Im Land des Herrn | 78. Jahrgang | 2024 - 1

Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land 78. Jahrgang 2024 / Heft 1

Die erste Ausgabe unserer Zeitschrift erreicht Sie in der Zeit vor Ostern; darum soll das Hauptthema in dieser Ausgabe der Berg Zion mit dem Abendmahlssaal sein, wo Jesus Christus am Abend des Gründonnerstages seinen Jüngern die Füße gewaschen hat und beim Letzten Abendmahl die hl. Eucharistie eingesetzt hat. In der letzten Ausgabe haben wir das Thema schon gestreift im Artikel über das East New Imperial Hotel: dessen Besitzerfamilie Dajani war lange Zeit auch Besitzer des Davidsgrabes und damit des Abendmahlssaales. Mit der Materie der Eucharistie – Brot und Wein – beschäftigt sich ein weiterer Artikel und auch mit Besuchern des Abendmahlsaales in der jüngeren Geschichte. Viele Anfragen erreichen das Kommissariat, in denen um Informationen über die momentane Situation gebeten wird. Dem will ich nachkommen und lasse den Pfarrer von Gaza, Padre Gabriel Romanelli zu Wort kommen. Doch ist es wichtig zu wissen: es geht nicht nur um das Blutbad (Original-Ton Vatikan) in Gaza; dieser Krieg verändert das Heilige Land mehr als wir es uns momentan ausmalen können. Es geht nicht nur um die ökonomischen Auswirkungen. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa formuliert: wir müssen gemeinsam die Gräben des Hasses zuschütten. Dieser Hass schwappt über in alle unsere Medien und soll scheinbar „salonfähig“ gemacht werden. Pater Gabriel Romanelli, seit sechs Jahren für die kleine Pfarrei tätig, ist Argentinier und gehört zur Ordensgemeinschaft „Verbo incarnado“. Zur gleichen Ordensgemeinschaft gehören auch Schwestern, die in Gaza schwerbehinderte Kinder betreuen. Auch „Schwestern von Mutter Theresa“ arbeiten in Gaza sowie Rosenkranzschwestern – eine lokale Schwesterngemeinschaft. Das Pfarrzentrum im Zentrum der Stadt Gaza ist Mittelpunkt der wenigen hundert Christen und beherbergt auch eine Schule für ca. 2000 Sehr verehrte Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Heiligen Landes! Schüler, meist Muslime. Auch wenn es nur eine kleine christliche Gemeinschaft in Gaza gibt, so ist sie doch sehr aktiv; es zeigt sich auch daran, dass jetzt im Krieg um die 700 Menschen auf dem Schulareal Schutz suchen, weitere 250 Menschen bei der orthodoxen Kirche. Auch wenn uns suggeriert werden soll, wie human und rücksichtsvoll das israelische Militär vorgehen würde: am 16. Dezember 2023 wurde der Konvent der Schwestern von Mutter Theresa beschossen, danach haben israelische Scharfschützen zwei Frauen, die gerade den Konvent betreten wollten, vom gegenüberliegenden Hügel aus erschossen. Der sofortige heftige Protest von Kardinal Pizzaballa wurde zuerst von Israel bestritten, erst als die Wahrheit sich nicht mehr verbergen ließ, wurde eine „Untersuchung“ angekündigt – über die wir wohl nicht mehr viel hören werden. Auch Papst Franziskus, der in telefonischem Kontakt mit den Ordensleuten in Gaza steht, hat beim sonntäglichen „Angelus“ dieses ungeheuerlich brutale Vorgehen ganz klar verurteilt. Er schließt seine Worte: „… Das ist Krieg, das ist Terrorismus. Die Heilige Schrift sagt: Er setzt den Kriegen ein Ende…. Den Bogen zerbricht er, die Lanze zerschlägt er… (vgl. Psalm 46,9) Die Westbank ist abgeschlossen, viele Arbeiter können ihre Arbeitsstellen nicht mehr erreichen. Die wirtschaftliche Lage vieler Familien ist so prekär, dass sie die Schulgebühren ihrer Kinder nicht mehr zahlen können… Die Pilgerhäuser sind geschlossen, ebenso viele Heiligtümer. Wir wissen nicht was die nächsten Tage und Wochen bringen werden, darum wollen wir Kommissare des Heiligen Landes Sie bitten: vergessen Sie bitte nicht das Heilige Land, seine Bewohner, seine heiligen Stätten. Im Namen meiner Mitbrüder wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Osterfest,

1/2024 3 Inhalt Der Abendmahlssaal auf dem Zion Heinrich Fürst/Gregor Geiger Getreide und Brot Bibelwerk Linz – Petrus Schüler Vom Weinberg zum Wein Claire Burkel Ein prominenter Besucher des Abendmahlssaales: Adrian von Bubenberg Petrus Schüler Das Heilige Grab in Eichstätt – „Jerusalem im Altmühltal“ Robert Jauch Zwei neue Orgeln für das Heilige Land Petrus Schüler Eine Gründonnerstagsmesse im Abendmahlssaale Petrus Schüler Titelbild: Fußwaschung im Abendmahlssaal am Gründonnerstag © CTS Rückseite: Westfenster der Christ-Church Jerusalem: Brot („Ich bin das Brot des Lebens“) und Wein („Ich bin der wahre Weinstock“) umrahmen die Passionsblume als Zeichen des Leides Jesu Alle Fotos in der Zeitschrift (wenn nicht anders angegeben) © Petrus Schüler Seite 18 Seite 21 Seite 4 Seite 25 Seite 27 Seite 33 Seite 31

4 1/2024 Der Abendmahlssaal auf dem Zion Heinrich Fürst/Gregor Geiger ehrere heilige Stätten der Evangelien liegen heute, im Gegensatz zur Zeit Jesu, außerhalb der Stadtmauern, im Süden der Altstadt: der Abendmahlssaal, die Kirche der Entschlafung Mariens (Dormitio) und der Kajaphaspalast auf dem Berg Zion; dazu kommt weiter unten die Kirche St. Peter beim Hahnenschrei (in Gallicantu). Der Berg, den man in christlicher Tradition Zion nennt, ist der Südwesthügel der Stadt, ein Plateau, das im Osten durch das Stadttal (Tyro poiontal) von der Davidstadt getrennt wird, während es im Westen und Süden ins Hinnomtal abfällt. Der nördliche Teil des Plateaus liegt innerhalb, der südliche außerhalb der heutigen Stadtmauer, die Verbindung stellt das Zionstor her. Dieser Südwesthügel, ab dem 8. Jh. v. Chr. allmählich besiedelt und in die Stadt einbezogen, wurde in der Hasmonäerzeit wegen seiner erhöhten, freien Lage zum bevorzugten Bezirk der Vornehmen und Wohlhabenden. In biblischer Zeit dagegen bezeichnete man als Berg Zion die Erhebung nördlich der ursprünglichen Stadt (der „Davidstadt“), auf der sich die „Tenne des Arauna“ befand, die David kaufte und auf der Salomo das Heiligtum für die Bundeslade errichtete, also den Tempelberg. Christliche Theologie übertrug diesen Namen, da das christliche Hauptheiligtum nicht mehr der Tempel, die Wohnung Gottes auf Erden, ist: Gott ist in seinem Volk auf neue Art gegenwärtig, in der Eucharistie und im Heiligen Geist – beides hat auf dem „Neuen Zion“ seinen Ursprung. Dieser theologischen folgte bald auch die geographische Übertragung des Namens, die heute Allgemeingut geworden ist, auch auf israelischen Landkarten. Das Haus des Kajaphas: Gleich außerhalb des Zionstores sieht man, diesem gegenüber, ein ummauertes Grundstück mit der Bauruine einer armenisch-orthodoxen Kirche. Christliche Überlieferung sieht hier seit der Kreuzfahrerzeit den Ort des Kajaphaspalastes, wohin Jesus nach seiner Gefangennahme geführt und wo er noch M Zionstor, rechts der Eingang zum armenischen Gelände (Kajaphas-Palast)

