Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land 78. Jahrgang 2024 / Heft 3 Heiligsprechung Engelbert Kolland
Auf der Vorderseite der Zeitschrift gibt es dieses Mal kein Bild aus dem Heiligen Land, wie es sonst üblich ist. Das Bild zeigt einen Sohn des Heiligen Franziskus, der sein Leben für den christlichen Glauben hingegeben hat: Engelbert Kolland – und wir können jetzt schon sagen: der Heilige Engelbert Kolland, denn am 20. Oktober wird seine Heiligsprechung auf dem Petersplatz in Rom stattfinden. P. Gottfried Egger, den man zu Recht als Biografen dieses Heiligen bezeichnen kann, berichtet von seinem Lebensweg von Ramsau im Zillertal über mehrere Stationen bis nach Damaskus, dem Ort seines Martyriums. Rechtzeitig zur Heiligsprechung hat P. Gottfried auch die Biografie des nunmehr Heiligen neu herausgegeben; ich kann Ihnen, den Lesern, dieses spannende Buch nur empfehlen! In der letzten Ausgabe der Zeitschrift war der See Gennesaret und seine Umgebung schon Thema eines Artikels. Das wollen wir fortführen mit einem Artikel zu Tiberias, der größten Ortschaft am See, der auch „See von Tiberias“ genannt wird. Auf der Rückseite sehen Sie eine Ansicht vom See Gennesaret vom Berenikeberg aus: links liegt die moderne Stadt Tiberias und der Blick geht in Richtung Kafarnaum, Tabgha und dem Berg der Seligpreisungen – dem sogenannten „evangelischen Dreieck“, denn hier sind viele unserer Evangelien entstanden. In den folgenden Ausgaben werden wir hier den Spuren des Menschenfischers folgen. Sehr verehrte Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Heiligen Landes! Im Artikel „Kain und Abel“ wenden wir uns wieder dem Alten Testament und seinen Gestalten zu: was mit „Adam und Eva“ geradezu paradiesisch begann, wird mit „Kain und Abel“ zur ersten Kriminalgeschichte der Bibel. Sicher kommen Ihnen die aktuellen furchtbaren Entwicklungen im Heiligen Land in den Sinn, wenn das Wort „Brudermord“ auftaucht, denn sind die Hauptbeteiligten doch als Kinder Abrahams auch Brüder, bzw. Geschwister. Wie der Brudermord ein Einschnitt in die ursprüngliche Schöpfungsordnung ist, so ist die Gewalt des gegenwärtigen Krieges ein Einschnitt in die Geschichte des Heiligen Landes. Nur fassungslos kann man sein, wenn man die momentanen Entwicklungen verfolgt. Schon viele „Heilige Gräber“ haben wir in der Vergangenheit in unserer Zeitschrift vorstellen können. Eine ganz besondere Anlage in seiner Art und Erhaltung ist das Heilige Grab in Görlitz, welche uns P. Robert Jauch vorstellt. Die Leidenschaft für das Heilige Land, für die Heimat des Gottmenschen Jesus Christus hat diese bemerkenswerten Anlagen entstehen lassen. Die Leidenschaft für das Heilige Land drängt auch uns, wenn wir um Frieden beten und mit den Worten von Psalm 137 bekennen: „Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll meine rechte Hand mich vergessen.“ Im Namen der deutschsprachigen Kommissare des Heiligen Landes grüße ich Sie,
3/2024 3 Inhalt Leben und Sterben des Heiligen Engelbert Kolland P. Gottfried Egger OFM Buchhinweis zu Engelbert Kolland Erzbischof Franz Lackner OFM Tiberias Heinrich Fürst OFM/Gregor Geiger OFM Biblische Gestalten Lebensbilder aus dem Alten Testament Kain und Abel Sigfrid Grän OFM Jerusalem in Görlitz – Ein Heilig-Grab-Ensemble von besonderem Wert Robert Jauch OFM Titelbild: Heiliger Engelbert Kolland, Bild von Peter Sporer © Peter Sporer Rückseite: Blick vom Berg Berenike über Tiberias auf den See Alle Fotos in der Zeitschrift (wenn nicht anders angegeben) © Petrus Schüler Seite 16 Seite 4 Seite 17 Seite 31 Seite 23
