Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 1

1/2023 19 Frauen am Lande, war auch bei der Pilgerfahrt vertreten. Vor 9 Uhr strömte alles dem im Flaggenschmucke prangenden neuen Dome zu. Hier zelebrierte am Hochaltar vor der nach Tausenden zählenden Schar der Andächtigen der hochwürdige Obmann des vorbereitenden Komitees des Pilgerzuges, P. T. Prälat Pinzger, die Pilgermesse. Die fünf Pilgergruppen hatten sich rings um den Hochaltar um ihre Gruppenbanner geschart. Diese prächtigen Banner, von Bildhauer Linzinger gefertigt, bestanden aus dem fünffachen Jerusalem-Kreuze in Rot und Gold, auf einer Stange getragen; auf jedem Kreuze war die Zahl der Gruppe deutlich ersichtlich. Unsere stramme Pilgermusik, als deren Kapellmeister Herr Reder, landschaftlicher Ratstürhüter in Linz, fungierte, trat hier zum ersten Male in Tätigkeit und spielte das weihevolle ,Hier liegt vor deiner Majestät.‘ Nach der heiligen Messe wurden, soweit dies nicht schon am Vorabend geschehen war, die Pilgerbinden verteilt. Sodann zerstreuten sich die Pilger, viele blieben noch im Dome, um die Schönheiten dieses großartigen Bauwerkes zu bewundern und bei der Pilgermadonna zu beten. Um 1/2 12 Uhr war die eigentliche Abschiedsfeier im neuen Dome. ... Es war eine herzergreifende Stunde. Majestätisch ertönten die Glocken vom Domturme herab, und mächtig verkündeten die eherenen Zungen ins weite Land, die Kreuzfahrer sind gerüstet: Auf, ins heilige Land! ... An der Spitze des Zuges ging die erste Gruppe, zuerst die Pilgerpriester, dann die Männer und zum Schluß die Frauen. So bei jeder Gruppe. Dann folgte die Pilgermusik und die Pilgerfahne. Alles entblößt jetzt ehrfurchtsvoll das Haupt; von den Schultern kräftiger Männer getragen, schwebt im himmelblauen Mantel, die goldene Krone auf dem Haupte, die Pilgermadonna durch die Straßen; lächelnd blickt ihr Gotteskind hinab auf die ungezählten Tausende, die wie bei der Fronleichnamsprozession zu beiden Seiten Spalier bilden. ... Die Prozession nahm, wie beim ersten Pilgerzug, durch die Herrenstraße und Volksgartenstraße den Weg zum Bahnhofe. Die Scharen beteten den schmerzhaften Rosenkranz, von Zeit zu Zeit ertönten die Klänge der Musik und die feierlichen Chöre des Pilgerliedes. Wie beim ersten Pilgerzug konnte man das spalier-bildende Publikum in den Straßen, ungerechnet die ungezählten Zuschauer in den Fenstern, ja sogar auf den Dächern der Häuser, auf 20.000 berechnen. Da gab’s rührende Szenen, Abschiedsgrüße, Händedrücken, manches Tränlein perlte den Scheidenden und Zurückbleibenden über dieWangen.“ (Pesendorfer, S. 34–42) Auch die Rückkehr der Pilger war für Linz ein festliches Ereignis. Mit Palmwedeln begab sich die Pilgerprozession vom Bahnhof zum neuen Dome, um abschließend dort den Schlussgottesdienst zu feiern. Uns profanen Ferienmenschen von heute mag der Zeitgeist von damals seltsam erscheinen. Doch genau in den seit Jahrhunderten immer wieder unternommenen Pilgerreisen und noch mehr in den organisierten Volkswallfahrten der Jahrhundertwende liegen wichtige Wurzeln der modernen Reisewelle und des organisierten Tourismus: mit einem ernsten Motiv im Kern – sei es, wie im hier geschilderten Falle, religiöse Erbauung, sei es, wie zum Beispiel bei den ersten Gruppenreisen deutscher und englischer Veranstalter nach Ägypten, kulturelle Bildung oder wissenschaftliche Orientierung – waren erstmals auch Angehörige mittlerer und unterer Schichten in größerer Zahl in der Lage, ohne großen Aufwand an Zeit, Geld und Selbstorganisation die Faszination mediterraner Landschaft, einer fremden Kultur und eines anderen Ambiente zu erleben. Diese Faszination spricht auch zwischen allen Zeilen der Schilderung von Reiseerfahrungen unserer oberösterreichischen Pilger vom Donaustrand ins heilige Land im zitierten Buch des Chronisten. Zitierte Quelle Friedrich Pesendorfer: Vom Donaustrand ins heilige Land. Gedenkbuch des II. Oberösterr. Pilgerzuges nach Jerusalem vom 17.April bis 8. Mai 1904, Linz 1905: Verlag des Kathol. Preßvereins Pilgerreise Pilgerreise

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