1/2024 5 in der Nacht verhört wurde. Ein altes Mosaik in diesem Areal könnte als zusätzliche Stütze dieser Annahme gewertet werden. Die Kreuzfahrer hatten hier eine kleine Kirche, seit 1335 gehört der Ort den Armeniern. Nach dem Unabhängigkeits- und dem Sechs-Tage-Krieg, durch die das Grundstück schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, begannen die Armenier mit dem Bau einer neuen, dem Erlöser (Salvator) geweihten Kirche. Der Bau wurde nach einiger Zeit gestoppt, angeblich weil die nötigen Baugenehmigungen nicht vorlagen. Geht man außerhalb der Stadtmauer nach rechts (Westen) weiter, kommt man bald darauf an ein Tor. Dahinter befindet sich ein Friedhof, der bis ins 19. Jh. der Friedhof des lateinischen Gemeinde war. Heute noch dient er als letzte Ruhestätte der Franziskaner. Lässt man stattdessen das armenische Gelände zur Rechten und geht vom Zionstor aus nach Süden (von der Altstadt weg), kommt man nach wenigen Schritten zu einer Weggabelung und hat zwischen beiden Wegen ein graues Metalltor vor sich. Dahinter verbirgt sich das Franziskanerkloster Cenacolino (ital. „Abendmahlssälchen“). Die Franziskaner waren zwar und sind immer noch bemüht, den Abendmahlssaal wieder seiner eigentlichen Bestimmung zurückzuführen, nämlich als Ort der Eucharistiefeier, begnügen sich aber einstweilen mit einer kleinen Niederlassung wenige Meter davor, die sie 1936 erwerben konnten. Dieses Klösterchen geriet 1948–1967 in die Verödung des Niemandslands zwischen den Grenzen. 1981 wurden darin zwei Kapellen eingerichtet. Die größere von beiden liegt, wie der Abendmahlssaal, im Obergeschoß und ist mit einer Abendmahlsgruppe und einer Statue der Gottesmutter des italienischen Franziskaners Andrea Martini (1917–1996) ausgestattet. 2013/14 wurde der Konvent renoviert und die beiden Kapellen von den italienischen Künstlern Michele Canzoni und Rossella Leone neu gestaltet. Sie stehen Pilgergruppen für Gottesdienste offen. Nimmt man an der Weggabelung den rechten Weg, zweigt kurz danach noch einmal rechts die Gasse ab, die zum Eingang der Dormitio führt. Lässt man diese zur Rechten, sieht man bald links den (heutigen) Eingang zum Abendmahlssaal. Der Abendmahlssaal Der Abendmahlssaal Eingang zum armenischen Gelände (Kajaphas-Palast) Friedhof der Franziskaner auf dem Zion, ehemals auch Pfarrfriedhof

6 1/2024 IM LAND DES HERRN Der Abendmahlssaal „Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Paschalamm essen kann?“ Mit dieser Frage schickte Jesus zwei seiner Jünger in die Stadt. Der Evangelist Markus berichtet: Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote, an dem man das Paschalamm zu schlachten pflegte, sagten die Jünger zu Jesus: Wo sollen wir das Paschamahl für dich vorbereiten? Da schickte er zwei seiner Jünger voraus und sagte zu ihnen: Geht in die Stadt; dort wird euch ein Mann begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm, bis er in ein Haus hineingeht; dann sagt zu dem Herrn des Hauses: Der Meister lässt dich fragen: Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Paschalamm essen kann? Und der Hausherr wird euch einen großen Raum im Obergeschoß zeigen, der schon für das Festmahl hergerichtet und mit Polstern ausgestattet ist. Dort bereitet alles für uns vor! Die Jünger machten sich auf den Weg und kamen in die Stadt. Sie fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Paschamahl vor (Mk 14, 12–16). Über die Lage des Hauses, in dem sich die Ereignisse des Abends vollziehen sollten, enthalten die Evangelien leider keine genaueren Angaben. Vielleicht spricht aber gerade das dafür, dass das Haus zur Zeit des Evangelisten nur zu bekannt war. Weiter darf man annehmen, dass Jesus mit dem Besitzer des Saales bekannt war, da er mit so großer Selbstverständlichkeit anfragen ließ. Die einzige konkrete Einzelheit ist somit die Tatsache, dass es in einem Raum im Obergeschoss war, in dem Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl feierte, wohl bei einer begüterten Familie. Die Jünger waren „am Abend dieses ersten Tages der Woche“ versammelt, Jesus trat zu ihnen und zeigte sich ihnen als der Auferstandene in Vollmacht (Joh 20,19–23). „Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei“ (Joh 20,26). Das ist eigentlich nirgends sonst vorstellbar als eben in dem Obergemach, wo sie vor seinem Leiden zusammen waren. So spricht der Evangelist Lukas in seiner Apostelgeschichte wie selbstverständlich wieder von dem Obergemach, in dem die Urgemeinde nach der Himmelfahrt des Herrn ihr festes Zuhause hat: Dann kehrten sie von dem Berg, der Ölberg genannt wird und nur einen Sabbatweg von Jerusalem entfernt ist, nach Jerusalem zurück. Als sie in die Stadt kamen, gingen sie Coenacolino, Franziskanerkonvent, Ambo (Lesepult) in der unteren Kapelle © Thomas Abrell OFM Letztes Abendmahl, Refektorium S. Salvator Jerusalem, Fresko von P. Casentini, 2006