4 3/2024 Ein Zillertaler Missionar in der Paulusstadt Damaskus – Leben und Sterben des Heiligen Engelbert Kolland OFM Von P. Gottfried Egger OFM, Brixen eit dem 14. Jahrhundert kümmert sich der Franziskanerorden im Auftrag der Kirche um die biblischen Heiligtümer im Heiligen Land und der einheimischen Christen vor Ort. Nicht wenige Brüder haben für diese Mission ihr Blut vergossen, darunter sind auch die acht Franziskaner von Damaskus, die 1860 zusammen mit drei maronitischen1 Laien ihr Leben hingaben. Sie haben sich alle ausnahmslos bis zum letzten Atemzug zu Jesus Christus ihren Herrn bekannt. Ihr Blut hatte sich miteinander vermischt. „Zeichen der Blutseinheit zwischen Ost und West“ (Béchara Pierre Kardinal Rai, Patriarch von Antiochien und des gesamten Ostens). Es waren die Patres Emmanuel Ruiz (56 Jahre), Guardian; Carmelo Bolta Banuls (57 Jahre), Pfarrer; Engelbert Kolland (33 Jahre), Vize-Pfarrer; die Sprachstudenten Nicanor Ascanio de Soria (46 Jahre), Pedro Soler Méndez (33 Jahre), Nicolas Maria Alberca Torres (30 Jahre); die Laienbrüder Francisco Pinazo Penalver (58 Jahre), Koch; und Juan Jocobo Fernandez y Fernandez (52 Jahre), Schneider, Sakristan. Außer Engelbert Kolland, der Österreicher war, waren alle Spanier. Die drei maronitischen Laien arbeiteten im Franziskanerkloster und in der Schule mit. Sie waren leibliche Brüder: Franziskus, Abdul-Mooti und Raphael Massabki aus Damaskus. Ihre Heiligsprechung am 20. Oktober 2024 in Rom, ist wie ein „Startschuss“ der Verehrung für die ganze katholische Welt. 1 Die maronitische Kirche geht auf den hl. Maron (5. Jahrhundert) zurück. Sie ist seit dem 11. Jahrhundert mit der Kirche von Rom uniert. Der bekannteste Repräsentant ist der hl. Charbel Maklouf † 1898 im Libanon. Altar in der Franziskanerkirche St. Paulus Damaskus mit den Reliquien der Märtyrer © Firas Lutfi ofm S
3/2024 5 Heiliger Engelbert Kolland, 1827–1860 Seine Herkunft, Sohn geheimer Protestanten Das Zillertal ist wohl eines der schönsten und berühmtesten Täler Tirols. Am Fuß des Ramsberges liegt Ramsau, der Geburtsort des Seligen Engelbert Kolland. Er kam am 21. September 1827 im Lochhäusl zur Welt. Michael, so war sein Taufname, war das fünfte von sechs Kindern des Holzknechtes Kajetan Kolland und seiner Gattin Maria, geborene Sporer. Dem jetzigen Kirchlein Ramsau gegenüber, jenseits des Zillerflusses, der die Pfarreien und Diözesen scheidet, liegt die Pfarrkirche Hippach, ehemals Brixner- heute Innsbrucker Bistum. In dieser Kirche wurden die Eltern des Heiligen getraut. Michael wurde bereits schon am darauffolgenden Tag in der Pfarrkirche Zell am Ziller getauft. Da Zell zur Diözese Salzburg gehört, ist der Heilige Engelbert der einzige Salzburger Diözesan, der damals 1926 ins Verzeichnis der Seligen aufgenommen wurde. Vom konfessionellen Unfrieden überschattet Die Kindheits- und Jugendjahre Michaels waren im Lochhäusl nicht ganz unbeschwert. Sie wurden vor allem überschattet vom konfessionellen Unfrieden im Zillertal. Viele Talbewohner neigten zum Protestantismus, verließen die Katholische Kirche und wurden schließlich wegen der religiösen Spannungen am 12. Jänner 1837 auf Befehl des Kaisers Ferdinand II. nach Niederschlesien vertrieben. Kajetan Kolland, der Vater Engelberts war sogar einer der Wortführer dieser sogenannten Zillertaler-Inklinanten-Bewegung2. Er wäre gern abgewandert und zwar nach München, bekam aber keinen Pass dafür und zog mit seiner Familie nach Rachau bei Knittelfeld, in die Steiermark, wo er als Holzfäller arbeitete. Die älteren zwei Kinder, Anna und Josef, ähnlich dem Vater, folgten ihm dorthin und der Jüngste Felix, kam später nach. Kajetan Kolland besann sich schließlich aufgrund des gütigen Zuredens des jungen Fürsterzbischofs Friedrich von Schwarzenberg, der sich persönlich ins Zillertal begab und später in Salzburg zweimal Vater Kolland, der im Glauben verunsichert war, in Audienz empfing. Mit Handschlag empfahl er seine zwei Buben Florian und Michael, die er in Ramsau bei einer guten Verwandten in Obhut zurückgelassen hatte. Es war Maria Brugger, genannt „Garber Moidl“. Mutter Kolland litt aber so sehr an Heimweh, dass sie ihren Mann dazu überreden konnte, den angebotenen sechswöchigen Glaubenskurs beim Zeller Dechanten Jenal durchzustehen und katholisch zu werden. Aus wirtschaftlichen Gründen ließ 2 Inklinant vom Lateinischen „inclinare“, neigen, hinneigen meint, zum Luthertum hinneigen. Engelbert Kolland Engelbert Kolland Lochhäusl in Ramsau, Geburtshaus von Engelbert Kolland
