Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 1

IM LAND DES HERRN 26 1/2023 derten zehn Männer zur Stelle waren, fand in der Regel ein Gottesdienst an den Samstagen (Sabbat) und an den Feiertagen statt. Am Sabbat versammelte man sich übrigens gleich zweimal, nämlich am Vormittag gegen 9 Uhr und am Nachmittag gegen 16.30 Uhr, d. h. zur der Stunde, da in Jerusalem das tägliche Abendopfer dargebracht wurde. In Marktflecken und größeren Ortschaften wurden darüber hinaus am Montag und Donnerstag Synagogengottesdienste angeboten, um den Bauern, die traditionell an diesen Tagen zum Markt kamen, Gelegenheit zu geben, einmal einem „vollen Gottesdienst“ beizuwohnen; in ihren abgelegenenWohnorten hatten sie dazu oft keine Möglichkeit. Im Gottesdienst durfte grundsätzlich jeder erwachsene Israelit als Lektor fungieren. Je nach dem „liturgischen Rang“ des Tages wechselte die Zahl der Lektoren. Am Sabbatvormittag erhöhte sie sich auf sieben. Jeder Vorleser musste wenigstens drei Verse vortragen, weshalb die am Sabbat angebotene Tora-Lektion zumindest 21 Verse betrug. Da das Hebräische, in dem die heiligen Texte verfasst waren, in den Tagen Jesu längst nicht mehr Volkssprache war, mussten die Lesungen von einem geschulten Dolmetscher in die westaramäische Landessprache übertragen werden, und zwar Vers für Vers. Diese Übertragung musste frei (ohne Vorlagen) erfolgen, was sprachliches Einfühlungsvermögen und theologisches Wissen voraussetzte. Im Gottesdienst am Vormittag des Sabbats folgte auf die Tora-Lesung eine Lesung aus den pro-phetischen Büchern des Alten Testaments. Diese Lesung war von der Gottesdienstordnung nicht festgelegt. Der Vorleser (entweder der letzte Tora-Lektor oder ein Mann, der sich freiwillig meldete) konnte den Abschnitt, den er vortragen wol lte, selbst bestimmen (wobei auch hier wieder ein Dolmetscher benötigt wurde). Den letzten Teil des Gottesdienstes bildete eine Predigt, die grundsätzlich von jedem erwachsenen Teilnehmer gehalten werden konnte. Diese Predigten waren in der Regel kurz und einfach: Der Redner entwickelte kaum eigene Gedanken, sondern bekräftigte durch Vergleiche und Ausschmückungen die Aussagen der Bibel. Hatte der Prediger seine Erläuterungen beendet, schloss der Synagogendiener die Schriftrollen vor der versammelten Gemeinde in den (transportablen) Schrein (der auch „Arche“ genannt wurde) ein. Damit war der Gottesdienst abgeschlossen; die Leute gingen ohne einen besonderen Schlussritus auseinander. Mit Jesus in der Synagoge von Nazaret Wir haben schon darauf hingewiesen, dass nach Auskunft der Evangelisten Jesus sehr oft die Synagogen besucht und in ihnen gelehrt bzw. verkündigt hat. Da für die christlichen Gemeinden, an die sich die Evangelisten mit ihren Schriften richteten, der jüdische Synagogengottesdienst nicht mehr besonders wichtig und aktuell war, haben sie den Rahmen dieses Gottesdienstes nirgends ausdrücklich gezeichnet. Lediglich Lukas hat im vierten Kapitel seines Evangeliums mit wenigen Strichen diesen Rahmen angedeutet. Indem wir seinen Text zugrunde legen (und ergänzen), wollen wir uns vorstellen, dass wir mit Jesus und seinen Jüngern an einem Sabbatvormittag die Synagoge des kleinen Dorfes Nazaret besuchen.Was erleben wir hier? Der Gottesdienst beginnt mit einem liturgischen Teil. Dieser besteht aus Segenssprüchen und Gebeten, die den fünf Büchern Mose entnommen sind. Besonders eindrucksvoll ist das „Höre Israel“, eine Mahnung aus dem Mund Jahwes, die aus den Stellen Dtn 6,4–9; Dtn 13,11–21; Num 15,37–41 besteht. Inhaltlich geht es dabei um das Bekenntnis zu dem „Einen Gott Jahwe und seinen Geboten“. Ihm schließt sich das sog. „Achtzehngebet“ an, das seinen Namen von den achtzehn Lobpreisungen hat, aus denen es zusammengesetzt ist. In diesem Achtzehngebet sind Bitten enthalten, die in etwa in unserem Vaterunser wiederkehren

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