1/2024 7 in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben: Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern (Apg 1,12–14). Somit schließt sich der Kreis. Ein bekanntes Obergemach war nicht nur der Ort des Letzten Abendmahles, sondern auch die erste Versammlungsstätte der Christen in Jerusalem, die Urkirche. Es seien hier die wichtigsten der neutestamentlichen Texte angeführt, zunächst der vom Letzten Abendmahl. Es ist die unmittelbare Fortsetzung des oben zitierten Markustextes von der Vorbereitung dieses Mahls: Als es Abend wurde, kam Jesus mit den Zwölf. Während sie nun zu Tisch waren und aßen, sagte er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern, einer, der mit mir isst. Da wurden sie traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Doch nicht etwa ich? Er sagte zu ihnen: Einer von euch Zwölf, der mit mir dieselben Schüssel eintunkt. Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre. Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von Neuem davon trinke im Reich Gottes. Nach Berg Zion aus der Richtung des Ölbergs: unten St. Peter beim Hahnenschrei, darüber der Komplex des Abendmahlssaales unter dem Turm der Dormitio, rechts die Stadtmauer Der Abendmahlssaal Der Abendmahlssaal

8 1/2024 dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus (Mk 14,17–26). Im Johannesevangelium ist von Jesu letztem Mahl nicht die Rede, es wird offensichtlich als bekannt vorausgesetzt. Doch stellt dieser Evangelist die Fußwaschung in einer Weise dar, dass sie zu einem weiteren Höhepunkt des Abschieds Jesu wird, in dem die Liebe Jesu bis zur Vollendung deutlich und zum unüberbietbaren Beispiel für seine zum Mahl versammelten Jünger wird: Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. Es fand ein Mahl statt und der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn auszuliefern. Jesus, der wusste, dass ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte, stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war. Als er zu Simon Petrus kam, sagte dieser zu ihm: Du, Herr, willst mir die Füße waschen? Jesus sagte zu ihm: Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen. Petrus entgegnete ihm: Niemals sollst du mir die Füße waschen! Jesus erwiderte ihm: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir. Da sagte Simon Petrus zu ihm: Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt. Jesus sagte zu ihm: Wer vom Bad kommt, ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen. Auch ihr seid rein, aber nicht alle. Er wusste nämlich, wer ihn ausliefern würde; darum sagte er: Ihr seid nicht alle rein. Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt. Ich sage das nicht von euch allen. Ich weiß wohl, welche ich erwählt habe, aber das Schriftwort muss sich erfüllen: Der mein Brot isst, hat seine Ferse gegen mich erhoben. Ich sage es euch schon jetzt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt: Ich bin es (Joh 13,1–19). Die erste Ostererscheinung des Auferstandenen vor den versammelten Aposteln ist bei Johannes mit einer Wiederholung acht Tage später verbunden, die auch den „ungläubigen“ Thomas zum Glauben bewegt: Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Judas beim Abendmahl Jesu; der Teufel in Gestalt eines Affen reicht ihm den „Judas-Lohn“, Pfarrkirche Osterhofen IM LAND DES HERRN

1/2024 9 Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. Thomas, der Didymus genannt wurde, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben (Joh 20,19–29). Die Vollendung des österlichen Geschehens durch die Herabkunft des Heiligen Geistes und die Geburtsstunde der Kirche zeichnet Lukas in der Apostelgeschichte: Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf Fußwaschung und Abendmahl, Goldschmiedekapelle St. Anna Augsburg Der Abendmahlssaal Der Abendmahlssaal

10 1/2024 jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie waren fassungslos vor Staunen und sagten: Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber – wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden (Apg 2,1–11). Geschichte des Gebäudes Ob und wie das Obergemach die Zerstörung Jerusalems im Ersten Jüdischen Krieg 70 n. Chr. überstanden hat, ist nicht zu sagen. Der Pilger von Bordeaux (333 n. Chr.) ist der erste, von dem wir wissen, dass er als Pilger auf den Zion kommt. Er kennt die Stelle des Kajaphaspalastes mit der Geißelungssäule wie auch (innerhalb der heutigen Mauer) die des Davidspalastes. Er spricht weiter von sieben Synagogen auf dem Zion, von denen aber nur eine übrig geblieben sei. Man kann das mit einer weiteren Nachricht des Bischofs Epiphanius von Salamis auf Zypern, einem geborenen Juden, aus dem Jahr 392 kombinieren. Danach habe Kaiser Hadrian im Jahre 132 Jerusalem noch so verwüstet vorgefunden, wie es Titus zerstört hatte, „mit Ausnahme einiger Häuser und einer kleinen Kirche Gottes, die sich dort erhob, wo nach der Himmelfahrt des Erlösers die Jünger in den Obersaal hinaufstiegen.“ Es sieht also so aus, als ob der Ort des Obersaals noch bekannt war und dort „eine kleine Kirche“, vielleicht eine Synagogenkirche, bestanden hätte. Da diese kleine Kirche als judenchristlich betrachtet werden kann, dürfte sie mit der einzigen erhalten gebliebenen Synagoge gleichzusetzen sein, die der Pilger aus Bordeaux antraf, der Heidenchrist war. Bischof Cyrill von Jerusalem spricht um 350 von einer oberen Kirche der Apostel als Ort der Geistausgießung. Nach dem Zeugnis des hl. Hieronymus war die vom Pilger von Bordeaux erwähnte Geißelungssäule im Jahr 385 in die Vorhalle einer Kirche eingefügt. Anscheinend war also auf dem Herabkunft des Heiligen Geistes (Pfingsten), Kachel in der armenischen Kathedrale Jerusalem IM LAND DES HERRN Thomas legt seine Hände in die Wundmale Jesu, Kachel in der Armenischen Kathedrale Jerusalem

1/2024 11 Zion schon eine größere Kirche gebaut worden. Es ist ungeklärt, ob diese Kirche bereits die fünfschiffige Basilika war, die Bischof Johannes II. im Jahr 394 weihte, oder ob es einen Vorgängerbau gab. Reste der Basilika wurden beim Neubau der Dormitiokirche gefunden; sie war mit Mosaiken auch an den Wänden geziert. Über die genaue Lage der Kirche sind wir im Unklaren, es gibt zwei Hypothesen: Entweder sie lag an genau derselben Stelle wie die spätere Kreuzfahrerkirche oder sie war etwas nach Norden versetzt. Neu war die Bezeichnung der Basilika als Hagia Sion (griech. „Heiliges Zion“). Eigenartigerweise spielt damals die Abendmahlstradition noch keine Rolle, sie ist erst ab dem 5. Jh. in diesem Obergemach nachzuweisen. Ebenso wie viele andere Kirchen wurde diese Basilika von den Persern 614 schwer beschädigt, bestand aber in der ersten arabischen Periode noch. Vom gallischen Bischof Arkulf, der um 680 Jerusalem besuchte, ist sogar eine Zeichnung dieser Kirche überliefert. In jener Zeit wurde das ummauerte Stadtgebiet von Jerusalem verkleinert, so dass seit damals der Zion außerhalb der Stadtmauern liegt. Die Zionskirche fiel zwar 1009 der Zerstörungswut des Kalifen al-Hakim zum Opfer, aber die Kreuzfahrer konnten 1099 in den Ruinen einen Bittgottesdienst vor dem Sturm auf die Stadt feiern. Die Kreuzfahrer ersetzten die Ruine durch einen Neubau, über den wir durch Ausgrabungen 1898 und 1983/84 auf dem Gelände der Dormitio besser unterrichtet sind. Er war wie der Vorgängerbau fünfschiffig und nach hinten (Westen) länger als die byzantinische Kirche (72x36 m); der Abendmahlssaal befand sich erhöht im vorderen Teil der rechten Seitenschiffe. Man vermutet, eine Kapelle im Nordschiff der Kreuzfahrerkirche sei dem Heimgang Mariens geweiht gewesen. Aufgrund der großen Marienfrömmigkeit jener Zeit trat nun diese Abtei Dormitio, im Vordergrund der Armenische Friedhof, dahinter der Friedhof der Griechisch-Orthodoxen Pfarrei Der Abendmahlssaal Der Abendmahlssaal

12 1/2024 Tradition in den Vordergrund, so dass die Kirche jetzt Sancta Maria in Monte Sion, „St. Maria vom Berg Zion“, hieß. Diese Kirche wurde 1219 zerstört. Zehn Jahre später konnte der Abendmahlssaal, nicht aber die Basilika, wiederaufgebaut werden. Im Jahre 1333 erwarb das Königspaar Robert von Neapel und seine aragonesische Gemahlin Sancia vom Sultan von Ägypten die Überreste und vertraute sie mit Einwilligung des Papstes den Franziskanern an. Der Teil mit dem Abendmahlssaal wurde von den Franziskanern restauriert, neben dem Abendmahlssaal wurde ein Klösterchen errichtet, dessen kleiner Kreuzgang südlich davon bis heute zu sehen ist. Mehr als 200 Jahre hüteten die Franziskaner unter großen Opfern dieses Heiligtum und hatten hier ihren Hauptsitz. Ihr Oberer führte (und führt bis heute) den Titel „Guardian (Hausoberer) vom Berg Zion und Hüter (Kustos) der heiligen Stätten“. Bereits 1523 fasste die neue osmanische Regierung den Beschluss die Franziskaner zu vertreiben, konnte aber durch diplomatische Aktivitäten zunächst daran gehindert werden, den Beschluss durchzuführen. Doch 1551 wurde der Räumungsbefehl endgültig. Es wurde nämlich damals allgemein geglaubt, unter dem Abendmahlssaal befinde sich das Grab des Königs David, und die osmanische Regierung war der Meinung, es sei untragbar, dass Ungläubige (die Christen im Abendmahlssaal) über den Köpfen der Gläubigen (der Muslime beim Grab des Propheten David) herumtrampeln. Dies war der schmerzlichste Verlust seit dem Mittelalter, nicht nur der Franziskaner, sondern der Christenheit überhaupt. Die christliche Präsenz auf dem christlichen Zion, bei der Mutter aller Kirchen, war fast ausgelöscht. Bis zu den Neuerwerbungen seit dem ausgehenden 19. Jh. in der Umgebung des Abendmahlssaales blieben davon nur die Friedhöfe der verschiedenen christlichen Konfessionen, die den Zionsberg bis heute umgeben. Der Abendmahlssaal war zwar eine Moschee, trotzdem blieb er in Privatbesitz, nämlich (schon seit der Vertreibung der Franziskaner) der Familie Dadschani, ebenso wie der ganze Komplex. Seit jedoch im Unabhängigkeitskrieg 1948 die Im Kreuzgang des Zion-Klosters IM LAND DES HERRN Figur König David vor dem Abendmahlssaal. Die Figur wurde von orthodoxen Juden geschändet (Nase abgeschlagen)

1/2024 13 muslimische Bevölkerung (einschließlich Teile der Familie Dadschani) floh bzw. vertrieben wurde und der Abendmahlssaal ganz hart an der Demarkationslinie israelisch wurde, ist der Abendmahlssaal kein offizieller Gottesdienstraum mehr. Er steht zwar Besuchern offen, aber die Eucharistie, die hier ihren Ursprung hat, kann nicht gefeiert werden. Besichtigung: Nachdem man über eine Treppe im Innenhof auf die Höhe des Obergemachs gestiegen ist, durchquert man einen (modernen) Vorraum, kommt danach noch einmal ins Freie und hat schließlich den Eingang zum Abendmahlssaal vor sich. Rechts vom Eingang sieht man eine mächtige Säule, die einzige noch sichtbare aus der Kreuzfahrerkirche. Der Saal ist leer, als ob er auf die Jünger wartete, die ihn für das Abendmahl herrichten sollten (vgl. Mk 14,15). Er ist ein spätgotischer Raum (15x9 m). Sein Gewölbe wird von drei Säulen (eine davon ist mit der westlichen Wand verbunden) mit unterschiedlichen Kapitellen aus dem 12. Jh. getragen. Die Pfeiler mit vorgesetzten Säulen der Kreuzfahrerkirche konnten weiterverwendet werden. Die genaue Datierung des Saales ist umstritten, es gibt drei Möglichkeiten: Entweder entging er der Zerstörung der restlichen Kirche 1219 und wurde später umgestaltet, „modernisiert“; oder (diese These gilt als die wahrscheinlichste) er wurde 1229–44, als die Kreuzfahrer noch einmal nach Jerusalem zurückkehrten, wiedererrichtet; oder er geht auf die Franziskaner ab 1335 zurück, die ältere Bauelemente verwendet hätten. Gleich am Eingang sieht man rechts am Wandpfeiler, unterhalb vom Kapitell, eine farbige Wappenzeichnung: Es ist das Wappen von Regensburg mit den gekreuzten Schlüsseln des hl. Petrus; auf alten Fotos ist darunter auch noch der Name Regenspurg zu lesen, heute leider sehr verblasst. Im Kapitell der kleinen Säule, die den Baldachin über der Treppe trägt, die in das Untergeschoss – zum Davidsgrab – führt, ist das einzige eucharistische Symbol des Saales erhalten: ein Pelikan. Nach antiker Legende hätte nämlich der Pelikan, um seine Jungen vor dem Verhungern zu bewahren, mit Wappen im Abendmahlssaal, rechts der Stadt Regensburg Pelikan-Kapitell im Abendmahlssaal © Igor Hollmann Der Abendmahlssaal Der Abendmahlssaal

