Bruder Johannes-Baptist Freyer

Wer nicht arbeiten kann, soll es lernen!

800 Jahre franziskanische Geschichte: Gebettelt werden durfte nur im Notfall

Allgemein wird der Franziskanerorden oft als Bettelorden bezeichnet, der von Kollekten und Spenden lebt. Ein Blick auf die Ursprünge der sich um Franziskus von Assisi versammelnden Minderbrüder, wie die Gemeinschaft sich eigentlich nennt, weist da ein differenzierteres Bild auf. Dies hat der jüngst verstorbene Historiker und Erforscher der franziskanischen Frühgeschichte, David Flood, in verschiedenen Veröffentlichungen zur Bedeutung der Arbeit in der Entstehungsgeschichte der Minderbrüder aufgewiesen. Noch auf seinem Totenbett insistierte Franziskus darauf, dass seine Brüder von ihrer Hände Arbeit leben. Obwohl sterbenskrank lässt er in seinem Testament schreiben: »Und ich arbeitete mit meinen Händen und will arbeiten; und ich will nachdrücklich, dass alle anderen Brüder eine Handarbeit verrichten, die ehrbar ist. Die es nicht können, sollen es lernen, nicht aus dem Verlangen, Lohn für die Arbeit zu erhalten, sondern um ein Beispiel zu geben und den Müßiggang zu vertreiben. Und wenn uns einmal der Arbeitslohn nicht gegeben würde, so wollen wir zum Tisch des Herrn Zuflucht nehmen und um Almosen bitten von Tür zu Tür.« (Test 20–22) Die Lebensgrundlage der Brüder sollte folglich auf der Arbeit basieren, und gebettelt werden durfte nur im Notfall. Welche bedeutende Rolle die Arbeit im Leben der ersten Brüder spielte, wird auch durch die entsprechenden Verweise auf die Arbeit in der Regel von 1221 (nicht-bullierte Regel) und der endgültigen Regel von 1223 (bullierte Regel) deutlich. Die Anweisungen des 7. Kapitels der nicht-bullierten Regel thematisieren die Arbeit der Minderbrüder.

 

Die Regel der Franziskaner fordert, dass die Brüder, die arbeiten können, arbeiten. Diese historische Aufnahme von Bruder Othmar Diller zeigt Franziskaner in der Druckerei der Gemeinschaft in Fulda.

Gebettelt werden durfte nur im Notfall

»Keiner der Brüder, an welchen Orten sie auch bei anderen zum Dienen oder Arbeiten sich aufhalten, soll Kämmerer oder Kellermeister sein, noch überhaupt eine leitende Stelle in den Häusern derer innehaben, denen sie dienen. Auch sollen sie kein Amt übernehmen, das Ärgernis hervorrufen oder ihrer Seele Schaden zufügen würde. Sie sollen vielmehr Mindere und allen untergeben sein, die im gleichen Hause sind. Und die Brüder, die arbeiten können, sollen arbeiten und das Handwerk ausüben, das sie verstehen, wenn es nicht gegen das Heil ihrer Seele ist und ehrbar ausgeübt werden kann.« (RnB 7,1–3) Mit diesen Worden ordnen sich Franziskus und seine Bruderschaft in die Arbeitswelt seiner Zeit ein. Um die Bedeutung dieser Anweisung zu verstehen, muss man die von Franziskus benutzte Terminologie beachten. Mit dem deutschen Wort »arbeiten« wird das von Franziskus benutzte lateinische Wort »laborare, laborent« übersetzt. Die Begriffe »laborare, laborent« wurden im Mittelalter benutzt, um damit Handarbeit, insbesondere die Feldarbeit zu bezeichnen. Die mit dem Begriff »laborare« bezeichnete Arbeit wurde normalerweise vom Diener, einem Haussklaven, dem unfreien Bauern oder dem Tagelöhner verrichtet. Dabei handelt es sich meist um schwere, anstrengende und dreckige Arbeit. Diese Arbeit wurde nur von den sozialen Unterschichten geleistet. Darüber hinaus war diese Arbeit wegen einer damaligen Interpretation des Bibeltextes von Genesis 3,17–19 schlecht angesehen. »Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. (…) Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden …« Handarbeit und vor allem die Feldarbeit wurden deshalb als Folge der Sünde betrachtet, und wer diese verrichten musste, wurde per se als Sünder angesehen. Wenn nun Franziskus diese Terminologie benutzte, um die Arbeit der Brüder zu beschreiben, dann ordnet er sich und seine Brüder in diesen sozial niederen und theologisch als Sünder verachteten Stand ein. Da wird deutlich, dass es Franziskus und seinen Brüdern gerade nicht darum ging, durch die Arbeit reich zu werden. Durch die ausgeübte Arbeit sollte in der Nachfolge Christi das Leben der einfachen Leute, der Tagelöhner und der Armen, geteilt werden, wie es auch im 9. Kapitel der Regel von 1221 deutlich ausgesprochen wird. »Alle Brüder sollen bestrebt sein, der Demut und Armut unseres Herrn Jesus Christus nachzufolgen. Und sie sollen beherzigen, dass wir von der ganzen Welt nichts anderes nötig haben als, wie der Apostel sagt, Nahrung und Kleidung; damit sind wir zufrieden. Und sie müssen sich freuen, wenn sie sich unter unbedeutenden und verachteten Leuten aufhalten, unter Armen und Schwachen, Kranken und Aussätzigen und Bettlern am Wege.« (NbR 9,1–2) Die regelmäßige Arbeit mit und unter den unbedeutenden Leuten sollte eben nicht dem wirtschaftlichen Erfolg und dem monetären Gewinn dienen. Vielmehr diente die Arbeit, dem Verständnis des Evangeliums folgend, der Solidarität mit den Verachteten und den durch den entstehenden bürgerlichen Kapitalismus Benachteiligten und Verarmten. Wurde ihnen ein lebenswürdiger Lohn verweigert, sollten die Brüder, wie andere Arme, durch Betteln zum Tisch des Herrn Zuflucht nehmen. Dies bedeutete, auf die Großzügigkeit und Solidarität der Menschen angewiesen zu sein.