6 3/2024 IM LAND DES HERRN sich die Familie Kolland dennoch in Rachau in der Steiermark nieder, wo der Vater 84-jährig und die Mutter 90-jährig katholisch starben. Das Familiengrab Kolland ist heute noch bei der Pfarrkirche in Rauchau zu sehen. Gymnasium in Salzburg, große Schulschwierigkeiten deshalb vorübergehend abgebrochen Fürsterzbischof Friedrich von Schwarzenberg nahm sich in besonderer Weise der beiden Kollandbuben an, wohl aus schlechtem Gewissen wegen der Ausweisung mehrerer Kinder der Zillertaler. Schwarzenberg ermöglichte ihnen ein Studium am Gymnasium in Salzburg. Der lebhafte Michl tat sich wie sein Bruder Florian anfangs im Studieren nicht leicht. Bestimmt waren sie beide von der Volksschule her mangelhaft unterrichtet. Michael musste die erste Klasse wiederholen. Nach der dritten Klasse Gymnasium wurde er aus dem Seminar entlassen. Es waren nicht die schulischen Leistungen, sondern es geschah aus disziplinarischen Gründen. Er ließ sich nicht so leicht in die Gemeinschaft einfügen. Als Externer besuchte er weiter das k. k. Gymnasium. In der 5. Klasse brach er wegen den schlechten Noten das Studium ab. Er ging in die Steiermark zu seinen Eltern und verdingte sich als Holzarbeiter. Er arbeitet auch bei seinem Onkel Matthias in Seckau im Freistritzgraben. Noch heute gibt es dort im Gegensatz zu Ramsau und Zell am Ziller, den Familiennamen Kolland. Nun konnte der junge Mann seine Kraft und Energie an den Bäumen auslassen. Hier hatte er aber auch die Gelegenheit über den künftigen Weg nachzudenken. Im Herbst 1845 entschloss er sich das Studium wiederaufzunehmen. Auf die Fürsprache von Regens Empacher und des Fürsterzbischofs wurde er erneut als Repetent am Gymnasium zugelassen. Für zwei Semester lang musste er das Schulgeld selbst aufbringen. Er verdiente sich dieses mit Nachhilfeunterricht bei jüngeren Studenten. Das letzte Semester brachte ihm das beste aller 14 Gymnasialzeugnisse. Es kam zu einem guten Schulabschluss. Niemand wusste, was im Herzen des jungen Zillertalers schlummerte: die große Sehnsucht nach Gott dem Herrn und ihm im Orden des hl. Franz von Assisi zu dienen. Als Gymnasiast war er oft in der Franziskanerkirche im Gebet anzutreffen. War es der himmelstrebende gotische Chor, der ihn zu Höherem inspirierte? War es das Bild der Gottesmutter, das eine besondere Ausstrahlung auf ihn ausübte? War es das schlichte mystisch anmutende Gotteshaus der Franziskaner, das ihn in den Bann zog? Eintritt in den Franziskanerorden Nach dem Gymnasialabschluss bat er im Franziskanerkloster den Provinzial um Aufnahme in die Tiroler-Provinz. Mit der Einkleidung am 19. August 1847 erhielt er den Namen „Engelbert“, ‚der wie ein „Engel Glänzende“, „Engelglanz“. Vier weitere Novizen begannen mit ihm das einjährige Noviziat unter dem berühmten Musiker und geistlichen Schriftsteller, P. Peter Taufstein in der Pfarrkirche Zell am Ziller
3/2024 7 Singer. Er war ein angesehener von vielen Musikgrößen aufgesuchter Komponist und Erfinder des Pansymphonikums, das heute mit einem Synthesizer vergleichbar ist. Er war zudem ein hervorragender Theologe und Ordensmann, der mit der sogenannten „Geistlichen Betrachtungsuhr“ seinen Novizen die Kontemplation des Lebens, Leidens, Sterbens und Auferstehens unseres Herrn Jesu Christi lehrte und sie als Söhne des hl. Franz zu echter Christusnachfolge erzog. Damals wurde im Noviziat viel verlangt an Gebet und asketischen Übungen. Der erste Biograph des Seligen, P. Philibert Seeböck OFM, der etwa zehn Jahre nach dem Tod des Seligen die schriftlichen Aufzeichnungen machte, stützte die grundlegende Aussage über Kollands Aussehen und Charakter auf die Gespräche mit dem ehemaligen Novizenmeister P. Peter Singer OFM. Sein Äußeres beschreibt er so: „Stattlich und gesund, gerötete Wangen, heiteres Antlitz, blonde Haare und blaue Augen, in deren Tiefen ein unverdorbenes Gemüt und eine Sicherheit abspiegelte, zu welcher jedermann Vertrauen fasste.