IM LAND DES HERRN 14 1/2024 seinem Schnabel seine Brust geöffnet, um seine Jungen mit seinem eigenen Blut zu nähren. Diese Legende steht im Zusammenhang mit der lateinischen Übersetzung von Ps 102,7: „Ich gleiche einem Pelikan in der Wüste“ – die genaue Bedeutung der hebräischen Vorlage ist ungeklärt, die Einheitsübersetzung übersetzt mit „Dohle“, Luther mit „Eule“. Dies wurde als Symbol für Jesus gedeutet, der die Seinen mit seinem Blute tränkt. So heißt es in einem Fronleichnamshymnus des hl. Thomas von Aquin: Gleich dem Pelikane starbst du, Jesu mein; wasch in deinem Blute mich von Sünden rein. Schon ein kleiner Tropfen sühnet alle Schuld, bringt der ganzen Erde Gottes Heil und Huld. Der Mihrab (Gebetsnische) an der Südseite, Richtung Mekka, ist ein Hinweis auf die Verwendung des Raumes als Moschee, ebenso die farbigen Glasfenster und die Keramikinschrift rechts oberhalb vom Mihrab mit der arabischen Formel, mit der die Koransuren, muslimische Gebete sowie religiöse Inschriften beginnen: „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen“. Oberhalb des Mihrabs, im SchlussStein des Deckengewölbes, findet sich das einzige weitere christliche Symbol des Saals, ein Lamm, das aus der alttestamentlichen Opferliturgie auch in die christliche Eucharistiefeier Eingang gefunden hat: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt“ (vgl. Joh 1,29). An der Ostseite führt eine Treppe in zwei erhöhte Räume. Dort, also genau über dem Davidsgrab, befand sich zunächst eine Terrasse, die spätestens seit der Ankunft der Franziskaner als Ort des Pfingstereignisses verehrt wurde (vgl. Apg 2,29). Das Vorhaben der Franziskaner (um 1450), dort eine Pfingstkapelle zu errichten, scheiterte. Nach der Vertreibung der Franziskaner wurden dort die beiden heute noch existierenden Räume gebaut. Eine weitere Treppe in der Nordostecke des Raumes führt zu einem weiteren Eingang des Saales aus unbekannter Zeit; der dahinter liegende (stets verschlossene) Raum Lamm Gottes als Schlussstein im Abendmahlssaal © Jakobus Raschko Gebet in den oberen Räumen des Abendmahlssaales, der „Pfingstterrasse“ © CTS

1/2024 15 ist heute eine Rumpelkammer. Verlässt man den Abendmahlssaal auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite, kommt man auf eine Terrasse. Man kann von hier aus, vorbei am Minarett der Moschee, auf das Dach des Saales steigen und hat von hier aus eine gute Aussicht: Nach Norden sieht man, alles überragend, die Dormitiokirche der Benediktiner, rechts daneben das benachbarte Franziskanerkloster Cenacolino, dahinter die Altstadt mit der armenischen Jakobuskirche, rechts davon die weiße Kuppel der Hurva-Synagoge und, teilweise durch Bäume verdeckt, den Felsendom und die al-Aqsa-Moschee sowie dahinter den Ölberg. Im Osten erkennt man die arabischen Stadtteile Silwan und (hinter der Mauer) Abu Dis, bei klarem Wetter auch die jordanischen Berge. Direkt nördlich und östlich schließt sich an den Abendmahlssaal der muslimische Friedhof der Dadschanifamilie an, südlich der spätmittelalterliche Kreuzgang des Franziskanerklosters. Im Westen liegt, teilweise durch das Benediktinerkloster und den Glockenturm verdeckt, die West-Jerusalemer Neustadt mit dem auffälligen King-David-Hotel. Steigt man von dieser Terrasse aus hinab, kommt man in den alten Franziskanerkreuzgang. Von diesem aus betritt man den Raum unter dem Abendmahlssaal, in dem das Grab Davids verehrt wird. Das Davidsgrab Ein Davidsgrab an diesem Ort widerspricht klar dem alttestamentlichen Zeugnis: „David entschlief zu seinen Vätern und wurde in der Davidstadt begraben“ (1Kön 2,10). Heute weiß man, dass die Davidstadt den Westhügel der römischen und byzantinischen Stadt, den heutigen Zion, nicht mit einschloss. Freilich hatte man dieses Wissen im Mittelalter nicht, so ist ab dem 10. Jh. hier von einem Davidsgrab die Rede, und zwar in einem Raum rechts der Apsis der byzantinischen Kirche. Der Grund für diese Lokalisierung dürfte die – hier gehaltene – Pfingstpredigt des Petrus sein: Brüder, ich darf freimütig zu euch über den Patriarchen David reden: Er starb und wurde begraben und sein Grabmal ist bei uns erhalten bis auf den heutigen Tag (Apg 2,29). Es ist freilich schwer vorstellbar, dass das Grab von König David im 1. Jh. n. Chr. direkt neben einem Gebäude lag, dessen Obergeschoss ein, wenn auch wohlhabender, Privatmann Jesus und seinen Jüngern zum Paschamahl zur Verfügung stellen konnte. „Bei uns“ sollte wohl eher als „in unserer Stadt“ verstanden werden und nicht als Hinweis auf eine unmittelbare Nähe. Ein Teil des Gemäuers des Davidsgrabes kann in die Römerzeit datiert werden. Ein interessantes Detail ist die Apsis (heute hinter dem Kenotaph). Ihr Zweck ist rätselhaft; sie liegt 1,90 m über dem gepflasterten Boden (60 cm tiefer als der heutige Fußboden). Sie kann also keine Altarapsis sein und nur schwerlich ein Toraschrein. Ostseite des Abendmahlssaales, die großen römischen Blöcke sind im unteren Teil erkennbar Der Abendmahlssaal Der Abendmahlssaal

IM LAND DES HERRN 16 1/2024 Sie weist nach Norden, während der Tempel, die Ausrichtung, die in einer Synagoge zu erwarten wäre, nordöstlich liegt. Nördlich von hier liegen Golgota und das Grab Christi. Handelt es sich also um einen christlichen (judenchristlichen?) Bau? Um die Synagoge (Synagogenkirche?) des Pilgers von Bordeaux? Griechische Wandgraffiti, die von den Franziskanern B. Bagatti und E. Testa untersucht wurden, könnten dafür eine Bestätigung liefern; sie können interpretiert werden als: „O Je(sus, ich möge) leben, Herr des Herrschers“. Vielleicht liegt hier eine Anspielung an Ps 110,1–2 vor: Ein Psalm Davids. So spricht der HERR zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten und ich lege deine Feinde als Schemel unter deine Füße. Das Zepter deiner Macht streckt der HERR aus vom Zion her: Herrsche inmitten deiner Feinde! Dieser alttestamentliche Text wurde in der christlichen Theologie messianisch auf Jesus Christus gedeutet, und zwar schon im Neuen Testament (z. B. Mt 22,41–46). Aus der byzantinischen Zeit gibt es mehrere Autoren (z. B. Eusebius von Cäsarea und der Pilger von Bordeaux), die ein Davidsgrab in Betlehem (!) kennen. Diese Lokalisierung ist klar gegen das alt- und neutestamentliche Zeugnis, sie ist wohl beeinflusst von Betlehem als Herkunftsort Davids (1Sam 16,1–13). Ab dem 10. Jh. taucht wieder Jerusalem, und zwar jetzt der Zion, als Ort des Davidsgrabes auf – in jüdischen, christlichen und muslimischen Quellen. Diese Tradition fanden die Kreuzfahrer vor, ihnen verdankt der Raum des Davidsgrabes in etwa seine heutige Gestalt. Aus dieser Zeit stammt auch das Kenotaph Davids vor der Nische. Ungeachtet der mit vielen Fragezeichen behafteten Geschichte der Grabstätte von König David steht also fest, dass Juden, Christen und Muslime seit über 1000 Jahren hier sein Grab verehren, die Juden das von König David, die Christen das von David, dem Psalmendichter und Vorfahren Jesu, die Muslime das des Propheten David (Nabi Da’ud), der auch im Koran erwähnt wird. Das Davidsgrab ist ein heiliger Ort Vermeintliches Davidsgrab, gut erkennbar die Apsis über dem Grabmal

1/2024 17 der drei großen Religionen des Heiligen Landes, ein wahrlich ökumenisches Heiligtum! Dass dabei Konflikte nicht ausbleiben, bedarf keiner Erklärung. Vielleicht sind auf diesem Hintergrund die Konflikte besser zu verstehen, die in den letzten Jahrzehnten und besonders in den letzten Jahren um diesen Ort neu entfacht sind. Mit den Ereignissen von 1948 hat sich die äußere Situation völlig verändert. Die muslimischen Eigentümer und fast die gesamte muslimische Bevölkerung West-Jerusalems waren nicht mehr hier. Dagegen hat sich das jüdische Interesse auf diesen heiligen Ort konzentriert, denn die meisten anderen heiligen Orte waren für Juden unerreichbar, allen voran die Klagemauer und der Tempelberg im jordanischen Ostteil der Stadt, aber auch die Gräber weiterer biblischer Personen, wie die Patriarchengräber in Hebron oder das Rahelgrab am Ortseingang von Betlehem. Hinzukommt, dass für manche Israelis das biblische Großreich von König David durchaus ein Vorbild für den wiedererstandenen Staat Israel war. Die Situation änderte sich zwar 1967 von Neuem, da Muslime aus Ost-Jerusalem und den besetzten Gebieten wieder hierher kommen, Juden die Klagemauer und andere heilige Stätten in diesen Gebieten wieder besuchen konnten. Dennoch blieb eine starke emotionale Bindung jüdischer Israelis – nicht nur religiöser – an diesen Ort bestehen. Während beider Intifadas kamen viele Israelis hierher, denen es in der Altstadt zu unsicher war, um vom Dach des Gebäudes den Tempelberg wenigstens aus nicht allzu großer Entfernung zu sehen. Trotzdem überraschte es, als es im Zuge des Papstbesuches 2014 zu heftigen Auseinandersetzungen um diesen Ort kam. Von radikalen Gruppen wurde das Gerücht gestreut, die israelische Regierung wolle dem Papst als Gastgeschenk den Abendmahlssaal überlassen und das Davidsgrab gleich mit. Entsprechende Reaktionen blieben nicht aus. Eine Lösung? Momentan scheint es nur eine zu geben, das ewige Provisorium, den Status quo. Man lässt erst einmal alles, wie es ist. Dass dies für die Christen schmerzvoll ist, braucht nicht betont zu werden. Ansicht von Davidsgrab und Abendmahlssaal aus Meßmer „Das Heilige Land“ 1860, Klosterbibliothek St. Anna München Der Abendmahlssaal Der Abendmahlssaal

18 1/2024 Getreide und Brot Bibelwerk Linz – Petrus Schüler er Anbau von Getreide war schon im Altertum sehr wichtig: Funde von Gersten- und Weizenkörnern in Jericho stammen aus der jüngeren Steinzeit (8350–7350 v. Chr.). Alle Getreidearten gehören botanisch gesehen zur Familie der Süßgräser und sind bis heute bei uns die wichtigsten Nutzpflanzen. Dinkel (Triticum durum) Die ältesten archäologischen Funde von Dinkelkörnern stammen aus Westarmenien und dem Ararat-Tal. Sie reichen ins 6./5. Jt. v. Chr. zurück. Dinkel, eine mögliche Urform des heutigen Saatweizens, ist anspruchsloser in der Kultur. Er wurde am Rand des Feldes gesät. Du, nimm dir Weizen, Gerste und Bohnen, Linsen, Hirse und Dinkel; gib sie zusammen in ein einziges Gefäß und mach dir Brot daraus! (Ez 4,9) Gerste (Hordeum vulgare) Gerste ist robuster und früher reif als Weizen. Typisch für Gerste sind ihre langen Grannen, weshalb sie auf Hebräisch „die Behaarte“ genannt wird. Sie gedeiht mit weniger Wasser als Weizen und auf eher mageren Böden. In biblischer Zeit war sie viel weniger wert als Weizen und wurde kaum für den Kult verwendet. Arme Leute hatten daher vor allem Gerstenbrote. Im Land der Bibel wird Gerste im Oktober/November ausgesät und von März bis Mai geerntet. Im Buch Rut kommen Noomi und Rut zu Beginn der Gerstenernte nach Betlehem (vgl. Rut 1,22). Gerste diente als Futter für Pferde und Zugtiere (vgl. 1 Kön 5,9) und sie ist Teil des Lohnes für die Arbeiter (vgl. 2 Chr 2,9). Aus Rache lässt Abschalom, einer der Söhne Davids, das Gestenfeld des Joab in Brand stecken (vgl. 2 Sam 14,30). Hirse (Sorghum bicolor) Hirse ist eine der am frühesten domestizierten Getreidearten, ihr Ursprung liegt in Zentralasien. Die ältesten Funde stammen aus der Jungsteinzeit (9.–5. Jt. v. Chr.). Sie wird zusammen mit Dinkel nur an einer einzigen Stelle in der Bibel erwähnt (siehe oben). Weizen (Triticum durum) Weizen galt als vornehmstes Getreide. Die Weizenkörner wurden durch Dreschen von den Halmen gelöst und anschließend durch das Worfeln von der Spreu getrennt. Dazu werden die mit der Spreu noch vermengten KörD Typischer Feldbau im Heiligen Land (östlich von Abu Gosh): in der Niederung Anbau von Getreide und Feldfrüchten, am Hang Olivenbäume

