Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 4

4/2022 19 Der eben benützte Ausdruck „Profanprostituierte“ will uns darauf aufmerksam machen, dass es in der Alten Welt auch „Kultprostituierte“ (auch „Hierodulen“ genannt) gab. Im kanaanäischen Kulturkreis, d. h. in der heidnischen Umgebung Israels, waren sexuelle Vereinigungen im Rahmen von Saat- und Erntefesten üblich. Männliche und weibliche Tempelprostituierte verkörperten die göttliche Lebenskraft. Durch die „Heilige Hochzeit“ am Kultort wollte man sich – auf der Grundlage einer gewissen Imitations-Magie – der Fruchtbarkeit und des Segens eines Götterpaares vergewissern. Solche Ideen und Riten drangen vorübergehend auch in Israel ein. Deshalb wird in Dt 23,18 ausdrücklich bestimmt: „Unter den Frauen Israels soll es keine Geheiligte geben und unter den Männern Israels soll es keinen Geheiligten geben. Du sollst weder Dirnenlohn noch Hundegeld in den Tempel des Herrn, deines Gottes bringen.“ Nach 2 Makk 6,4 verstieß man eine Zeitlang gegen dieses Gebot, indem man sich „in den Vorhöfen des Jerusalemer Tempels mit Dirnen abgab“. Angemerkt sei noch, dass ähnlich wir „Hirte“ auch der Begriff „Dirne“ bzw. „Hurerei“ in der Bibel ausgiebig in übertragener Bedeutung verwendet wird: Israel ist mit seinem Gott gewissermaßen verheiratet, d. h. wenn es anderen Göttern nachläuft, lässt es sich vom Geist der Unzucht beherrschen und „hurt nach fremden Götzen“ (vgl. Deut 31,16). Wie ging Jesus mit den Dirnen um? – Wir erinnerten vorhin schon an seine Begegnung mit einer stadtbekannten „Sünderin“ im Haus eines Pharisäers (Lk 7,36–50). Was die Frau bei dieser Gelegenheit an Jesus tut, ist für damaliges Empfinden ungehörig: Sie kommt mitten in ein für Männer reserviertes Gastmahl, bringt ein Gefäß Parfüm mit, löst ihr Haar (was auf die Anwesenden besonders erotisch wirken muss), küsst wiederholt die Füße Jesu und tut endlich vor allen Augen, was in den intimen Bereich gehört: sie salbt Jesu Füße. – Jesus lehnt all diese Gesten nicht ab. Er deutet sie nicht erotisch, sondern nimmt sie als das, was sie in dieser Situation sind: Ausdruck des Glaubens, der Liebe und der Dankbarkeit; Ausdruck auch der Bereitschaft, sich Jesus anzuschließen und sich von ihm Heil und Glück schenken zu lassen. – Mit anderen Worten: Jesus lässt sein Verhalten nicht von den Urteilen und Vorurteilen seiner Umgebung bestimmen. Für ihn ist jeder Mensch ein Sonderfall, ein Individuum, das Zuwendung und Achtung verdient. Die jüdischen Sklaven Die bisher vorgestellten Personengruppen waren bei aller sozialen Ächtung in ihrer Lebensführung persönlich frei. Sie konnten grundsätzlich tun und lassen, was sie wollten. Indem wir uns nun noch kurz mit den Sklaven befassen, steigen wir auf der gesellschaftlichen Leiter sehr weit nach Die Sünderin wäscht Jesus die Füße, ehem. Klosterkirche Fürstenfeldbruck © Petrus Schüler Außenseiter Außenseiter

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