“ Er war gemeinschaftsfähig, ernsthaft im Beten und in der Aszese. Br. Engelbert pflegte eine große Verehrung zur Gottesmutter. Ein besonderes Zeugnis davon gibt die Übersetzung des vierbändigen Werkes „Der mystischen Stadt Gottes“ von Maria von Agreda. Die Visionen der spanischen Klarissin-Konzeptionistin über das Leben Mariens, übersetzte Br. Engelbert vom Spanischen ins Deutsche schon während der Noviziatszeit in Salzburg 1847/48 und vollendete es während des Philosophiestudiums in Schwaz 1849/50. Hier beginnt sich immer mehr sein Sprachtalent zu entfalten. Studienwanderschaft, Feierliche Profess und Priesterweihe Nach dem Noviziat begann die „Studienwanderschaft“. Da die Franziskaner wie ihr Meister Jesus keinen festen Wohnsitz ihr Eigen nennen sollten, mussten bereits schon die jungen Brüder während ihrer Studien von Kloster zu Kloster wandern. Es war ein Einüben ins „WandermönchsFamiliengrab der Familie Kolland an der Pfarrkirche Rachau Salzburg, mittig der Dom und rechts (spitzer Kirchturm) die Franziskanerkirche Engelbert Kolland Engelbert Kolland
8 3/2024 tum“. Die einzelnen Studienmaterien wurden nur von einem einzelnen Franziskaner-Professor doziert. Die Studenten zogen dorthin, wo dieser lehrte. Zum Studium der Philosophie und Theologie kam der junge Ordenskleriker vorerst nach Schwaz und Hall in Nordtirol, danach nach Kaltern und Bozen in Südtirol. In seine Bozner Zeit fallen zwei Höhepunkte seines Lebens: die Feierliche Profess am 22. November 1850 und die Priesterweihe im Sommer 1851. „Mein Gott und Mein Alles“ war der Leitspruch seines Ordensgründers für alle seine weiteren Ordensjahre. Im Dom zu Trient wurde er vom Sel. Erzbischof Nepomuk Tschiederer am 13. Juli 1851 zum Priester geweiht. Ein Seliger weihte einen späteren Heiligen. Die Primiz feierte P. Engelbert in der Franziskanerkirche Bozen, wie in Tirol üblich, am sogenannten Skapulierfest, Mutter Gottes vom Berge Karmel. Nach der Primiz hieß es wieder den Wanderstab ergreifen. Diesmal gings nach Hall in Tirol. Danach für ein weiteres Jahr nach Kaltern und zum letzten Studienjahr, dem sogenannten Pastoraljahr wieder nach Bozen. Hier legte er das Kuraexamen ab. Erst dieses Seelsorgeschlussexamen befähigte den sogenannten „Simplexpater“ die Beichte zu hören, zu predigen und die Sakramente zu spenden. Hatte der Student Kolland am Gymnasium mit etlichen Studienproblemen zu kämpfen, machte dem jungen Frater die philosophischen und theologischen Studien kaum zu schaffen. Das zeigen auch die guten Zeugnisse. In fast allen Materien hatte der Studiosus „hervorragend“ oder „sehr gut“. Die letzten Jahre in Bozen benutzte er vor allen zum Studium der Fremdsprachen. Hier hatte er in P. Markus Vergeiner einen hervorragenden Lehrer. Dieser war selbst ein Sprachgenie, beherrschte an die 20 Sprachen. So sprach er nebst den alten und modernen Sprachen z. B. Neugriechisch, Türkisch, Arabisch und Ungarisch. P. Engelbert, der als Gymnasiast als eher unbegabt für Fremdsprachen galt, wurde zum gelehrigen Schüler von P. Markus. Er lernte Italienisch, Französisch, Spanisch, Englisch und vor allem Arabisch. Der charismatische Zillertaler lernte sehr schnell, so dass er nach kurzer Zeit die äußerst schwierige arabische Sprache lesen und schreiben konnte. Es sind von ihm zwölf Briefe an P. Markus Vergeiner erhalten; zum Teil sind sie arabisch abgefasst. Sie zeugen von seiner außerordentlichen Wertschätzung seines Lehrers, dem er in jeder Hinsicht viel zu verdanken hatte. Berufung zum Missionar des Heiligen Landes, vorerst „Wächter am heiligen Grab“ Nach dem Studienabschluss stellte sich P. Engelbert dem Provinzkapitel als Missionar des Heiligen Landes zur Verfügung. So erging an den jungen Tiroler Missionar das Wort Gottes wie damals an Abraham: „Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde“, Gen 12, 1 ff. Es war das gleiche Land, das Gott dem jungen Zillertaler zeigte, das Heilige Land, in das er zog, in dem er unermüdlich arbeitete, in dem er sein Leben für seinen Herrn dahingab! Anfangs 1855 nahm P. Engelbert Abschied von seiner Zillertaler Bergheimat, so wie bei den Eltern und IM LAND DES HERRN Bozen, Kreuzgang des Franziskanerklosters