Johannes Baptist Freyer lehrte als Professor für Theologiegeschichte und Franziskanische Theologie an der Päpstlichen Universität Antonianum in Rom. Von 2005 bis 2011 war er Rektor dieser Universität. Heute ist er Referent für franziskanische Grundsatzfragen an der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn, „Franziskaner Helfen“.

Die Brüder sollten ihre Berufe weiter ausüben

Im Regeltext von 1221 wird auch der Begriff »artem« verwendet. Dieses Wort gehört zu einer mittelalterlichen Terminologie, die das Gewerbe des Kunsthandwerkers ausdrückt. Gerade in der Zeit von Franziskus wurde das Handwerk in den Städten zu einer starken Bewegung, die sich in den verschiedenen Ständen und sozialen Zünften zusammenschloss. Jeder Handwerksberuf bildete seine eigene Gruppe in den Städten. Für die Ausübung dieser Berufe war ein gewisses Maß an Ausbildung und Professionalität erforderlich. Die Handwerker waren freie Männer und keiner Grundherrschaft unterworfen. Sie boten ihr Handwerk durch einen Kaufvertrag an. Oft wurde auch der Beruf des Arztes, des Notars und des Stadtschreibers als eine solche »Kunst« angesehen. Viele der ersten Brüdergeneration kamen aus diesen sozialen Schichten und wurden, bevor sie der Gemeinschaft der Minderbrüder beitraten, in einem dieser Berufe ausgebildet. Die Regula non bollata hindert sie nicht daran, sondern ermutigt sie sogar, ihren Beruf weiter auszuüben. Wenn der Bruder diese Berufe ehrlich ausübt, kann er zum täglichen Unterhalt der Bruderschaft beitragen und ihren Einsatz für die mittellosen Menschen, mit denen sie zusammenleben, unterstützen. Ein Problem entstand durch die Einführung des Geldes als Mittel zur Entlohnung von Arbeit. Dies privilegierte einige wenige soziale Schichten und brachte der Mehrheit der Bürger, insbesondere den Angehörigen der unteren Klassen, großes Elend. Deshalb war für Franziskus die Entlohnung mit Geld nicht mit der Nachfolge Christi vereinbar. Sein Verbot, Geld als Lohn anzunehmen, ermöglichte es den Brüdern, die Lohnarbeit verrichteten, die Nachfolge des armen und demütigen Christus dennoch zu verwirklichen. Die Entscheidung, kein Geld als Lohn für die Arbeit anzunehmen, sollte auch sicherstellen, dass die Brüder das Leben mit den Randgruppen der Gesellschaft teilten, auch wenn sie in der Lage waren, eine gehobenere Arbeit zu verrichten. Naturalien durften als Gabe angenommen werden. Wenn die Brüder nun nicht das Nötigste als Gabe für das tägliche Leben erhielten, sollten sie eben auch zum Betteln Zuflucht nehmen.

