Es gelte, die Natur als Schöpfung wiederzuentdecken und das Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie im gemeinsamen Haus (oikos) Erde. Dazu stellte er verschiedene franziskanische Tugenden wie Ehrfurcht, Sanftmut, Demut, Barmherzigkeit, Genügsamkeit usw. dar, die für eine andere Sichtweise und ein anderes Lebensmodell dienlich sind. Für eine wechselseitige lebensspendende Kommunikation braucht es eine Transformation des Bewusstseins. Die franziskanische Pro-Vokation ist als Heraus-rufung eine vocatio, eine Einladung zur Bewusstseinsänderung, die von der Haltung zur Handlung führt.

Anna Maria Riedl stellte als Sozialethikerin zunächst den Begriff der Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen und beleuchtete ihn unter den Aspekten von Pauschalierung, Moralisierung und Idealisierung. Unter den derzeitigen ökonomischen (kapitalistischen) Verhältnissen kommt es zu permanenten Interessenkollisionen. Die Rede von „Schöpfung“ könne hier sinnstiftend wirken. Fakten brauchen Erzählungen, Bilder und Geschichten, die sie tragen. Die Frage ist, welche Narrative Kirche und Orden in den Transformationsprozess einbringen können, welche Hoffnungsperspektiven angesichts zunehmender Zerstörungen?

Am Nachmittag konnten sich die Teilnehmenden drei Workshopangeboten zuordnen, die die genannten Aspekte von Menschen- und Weltbild, von Natur und Schöpfung, von Umwelt und Mitwelt weiterführten. Anna Maria Riedl und Stefan Walser vertieften „Der Schrei der Erde. Gelingende Mitwelt-Beziehungen im Anthropozän“. Yasenim Amber und Johannes Roth stellten die Frage „Was ist der Mensch? Religiöse Gegenentwürfe zum Anthropozentrismus: eine islamisch-christliche Perspektive“. Trees van Montfoort bot „Übungen in Mitgeschöpflichkeit in Meditation und Bibellesen“ an.

Eine Podiumsdiskussion mit allen Referent:innen ermöglichte durch Rückfragen und Einschätzungen eine Vertiefung und Abrundung des Themas.

Die Zielperspektive besteht darin, aus dem einseitigen vertikalen hierarchischen Modell der Herrschaftsausübung des Menschen in ein horizontales Modell der gleichwertigen Geschwisterlichkeit zu kommen. Insofern ist der Sonnengesang tatsächlich eine Ressource für unsere Zeit. Wie sie genutzt werden kann – dazu nur einige Blitzlichter aus den Beiträgen von Podium und Publikum: Den theozentrischen Ansatz von Franziskus auch in unsere säkulare Welt einbringen – den gemeinsamen interreligiösen Ansatz vertiefen – mutiger sein, über geteilte religiöse und säkulare Erfahrungen ins Gespräch zu kommen und Deutungen anzubieten – das emotionale Element berücksichtigen (etwas berührt und wirkt nur, wenn es das Herz erreicht) – ins praktische Handeln kommen, ohne die Reflexion (das Nach-Denken) zu vernachlässigen – das Künstlerische und Ästhetische als Zugang wertschätzen – die (franziskanische) Tugend des Staunens pflegen …

Das Symposium war ein gelungener Auftakt für das Jubiläum des Sonnengesangs. Die wertvollen Beiträge werden in einem Heft der „Grünen Reihe“ der Missionszentrale der Franziskaner veröffentlicht.


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