3/2024 9 Geschwistern in Rachau bei Knittelfeld/Steiermark. Seine Angehörigen wollten ihn von seinem Missionsvorhaben abhalten. Der Abschied von den Seinen war, nach seinen eigenen Worten, herzzerreißend. Trotz all dem war der überzeugte Missionar von seinem Ziel nicht abzubringen. Zusammen mit P. Heribert Witsch aus Hall in Tirol reiste er dann über Wien, Graz, Laibach nach Triest. Vom 27. März bis zum 13. April waren sie von Triest über Alexandrien (Ägypten) nach Jaffa auf Hoher See. Diese Reise setzte selbst dem kerngesunden Tiroler sehr zu. Er litt stark unter der Seekrankheit. Sein Reisegefährte P. Heribert Witsch berichtet uns darüber: „Keiner von den Passagieren hatte die Seekrankheit in so hohem Grade wie mein Kollege P. Engelbert, der zwei volle Tage und Nächte im Bett lag, fortwährend erbrach, so dass es ihm zuletzt sogar Blut herausriss; er war so schwach, dass er sich nicht rühren konnte und sehr totenblass aussah wie eine Leiche, so dass ich sehr für ihn besorgt war.“ Wie glücklich war der Heilige, als er nach dieser mühevollen Schiffreise und einem dramatischen sechsstündigen Pferderitt von Jaffa aus endlich in der Hl. Stadt Jerusalem ankam. Er berichtet uns darüber in einem Brief an seine Eltern: „…Ich vergaß alle Müdigkeit und stieg vom Pferde. Bei dem Gedanken, dass in dieser Stadt mein Herr und Heiland auch für mich sein kostbares Blut vergossen hat, musste ich stille Tränen weinen. Schlag drei Uhr nachmittags, also um dieselbe Stunde, in der Jesus starb, war ich in den Gassen Jerusalems, und zwar zu Fuß. Wo Jesus sein schweres Kreuz getragen, wollte ich auch zu Fuss gehen…“ Jeder Hl. Land-Missionar musste damals eine Zeitlang in der Grabeskirche Dienste tun. Zur Zeit des Seligen war das Leben im Klösterchen der Franziskaner alles andere als leicht. Die Zellen der Brüder waren äußerst klein, beengend und dunkel. Unmittelbar daneben befand sich ein Pferdestall der Türken, was sich auf das Kloster sehr unangenehm auswirkte. So wie für Jesus die Zeit der Wüste eine Vorbereitung auf sein Apostolat war, so sollte die Zeit am hl. Grab für den jungen Missionar eine Zeit der Vorbereitung auf sein künftiges Wirken sein. Die Kirche in Ramsau Engelbert Kolland Engelbert Kolland Nächtlicher Dienst der Franziskaner in der Grabeskirche
10 3/2024 P. Engelbert beschreibt seinen Tagesablauf im hl. Grab-Kloster folgendermaßen: „Um dreiviertel 12 Uhr nachts hieß es aufstehen. Dann ist durch anderthalb Stunden Gebet, bisweilen steht man um 3 Uhr morgens wieder auf, gewöhnlich um halb 5 Uhr, so dass die Zeit des Schlafens sehr kurz ist. Auch untertags muss man die meiste Zeit in der Kirche zubringen. Ich blieb aber sehr gerne in diesem Heilig Grab-Kloster. Die Nähe des Kalvarienberges, wo der Herr so viel gelitten, macht alles leicht…“ Sendung für Damaskus In der Zeit des ungeduldigen Wartens bekommt P. Engelbert die Obedienz vom P. Kustos des Heiligen Landes, sich als Seelsorger ins Pauluskloster nach Damaskus zu begeben. Am 8. Juni 1855 brach er zusammen mit einem italienischen Mitbruder in die syrische Paulusstadt auf. Nach der Überlieferung fiel der Apostel Paulus vor den Toren von Damaskus vom Pferd. Br. Engelbert fiel auf seinem Ritt nach Damaskus dreimal vom Pferd. Nach dieser wieder dramatischen Reise kam er am 17. Juni in der Paulusstadt an. Das sollte fortan sein Wirkungsfeld bleiben. Hinter dem grünen Gürtel der wunderschönen Gärten der Stadt war auch ein undurchdringlicher Dschungel verfallener Hütten und in den schmalen Gassen unsäglicher Schmutz und faulende Tierkadaver. Zur Zeit des Seligen zählte Damaskus 150.000 Einwohner, davon waren 13.000 Christen. Hier in dieser Stadt, wo Hananias dem bekehrten Paulus die Hände auflegte und ihn taufte, wirkte unser Tiroler Missionar während fünf Jahren wie ein zweiter Hananias. Heute erinnern verschiedene biblische Heiligtümer an den großartigen Völkerapostel. Zwei davon betreuen die Franziskaner: Das sogenannte „Memorial des hl. Paulus“, wo eine Höhle zu sehen ist, in der sich der bekehrte Paulus IM LAND DES HERRN „Gerade Straße“ in Damaskus, Schmiede für den bekannten „Damaszener Stahl“