Almosen nehmen und geben als Gnadentausch

In der theologischen und spirituellen Sichtweise des Mittelalters wurde das Bitten um Almosen als ein gegenseitiger Dienst zwischen dem Geber und dem Empfänger angesehen. Das Erbitten von Almosen wurde als ein Akt der Demütigung angesehen. Jedoch hatte der arme Bettler etwas als Gegenleistung für die erhaltenen Almosen anzubieten. In der Tat bot der Arme dem Reichen die Möglichkeit, ein Werk der Nächstenliebe zu tun, das gerade für ihn notwendig war, um den Weg von den Sünden, zu denen der Reichtum verleitete, zum Himmel zu finden. Für die Spiritualität des Mittelalters war das Almosengeben also nicht nur eine einfache Geste der Großzügigkeit; vielmehr ein echter Tausch von geistigen Gütern, d. h. die Möglichkeit, sich durch die Ausübung der Tugend der Demut auf der Seite des Armen und eines Werkes der Barmherzigkeit auf der Seite des Reichen, den Weg zum Himmel zu verdienen. Man sprach auch von einem Gnadentausch zwischen den Armen und den Reichen. Auch die auf die Regel von 1221 folgende sogenannte bullierte Regel von 1223 spricht im 5. Kapitel von der Arbeit der Brüder. »Jene Brüder, denen der Herr die Gnade gegeben hat, arbeiten zu können, sollen in Treue und Hingabe arbeiten, und zwar so, dass sie den Müßiggang, den Feind der Seele, ausschließen, aber den Geist des heiligen Gebetes und der Hingabe nicht auslöschen, dem die übrigen zeitlichen Dinge dienen müssen.« (BR 5,1–2) Der kurze Text lässt sofort deutlich werden, dass das Leben der Bruderschaft sich in relativ kurzer Zeit verändert hat. Unterdessen steht nicht mehr nur die Handarbeit im Blickpunkt. Auch die Predigertätigkeit der Brüder ist zu einem neuen Schwerpunkt des Lebens der Minderbrüder geworden. Die Fähigkeit zur Handarbeit wird als Gnade und wichtig angesehen, aber nicht mehr von allen Brüdern verrichtet. Die spirituelle Dimension und das Gebetsleben als Voraussetzung des Predigens treten nun mehr in den Mittelpunkt. Dennoch bleibt die Einordnung der Bruderschaft in die niederen Stände der Zeit ein entscheidendes Element der Nachfolge des armen Christus: »Die Brüder sollen sich nichts aneignen, weder Haus noch Ort noch sonst eine Sache. Und gleichwie Pilger und Fremdlinge in dieser Welt, die dem Herrn in Armut und Demut dienen, mögen sie voll Vertrauen um Almosen bitten gehen und sollen sich dabei nicht schämen, weil der Herr sich für uns in dieser Welt arm gemacht hat.« (BR 6,1–3) Für die Predigertätigkeit wird keine Entlohnung verlangt und werden keine Gebühren eingezogen. Da bleibt für die predigenden Brüder nur die Bitte um Almosen, um das zum Leben Notwendige zu erhalten. Damit verzichten die predigenden Brüder auf das damalige Recht, für ihre pastorale Tätigkeit ein Entgelt zu erhalten, und erbitten stattdessen eine Unterhaltsgabe. Durch diesen Verzicht auf eine ihnen zustehende Vergütung bleibt die solidarische Lebensnähe zu der Bevölkerungsschicht, die auch keine Ansprüche stellen konnte und durfte, bestehen. Die Arbeit wie auch die pastorale Predigertätigkeit sollten, als Konsequenz der Nachfolge des armen Jesus und dessen Solidarität mit den Armen und Sündern, der Nähe der Minderbrüder zu den wirtschaftlich und religiös benachteiligten Schichten der damaligen Bevölkerung dienen.

Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Franziskaner, Sommer 2024


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert