Bruder Franz Richard

Treue

Unzeitgemäße Tugenden

Liebe Glaube Hoffnung. Bild von sterntaler62 / pixelio.de
Liebe Glaube Hoffnung. Bild von sterntaler62 / pixelio.de

Treue – das ist etwas ganz Wertvolles. Zu wissen und zu spüren, auf die oder den anderen kannst du dich unbedingt verlassen, da weißt du, woran du bist. Treue zu erfahren, gibt einem das Gefühl und das Wissen, einen guten Halt zu haben. Und selber treu zu sein, vermittelt anderen dieses Gefühl von Verlässlichkeit.

Treue meint nun aber keinesfalls: Es muss immer alles so bleiben, wie es einmal war. Das würde nur zu Erstarrung und Leblosigkeit führen. Treue gründet in der Bereitschaft, offen gegenüber Entwicklungen zu bleiben. Wenn Menschen miteinander leben, in einer Ehe, in einer Lebensgemeinschaft, in einem Orden …, entdecken sie im Laufe der Zeit Welten, die zu Beginn der Beziehung nicht unbedingt sichtbar waren. „Dahinter kommt man immer erst danach“, sagt eine Lebenserfahrung. In solchen Situationen, in denen einem vielleicht die Augen aufgehen und man sagt: „Oh, wenn ich das früher gewusst hätte!“ Weiterhin zu dem einmal gegebenen Versprechen zu stehen, das macht Treue aus. Nur am ursprünglich einmal Gesehenen und Gemeinten festzuhalten, führt in die Unbeweglichkeit, in die Routine, in die Borniertheit, manchmal in den Fanatismus.

Auf den ersten Blick mag es sich widersprechen, treu zu sein und flexibel zu bleiben. Aber ohne Flexibilität stirbt die Treue. In meiner Ordensprovinz gab es früher eine Zeitschrift mit dem Titel „Wandlung in Treue“. Der Titel meinte: Der ursprünglichen Sendung treu zu bleiben, geht nur, wenn man sich auf die Gegebenheiten der Gegenwart immer wieder neu einstellt. Denn: „Du steigst nicht zweimal in denselben Fluss“, beim zweiten Mal hat sich nicht nur das Wasser verändert, auch der Mensch, der ins Wasser steigt, ist ein anderer geworden.

In diesen Veränderungsprozessen trotzdem in der versprochenen Verbundenheit und darin auch verbindlich zu bleiben, das macht Treue aus. Treue ist nicht einfach da. Sie will gelebt und trainiert werden. Von heute auf morgen wird niemand treu. Man muss klein anfangen, um große Krisen zu meistern. Wer sich und anderen in kleinen Dingen treu bleibt, ist es meist auch bei „größeren Dingen“. Im Hintergrund der Treue steht für mich als Christ das Vertrauen auf Gottes Treue. In seiner unbedingten Verlässlichkeit steht er zu mir, auch wenn ich nicht immer so bin, wie ich es gerne wäre. In seiner Treue, die er nicht von meinem Verhalten abhängig macht, ist er unbeirrbar. „Er heißt: der Fels … Er ist ein unbeirrbar treuer Gott, er ist gerecht und gerade“ (Dtn 32,4). Ein sprechendes Symbol für Treue ist der Anker. Fest verankert im Grund, lässt er dem Schiff mit seiner langen Kette (Leine) so viel Freiheit, wie es braucht, um sich den Wellen anzupassen. Starr festgebunden würde das Schiff zerbrechen und untergehen.

Tugend kommt von „taugen“ im Sinne einer allgemeinen Tauglichkeit. Darunter versteht man eine Fähigkeit und eine innere Haltung, das Gute leicht und mit Freude zu tun.

Erstveröffentlichung Zeitschrift „Franziskaner“ Winter 2010


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