3/2024 11 zurückzog und das Haus des Hananias, von dem Paulus getauft wurde. Dies war an der sogenannten Geraden Straße. Heute befindet sich dort eine Moschee. Br. Engelbert lebte und wirkte im Pauluskloster beim Bab Tuma, dem sogenannten Tomastor, unweit der Geraden Straße. Die Franziskaner wirken seit dem 16. Jahrhundert da. Hier in diesem Quartier drängt sich alles zusammen, was sich christlich bezeichnet: Syrer, Maroniten, Armenier, Katholiken. Die „Brüder mit dem Strick“, wie die Franziskaner im Hl. Land genannt werden, hatten in der Pauluspfarrei die 220 röm.-kath. Christen zu betreuen. Dazu kamen noch etwa 300 katholische Armenier. Auch leiteten sie eine Klosterschule mit ca. 100 Schülern. Im Pauluskloster fand P. Engelbert spanische Mitbrüder vor, denn nach uralt ererbtem Recht stand das Kloster in Damaskus spanischen Franziskaner aus der Kustodie des Heiligen Landes zu. Engelbert konnte hier also nur so lange bleiben, bis ein spanischer Mitbruder mit besseren Arabischkenntnissen als er zur Verfügung stand. Er hatte also einen recht unsicheren Status; denn er konnte jederzeit von hier abgezogen werden. Da der Pfarrer P. Carmelo Volta ziemlich kränklich war, verrichtete der junge und dynamische P. Engelbert praktisch alle seelsorglichen Aufgaben. Was das bedeutete schrieb er in einem Brief an P. Markus Vergeiner nach Bozen: „Was mein Wirken dahier anbelangt, so be- schränkt es sich größtenteil nur auf unsere Pfarrei, die im Ganzen nur 220 Seelen beträgt. Bei uns in Tirol könnte man als Kurat einer solch’ kleinen Pfarrei ganz ruhig und gemächlich leben; bei dem arabischen Volke aber habe ich mehr als genug zu tun. Es sind bisweilen Tage, wo ich den ganzen Tag auf den Füßen bin. Der Kurat muss sich in alles mischen. Gibt’s Streit, so ruft man den Kurat; ist ein Kind, sei es nur einen Tag alt, krank, so muss ihm der Kurat einige Evangelien über den Kopf herabbeten. Will sich einer verehelichen, so muss der Kurat die Braut verlangen und den Heiratskontrakt abschließen. Entflieht das Weib ihrem Manne, was sehr oft geschieht, – so muss ihr der Kurat nachlaufen und sie nach endlosem Zureden und Drohen wieder nach Hause bringen. Testamentsangelegenheiten sind gänzlich ihm übergeben. Und dann erst die Armenversorgung, Hauszinse, Kleider, Arzt, Arzneien hat der arme Kurat zu verschaffen…“ „Abouna Malak“, „Vater Engel“, für alle! Auf seine Initiative hin wurde dann für die Pfarr- und Klosterkirche ein Turm gebaut und eine vier Zentner schwere Glocke hineingehängt. Ein ganz mutiges Unternehmen, da das Kloster gleich neben der Moschee stand. Da der Heilige die einheimische Sprache schnell recht gut beherrschte, eroberte er rasch die Herzen seiner Gläubigen. Bei den verschiedensten Besuchen lernte er immer besser ihre Sitten und Gebräuche kennen. Der geschätzte Seelsorger aus Österreich wurde deshalb liebevoll „Abouna Malak“, „Vater Engel“, genannt. Im Kloster nannten ihn die Mitbrüder Junge arabische Christen bei der Karfreitagsprozession in Damaskus Engelbert Kolland Engelbert Kolland
IM LAND DES HERRN 12 3/2024 romanischer Zunge „Padre Angelo“. Das Wirken des beliebten Tirolers wurde bald einmal von allen Seiten gerühmt, ja der spanische Obere legte sogar beim Patriarchen in Jerusalem ein gutes Wort für ihn ein, als die Provinzleitung des Heiligen Landes ihn in den Rat wählen wollte: „P. Engelbert, diese erstklassige Kraft, möge der Mission in Damaskus nicht mehr entzogen werden.“ Der apostolische Delegat von Syrien Msgr. Paulus Brunoni, der ihn einmal auf Visitationsreise nach Libanon mitnahm, sagte u. a. über ihn: P. Engelbert hätte sich ausgezeichnet durch seine Frömmigkeit, seine Nächstenliebe und seinen Eifer. Er hätte auf der Visitation seine hervorragenden Eigenschaften erlebt und erfahren, wie sehr er in Damaskus als Seelsorger geschätzt würde. Die sengende Sommerhitze ertrug P. Engelbert gut. In der Sommerzeit verbrachte er jeweils seinen Urlaub in einem Dörfchen namens Maara, fünf bis sechs Wegstunden von Damaskus entfernt. Alle Leute dort kannten und liebten den Pater aus Österreich. Seine leutselige Art und seine Liebenswürdigkeit eroberten rasch die Herzen aller Menschen. Jedes Mal herrschte große Freude, wenn Abouna Malak wieder zu einer Traubenkur zu ihnen ins Dorf zurückkehrte. Drusenaufstand, Christenverfolgungen Die Drusen sind im Libanon, Syrien und Israel ansässig. Von ihrer Lehre her sind sie islamischsynkretistisch. Sie