1/2024 19 ner mit der sogenannten Worfschaufel hochgeworfen. Der Wind verweht die leichte Spreu, die schwereren Körner fallen zu Boden. Bis heute hat das Bildwort „die Spreu vom Weizen trennen“ symbolischen Charakter. Salomo importierte für den Tempelbau Zedern- und Zypressenholz aus dem Libanon und bezahlte dafür mit Weizen (vgl. 1 Kön 5,15–25). Der Körper der Geliebten wird mit einem Weizenhügel verglichen (vgl. Hld 7,3). Als Tempelgabe war nur Weizen edel genug. Die Erstlingsfrucht gehörte Gott. Auch in den Gleichnissen Jesu kommt Weizen vor (vgl. Mt 13,24–30). „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ (Joh 12,24) Weitere Bibelstellen Ex 34,22; Ps 147,14; Joël 1,11; Lk 3,17 Brot im Heiligen Land Brot war das Hauptnahrungsmittel in biblischer Zeit – zusammen mit Olivenöl und Kräutern oder Gemüse. Gerste, Weizen und Hirse wurden für die Herstellung von Brot genutzt. Morgens begannen die Frauen mit der Zubereitung. Zuerst wurde das Getreide mit Mahlsteinen (später Getreidemühlen) grob gemahlen. Diese mühsame Arbeit erforderte einige Stunden. Das Mehl wurde dann mit Wasser, Salz und etwas Brotteig vom Vortag gemischt (durchsäuert). Danach wurden Fladen geformt und gebacken. Bevor der Mensch jedoch lernte, Brot zu backen, aß er geröstete Körner. Brot ist ein Symbol für Gottes Fürsorge, daher auch die Bitte um das tägliche Brot im Vaterunser (vgl. Mt 6,11; Lk 11,3). Jesus bezeichnet sich im Johannesevangelium selber als Brot des Lebens (vgl. Joh 6,35.41). In der Erzählung von den Emmausjüngern bricht Jesus den beiden Jüngern das Brot. An dieser Geste können sie den Auferstandenen erkennen (vgl. Lk 24,13–35). Im Tempel brachte man Brot als Speiseopfer dar. Dieses musste ungesäuert und aus besonders feinem Mehl sein (vgl. z. B. Lev 2,5). An jedem Sabbat wurden zwölf Kuchen (Brote; nach der Anzahl der israelitischen Stämme) aus Weizenfeinmehl gebacken und dargebracht (vgl. Lev 24,1–9). Die Mazzot (Brotfladen), die beim jüdischen Pessachfest verzehrt werden, müssen ebenfalls ungesäuert sein – als Erinnerung an den raschen Aufbruch aus Ägypten (vgl. Ex 12,14–20). Das jüdische Pfingstfest (Schawuot) bildet den Abschluss der Erntefeste als Dank für die Erstlingsfrüchte. Zu diesem Zeitpunkt wurde in Israel der erste Weizen geerntet. Der heutige Besucher des Heiligen Landes findet vor allem zwei Arten von Brot: zum einen das „Kaek“, ein Weißbrot in großen Ringen und mit Sesam bestreut, welches meistens am Morgen und auch unterwegs gegessen wird. Dem Araber genügt dieses Brot, in Olivenöl getunkt oder mit Lieferant des „Kaek“-Brotes in der Altstadt von Jerusalem Getreide und Brot Getreide und Brot

IM LAND DES HERRN 20 1/2024 etwas Frischkäse, als erste Mahlzeit vollkommen. Wie im Foto zu sehen, wird dieses Brot nicht nur an festen Stellen verkauft, man hört in den Ortschaften morgens die Verkäufer laut „Kaek, Kaek, Kaek“ rufen. Der Palästina-Kenner Titus Tobler schreibt 1853 in seinen „Denkblättern aus Jerusalem“: Brot steht oben an. Es ist schmackhaft, selbst das arabische, noch mehr das der Franziskaner, wie ich denn im Jahre 1835 seit der Abreise von Großkairo kein schöneres und besseres Brot sah und genoß, als bei den Vätern in der Casa Nuova. Auch der selige Engelbert Kolland OFM, Märtyrer von Damaskus, lobt in seinen Briefen in das heimatliche Zillertal das arabische Brot. In einem Brief aus dem Jahre 1856 schreibt er: Während der Regenzeit wird dann das Getreide ausgesät, welches genug Grundfeuchtigkeit erhält, um auch bei der größten Hitze nicht zu verderben. Das Getreide, besonders der Weizen, wächst hier in sehr großer Menge. Es war auch alles bis auf die Kriegszeiten (Krimkrieg 1853–56) sehr wohlfeil hier; jetzt ist alles so ziemlich teuer. Wenn alles Land hier fleißig angebaut wäre, so müßte Getreide mehr als im Überfluss wachsen, so aber ist kaum die Hälfte des Landes angebaut und das übrige ist wüst und öde. Und auch auf jenes Land, das sie anbauen, werfen sie das Getreide hin mitten unter die Steine und lassen die Sache gehen wie sie will, ohne sich weiter darum zu kümmern. Die zweite Art von Brot, die überall im Lande erhältlich ist, ist das sogenannte „Pita-Brot“: auch ein dünnes, zweiwandiges Weißbrot, welches aufgeschnitten mit den verschiedensten Sachen belegt wird. Eine ganze Mahlzeit bietet sich, wenn dieses Brot als „Shawerma“ gefüllt wird, ähnlich dem türkischen „Döner“. Das Brot, welches für die Feier der Heiligen Messe verwendet wird, ist natürlich für uns Katholiken in Form von Hostien. Hier sind es besonders die Schwesternkonvente, die den Bedarf des Landes decken. In den orthodoxen Kirchen wird das eucharistische Brot zumeist frisch hergestellt und erfährt noch eine Prägung mit christlichen Motiven. Pita-Brot Dieses Brot wird in den orthodoxen Kirchen für die hl. Eucharistie verwendet

