Im Land des Herrn | 76. Jahrgang | 2022 - 4

IM LAND DES HERRN 8 4/2022 Natürlich weiß niemand, wo die Hirten aus dem Evangelium genau campiert haben. Sie musste mit ihren Herden ohnehin umherziehen, zumal in den regenarmen Sommermonaten, um Futter für ihre Tiere zu finden. Den Blicken der Eigentümer der Herden entschwunden, bestand immer die Möglichkeit für den Hirten, sich auch selbst zu bereichern. Unehrlichkeit und Pflichtvergessenheit waren ihm schlecht nachzuweisen; deshalb betraute der Eigentümer gerne Mitglieder der eigenen Sippe mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe. Die Söhne Jakobs waren mit den Herden ihres Vaters unterwegs (s. Gen 37), und auch David hütete die Schafe seines Vaters (s. 1 Sam 17,34). Die Entlohnung war geregelt, aber Betrug konnte nie ganz ausgeschlossen werden. So nimmt es nicht Wunder, dass manche jüdische Quellen vor den Hirten warnen und sie zu den Räubern und Betrügern rechnen. Dass Hirten als erste die Geburt des Messias vermelden, mag unterstreichen, dass Jesus gekommen ist, um Sünder zu berufen, nicht die Gerechten (s. Mt 9,13b). Die Hirtenfelder von Betlehem grenzen an die Ausläufer der Wüste Juda, die keine Sandwüste, sondern ein Kalksteingebirge ist , auf dessen dünner Humusschicht es für einige Wochen grünt und blüht, wenn es genug geregnet hat. Im Spätfrühling wanderten die Hirten mit ihren Herden hoch auf die abgeernteten Gersten und Weizenfelder vor Betlehem. Hier lagerten sie, als Maria Jesus gebar. Hier irgendwo erreichte sie die Botschaft der Engel. Das lateinische Hirtenfeld entstand da, wo Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer kleinen An- höhe Reste eines Klosters entdeckt worden waren. Die Franziskaner konnte das Gelände etwa 50 Jahre später erwerben und wiederum 50 Jahre danach setzten systematische Grabungen ein. Danach gehörten die Ruinen zu einem Kloster aus der Zeit um 400 n. Chr. , das im 6. Jahrhundert erweitert wurde und bis gegen 800 existiert haben muss. Landwirtschaftlich genutzte Höhlen, eine Bäckerei und verschiedene Kirchen konnten ausgemacht werden. Durch Keramik- und Münzfunde gesichert ist, dass die Gegend schon im 1. Jahrhundert bewohnt war. Der mit Hilfe kanadischer Pilgerspenden 1954 errichtete kleine Kuppelbau wurde nach Plänen des Architekten Antonio Barluzzi errichtet, dem die Franziskaner eine ganze Reihe wunderschöner Kirchen wie z. B. die in Gethsemane, am Ölberg (Dominus flevit), in Bethanien und in Ain Karem sowie auf dem Berg Tabor verdanken. Sie vermittelt den Eindruck eines offenen Zeltes durch die Gestaltung der Kuppel mit Glasbausteinen. Neben ihr werden aber auch noch Grotten dahinter als gottesdienstliche Räume genutzt , von denen die Pil- ger wegen der besonderen Atmosphäre ni cht l as s en wol len. Die in al lerletzter Zeit errichteten Kapellen auf dem Hirtenfeld nehmen dem gesamten Ort zwar immer mehr das Flair eines offenen Hirtenfelds, aber die Erfordernisse der Pilgergruppen aus aller Herren Länder, die hier die Christmette feiern wollen, lässt die Bautätigkeit mehr als sinnvoll erscheinen. Das orthodoxe Hirtenfeld l i egt nur 500 Meter entfernt . Eine tiefer l iegende Schafherde in der Kalksteinwüste Judäas nahe Betlehem © Petrus Schüler

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