haben ihren Namen von ihren ersten Propagandisten Druzi († ca. 1017). Seit vielen Jahrhunderten lebten sie im Libanon mit den maronitischen Christen recht friedlich zusammen. Im großen türkischen Reich gab es im 19. Jahrhundert Reformbestrebungen, alle religiösen Minderheiten den übrigen Staatsbürgern in allem gleichzustellen. Das wäre vor allem den Christen zugute gekommen. Für die islamische Welt war dieses so etwas wie ein offener Affront. Die Christen waren für sie während 1200 Jahren Bürger zweiter Klasse. Die Moslems in Syrien, vor allem die Drusen, gingen zu offenem Angriff über. Der Gouverneur von Beirut stellte sich an die Spitze dieser Aufständischen, die vom 30. Mai bis zum 26. Juni 1860 viele christliche Dörfer im Libanon überfielen, brandschatzten, plünderten und die Bevölkerung schändeten. Es gab sehr viele Opfer. Auch in Damaskus, wo die Drusen unmittelbar neben dem Quartier der Christen wohnten, brachen Streitigkeiten aus. Das zumeist von Katholiken bewohnte Quartier wurde niedergebrannt. Zwar waren die Christen in dieser muslimischen Stadt angesehen, denn die katholischen Ordensleute, die Franziskaner, Jesuiten, Lazzaristen und die Vinzentinerinnen hatten sich wegen ihres selbstlosen Einsatzes in Schule und Krankenpflege viel Achtung verschafft. Doch dem türkischen Statthalter und dem geistlichen Oberhaupt kam die Wut der Drusen gegen die Christen sehr gelegen. Am 9. Juli 1860 sangen die Muezzins von den Minaretten: „Oh wie schön und gut ist es, die Christen zu massakrieren!“ Von allen Seiten drangen nun Soldaten des türkischen „Gerade Straße“ in Damaskus um 1900 © Dia-Archiv Kommissariat München
3/2024 13 Heeres, Türken und Drusen, in Banden von Fünf- bis Sechshundert in das Christenviertel ein und besetzten alle Zugänge. In der Nacht wurden alle christlichen Häuser bezeichnet. Die Türen wurden eingerannt, die Häuser geplündert, die Menschen niedergemetzelt, abgeschlachtet. An die 2400 Häuser wurden geplündert und eingeäschert, an die 8000 der wehr- und waffenlosen Christen ermordet. Unter ihnen waren dreißig Priester und drei Bischöfe der verschiedensten christlichen Riten. Das Massaker von Damaskus dauerte vom 9. bis 16. Juli 1860. Retter der Christen Nicht alle Moslems von Damaskus befürworteten diese schreckliche Verfolgung. Der algerische Emir Abd-el-Kader half mit seinen Gefolgsleuten den Christen. Er rettete tausende von Christen durch den Schutz der Zitadelle, wo diese sich zusammengedrängt aufhalten konnten, das Leben. Viele von ihnen waren Ordensleute. Ohne ihn wäre wohl kein einziger Christ übriggeblieben. Als am Nachmittag des 9. Juli Achmed Pascha, der Gouverneur von Damaskus, zur Christenverfolgung aufrief, schickte der Guardian des Franziskanerklosters, P. Emmanuel Ruiz, alle Leute aus dem Hause. Außer den Franziskanern und den drei maronitischen Brüdern Massabki blieben noch die Klosterschüler da. Von draußen waren die Schreie und Hilferufe der Verfolgten zu hören. Die weinenden Knaben der Klosterschule umringten Abouna Malak, den Vater Engel, der sie auf die sichere Terrasse des Klosters brachte. Er tröstete sie. Er ließ ihnen frisch gebackenes Brot bringen. Es waren typisch runde arabische Brotfladen, von denen er einmal den Seinen nach Haus schrieb, er hätte nirgends in der Welt besseres Brot gegessen als dieses. Abd-el-Kader ermahnte die Klosterbrüder von St. Paul sich auf die Zitadelle der Stadt in Sicherheit zu bringen. P. Engelbert hätte dieses lebensrettende Angebot gerne angenommen, aber sein Oberer P. Emmanuel, wies diese Einladung höflich zurück. Er fühlte sich und seine Mitbrüder hinter den hohen Klostermauern sicherer. Zudem meinte er nichts fürchten zu müssen. Wer könnte auf den Gedanken kommen, in den armen Gängen und Zellen der Franziskaner etwas zu plündern? Auch war er sich der Beliebtheit der Brüder mit dem Strick bewusst. Wer sollte ihnen dafür etwas antun? Massaker im Pauluskloster Zunächst schien es, als hielten die Klostermauern dem Sturm der Angreifer stand. Doch plötzlich gegen Mitternacht des 9. auf den 10. Juli drang schrecklicher Lärm durch die stillen Klostergänge. Wie war das möglich? Ein eheEngelbert Kolland Engelbert Kolland Martyrium, Gemälde im Kloster St. Salvator Jerusalem von Gaidano 1898 © MAB Custodia TS