1/2024 21 on Noach an, dem ersten Weintrinker, zu Kana, wo Wasser in einen köstlichen Nektar verwandelt wird, steht Wein auf allen Tischen der Bibel und gehört zu jeder Veranstaltung. Bei Ausgrabungen im gesamten palästinensisch-israelischen Gebiet, ja im gesamten Mittleren Osten, holten Archäologen zahlreiche Weinpressen, Absetzbecken, Amphoren und Krüge hervor. Mosaiken mit Weinstöcken und üppigen Trauben kamen zum Vorschein. Zweifellos wurde schon im dritten Jahrtausend überall, selbst in der nabatäischen Wüste, Wein getrunken. Also wollte man die Weinkultur als die erste Kultur des Menschen, der gerade noch vor der Sintflut gerettet wurde, festschreiben: „Noach, ein Ackerbauer, war der Erste, der einen Weinberg pflanzte“ (Gen 9,20). Auch wenn alle Weine Rauschmittel sind, waren sie nicht alle gleich gut. Es ist auch bekannt, dass Importe aus Zypern, Rhodos oder Griechenland gehandelt wurden; davon zeugen die Stempel mit dem Namen eines Weinhändlers, mit denen die Henkel der Krüge versehen waren. Die Analysen der Krugböden haben ergeben, dass die Weine oft mit Gewürzen wie Zimt und Wacholder oder mit Kräutern wie Minze und Basilikum oder auch mit Honig aromatisiert waren: „Kommt, esst von meinem Mahl und trinkt vom Wein, den ich mischte!“, sagt die Weisheit (Spr 9,5). In der Regel wurde der Wein mit Wasser gestreckt, da er zu stark war, um unverdünnt getrunken zu werden: „Der Herr der Heerscharen wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den feinsten, fetten Speisen, mit erlesenen, reinen Weinen“ (Jes 25,6). Lange bevor sich die Stämme im Gelobten Land niederließen, wurde der Weinanbau im Alten Testament erwähnt. Als Mose von der Wüste Sinai Männer in die Gegend von Hebron nördlich der Negev-Wüste zur Erkundung aussandte, damit sie sahen, ob das Land arm oder reich war, mussten sie zu zweit eine Weinranke mit einer einzigen Traube tragen, so schwer war sie (Num 13,7–23). Die Übertreibung erinnert zwar an eine Legende, zeugt aber von der Fruchtbarkeit der Gegend in den Augen eines Nomadenvolkes, das keinen Ackerbau betreibt. Wenn man dem Segen, den der Stamm Juda vom Patriarchen Jakob bekommt, Glauben schenkt, verdankt er seinen Reichtum den Erzeugnissen des Weinanbaus und der Viehzucht: „[Juda] bindet an den Weinstock seinen Eselhengst, an die Edelrebe das Füllen seiner Eselin. Er wäscht in Wein sein Kleid, in Traubenblut sein Gewand. Dunkler als Wein sind die Augen, seine Zähne weißer als Milch“ (Gen 49,11–12). Der Weinanbau beschränkte sich nicht auf dieses Gebiet, er wurde auch im Vom Weinberg zum Wein Claire Burkel V Weinpresse im Nationalpark Avdad, Negev

IM LAND DES HERRN 22 1/2024 Norden praktiziert. Das bezeugen die in Samaria entdeckten Ostraka aus dem 8. Jh. vor Chr., die „Krüge von altem Wein erwähnen“. Ebenso die Geschichte des Weinbergs des frommen Nabot, den Ahab, der König von Samarien, begehrt (1 Kön 21,1–16). Bei seiner Begegnung mit dem rätselhaften Melchisedek, wundert sich Abram über die Einfachheit der Opfergabe dieses Priesters: „Brot und Wein“ (Gen 14,18). Später wird aber der Wein Teil der großzügigen Trankopfer auf den Altären sein; manchmal gehören auch Traubenkuchen und in Öl geknetete Fladenbrote zu den Opfergaben. Der Weinanbau wird so verbreitet sein, dass die hebräische Sprache zwei Wörter für einen Weinberg hat: gefen für den wilden Weinstock und kerem für einen gepflegten Weinberg; von diesem Begriff kommt die Farbe karminrot. Israels Weinberg Im 8 Jh. macht als Erster Hosea aus dieser Pflanze, die im Orient zu den häufigsten, am weitesten verbreiteten und beliebtesten Pflanzen zählt, eine Metapher für das Volk, das Gott auserwählt hat: „Israel war ein üppiger Weinstock, der seine Frucht brachte. Je fruchtbarer er war, desto zahlreicher machte man die Altäre. Je schöner sein Land wurde, umso schöner schmückten sie die Steinmale. Ihr Herz ist geteilt“, wirft ihm der Prophet vor (Hos 10,1). Es sei durch den Polytheismus in Versuchung geraten. Fast um die gleiche Zeit widmet Jesaja diesem Thema eine Parabel: „Ich will singen von einem Freund, das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe. Er grub ihn um und entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit edlen Reben. Er baute in seiner Mitte einen Turm und hieb zudem eine Kelter in ihm aus. Dann hoffte er, dass der Weinberg Trauben brächte, doch er brachte nur faule Beeren. Der Weinberg des HERRN der Heerscharen ist das Haus Israel und die Männer von Juda sind die Pflanzung seiner Lust“ (Jes 5,1–7). Weinanbau westlich von Jerusalem

1/2024 23 Nach diesen beiden Propheten stellte der Weinberg immer Gottes Volk dar, das er in gute Erde gepflanzt hatte. „Einen Weinstock hobst du aus in Ägypten, du hast Völker vertrieben und ihn eingepflanzt. Du schufst ihm weiten Raum. Er hat Wurzeln geschlagen und das ganze Land erfüllt“ (Ps 80,9–15). „Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit“ Dieses auserwählte Land ist nicht leicht zu bearbeiten und fruchtbar zu machen. Wie viel geduldige Pflege es zu allen Zeiten und an allen Orten erfordert! Es braucht einen sonnigen Hang, häufiges Jäten, ständiges Entfernen von Steinen, da der Boden steinig ist. Nach jedem Gewitter muss der Weinbauer die Mauern befestigen, die den Hang halten. Nach dem Winter ist ein Rückschnitt notwendig, aber „noch vor dem Sommer, wenn das Sprossen zu Ende ist und die Knospe zur reifenden Traube wird, schneidet man die Reben mit Winzermessern ab, entfernt die Ranken, reißt sie ab“ (Jes 18,5). Der Weinberg ist also das Volk Gottes, das sich in seinem auserwählten Land niedergelassen hat. Und die Früchte, die Gott erwartet, sind die absolute Ablehnung aller anderen Götter, dieser sinnlosen Götzen, die Reinheit der Anbetung des alleinigen Gottes, Gerechtigkeit und nicht Korruption, Nächstenliebe gegenüber den Bedürftigen. Mehrmals in der Geschichte wird Gott zum Weinbauern, der für sein Volk sorgt, manchmal indem er Zweige stutzt, damit der Weinstock mehr Trauben, bessere Trauben trägt: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,2–6), erklärt Jesus seinen Jüngern. Jesu Parabel wird von seinen Zeitgenossen problemlos verstanden, denn jeder kennt seit Langem die Metapher des Weinstocks. Ohne das Wort „Kirche“ auszusprechen, beschreibt er die Beziehung der Jünger, die Christus verbunden sind: „Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt.“ Die Einheit des gesamten Weinstocks symbolisiert die Nähe, die zwischen Christus und seinen Jüngern existieren soll. Denn sie bedingt, ob sie fruchtbar ist. Da sie am besten die Situation Israels Gott gegenüber ausdrücken, liebt Jesus solche Weinberggeschichten: „Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Mosaike aus der Kirche Lot und Prokopius, Berg Nebo Jordanien © G. Klaus Vom Weinberg zum Wein Vom Weinberg zum Wein

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