Im Land des Herrn | 77. Jahrgang | 2023 - 1

1/2023 29 sen hinabstürzen, auf dem Nazaret erbaut ist (Lk 4,29). Historisch-kritisch betrachtet ist an dieser Darstellung sicherlich vieles stilisiert und dramatisiert. Der leider wahre „ jesuanische Kern“ dürfte aber darin liegen, dass Jesus (wie wir vorhin schon angedeutet und wie wir es im weiteren Verlauf unserer Darstellung noch näher ausführen werden) in den Synagogen seiner näheren und ferneren Heimat nicht nur Bewunderung und Staunen erregte, sondern auch Widerstand, Ablehnung und Hass erfuhr. Auf der Suche nach den Menschen Zunächst wollen wir festhalten: Jesus hat seine Verkündigung nicht an einen bestimmten Ort gebunden. In Abhebung von Johannes dem Täufer, der mit seinem Wort nur die erreichte, die zu ihm in die Wüste hinauspilgerten (vermutlich im mittleren Jordangraben, in der Gegend zwischen dem See Gennesaret und dem Toten Meer), hat Jesus die Menschen dort aufgesucht, wo sie lebten und arbeiteten. Deshalb hat er nicht nur „in den Synagogen gepredigt“ (so wie ein heutiger Pfarrer nur in seiner Pfarrkirche predigt), sondern hat (bildlich gesprochen) seine „Lehrkanzel“ an unterschiedlichsten Orten aufgeschlagen. Besonders originell (und deshalb wohl „echt“) ist die Mitteilung der synoptischen Evangelisten, Jesus habe am Ufer des Sees Gennesaret gepredigt und dabei, wegen des Andrangs der Volksscharen, ein Boot als „Kanzel“ benutzt (Mk 3,9: „Er sagte zu seinen Jüngern, sie sollten ein Boot für ihn bereithalten, damit er von der Menge nicht erdrückt würde.“). An zahlreichen anderen Stellen wird ein Berg als Lehrstätte Jesu genannt (z. B. Mk 3,13). Das kann eine symbolische Angabe sein (der Berg ist ein uralter heiliger Ort, an dem sich die Gottheit offenbart und den Menschen Weisungen erteilt; denken wir an den „Berg Sinai“ und die „Zehn Gebote“!). Für den jedoch, der die Heimat Jesu mit ihren vielen Hügeln kennt, ist gut vorstellbar, dass Jesus bei seinen Wanderungen tatsächlich auf solchen „Bergen“ gerastet und bei dieser Gelegenheit längere Lehrgespräche mit seinen Begleitern geführt hat. Bei Lukas ist ein Wort überliefert, das auf einen weiteren „Predigtort“ Jesu hinweist. In einer Bildrede, die es mit der endgültigen Rettung des Menschen zu tun hat, lässt Jesus die vom ewigen Festmahl ausgeschlossenen Israeliten zum Hausherrn sagen: „Wir haben doch mit dir gegessen und getrunken, und du hast auf unseren Straßen gelehrt. . .“ (Lk 13,26). Damit ist indirekt bezeugt, dass Jesus als Wanderprediger „auf Straßen und Plätzen“ seine Stimme erhoben hat. Übrigens wissen wir auch von jüdischen Rabbinen, dass sie im Freien zu lehren pflegten. Nicht vergessen dürfen wir bei unserer Aufzählung das Privathaus. Wenn Jesus von wohlhabenden Leuten zu einem Gastmahl eingeladen wurde, nahm er gerne die Gelegenheit wahr, seinen Gastgebern und Mitgästen eine Lehre zu erteilen. – Als er z. B. im Haus des Zöllners Levi zu Tisch saß und von den Schriftgelehrten zur Rede gestel lt wurde, „wei l er mit Zöllnern und Sündern isst“, sprach er die bedeutsamenWorte „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um Gerechte rufen, sondern Sünder“ (Mk 2,17). JesuWirken in der Synagoge Die Synagoge war also nicht die einzige Wirkungsstätte Jesu, aber sie war eine der wichtigsten. Nicht weniger als 34mal wird sie von unseren Evangelisten erwähnt. Sie unterscheidet sich von den anderen Predigtorten durch ihren offiziellen Charakter: Sie ist Versammlungsraum einer jüdischen Gemeinde mit verantwortlichen Autoritäten. Solange sich Jesus der Sympathie des Volkes und seiner religiösen Führer erfreute, stand ihm die Synagoge jederzeit offen. Je mehr er jedoch mit seinen Worten und Taten in Widerspruch zur Tradition geriet, desto mehr hat man ihm den Zugang zur Synagoge verwehrt. Alltag zur Zeit Jesu Alltag zur Zeit Jesu

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