14 3/2024 maliger Angestellter des Klosters verriet den Henkern eine unbekannte Hintertüre im Klosterbezirk. Die Brüder waren gerade zum nächtlichen Gebet der Matutin und der Laudes im Chor versammelt. Die Eindringlinge überrumpelten die betenden Franziskaner. Zunächst fielen die drei maronitischen Brüder Massabki den mörderischen Drusen zum Opfer. Der Guardian, P. Emmanuel, der gerade dabei war, die Hostien vom Tabernakel zu kommunizieren, um vor der Profanierung zu schützen, wurde in der Klosterkirche von den Eindringlingen überrascht. Sie forderten ihn gleich auf, seinem christlichen Glauben abzuschwören. Der tapfere Franziskaner legte seinen Kopf auf den Altar mit den Worten: „Schlagt zu!“ Ein starker Axthieb trennte ihn von seinem Leib. P. Carmel Volta, der Pfarrer wollte seinem Oberen zu Hilfe kommen. Auch er wurde gleich umgebracht. Die übrigen Brüder suchten durch Flucht ihr Leben in Sicherheit zu bringen; doch keinem gelang das. Einer wurde im Kreuzgang niedergemetzelt, ein anderer an der Treppe erschossen, wieder ein anderer in der Klosterschule getötet. Die zwei Laienbrüder flohen auf den Kirchturm. Auch da wurden sie aufgespürt und grausam hinabgestürzt. Von jedem der Brüder wurde verlangt, Christus zu verleugnen und Mohamed anzunehmen. Keiner von all diesen Brüdern ist in den Tod gegangen, ohne sich vorher deutlich zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes, bekannt zu haben. Flucht und Martyrium des Heiligen Engelbert Auch P. Engelbert versuchte zu fliehen. Der junge, bewegliche Bruder, kletterte über die Dächer zu den benachbarten Häusern. Sein erstes Ziel war, zu den Lazaristenpatres zu flüchten und von dort aus, so hoffte er, zur Festung des Abd-el-Kader zu gelangen. Er fand kurz Unterschlupf bei der Familie Kahala, deren Mutter ein Beichtkind von ihm war. Sie gab ihm zur Tarnung einen langen weißen Frauenmantel, einen sogenannten „Iftar“. Kaum war er in den anliegenden Saal entkommen, stürmten die Verfolger herein. Sie entdeckten das braune Ordensgewand, das unter dem weißen Mantel hervorkam. Ebenso waren es seine nackten Füße in den Sandalen, die ihn deutlich als Sohn des hl. Franz erkennbar machten. Sofort wurde er von den Häschern umringt. Es waren an die zwanzig. Einer von ihnen hielt ihm den Gewehrkolben ins Gesicht. P. Engelbert schob mutig das Gewehr des Drusen zur Seite und fragte ihn mit gefasster Stimme: „Freund, was habe ich getan, daß du mich töten willst?“ Verblüfft entgegnete ihm dieser: „Nichts, aber du bist Christ!“ Da riss ihm einer der Verfolger das Kreuz von seinem Rosenkranz und warf es auf den Boden. Er forderte Engelbert auf: „Tritt darauf und wir wissen, dass du Christus abschwörst!“ Abouna Malak gab klar und deutlich zur Antwort: „Ich bin ein Christ, ich bleibe ein Christ. Noch mehr, ich bin ein Diener Christi, Priester der katholischen Gemeinde hier.“ Das berichten Zeugen im Seligsprechungsprozess. P. Engelbert bezeichnete sich mit einem großen lateinischen Kreuz. Ein Hieb mit der Doppelaxt traf seinen Kopf, so dass er stark vom Blut überströmt war. Noch zweimal forderten ihn die Schergen auf, dem christlichen Glauben abzuschwören und Mohammed nachzufolgen. Jedes Mal gab er mit überzeugter Stimme zur Antwort: „Nein, niemals!“ Und jedes Mal sauste ein Axthieb auf ihn hinunter. Beim dritten Mal traf ihn der tödliche Schlag, das Opfer war vollendet! Engelbert Kolland hatte genau das Lebensalter Jesu erreicht! „Mein Gott und mein Alles!“ Es war in der Früh um etwa halb zwei Uhr des 10. Juli 1860. Trauer um die Brüder, besonders um Abouna Malak Im Frühjahr 1861 kam P. Enrico Collado als Pfarrer nach St. Paul. Er schreibt in einem seiner Briefe: „Einen Tag nach der Ankunft begab ich mich zum Platz, wo früher unser Kloster sich erhob; und ich fand nichts als einen Schutthaufen, herumliegende Gebeine und den Boden IM LAND DES HERRN
3/2024 15 der Kirche immer noch bespritzt mit dem Blute der gemordeten Christen. Ich beeilte mich, die zerstreuten Reliquien aufzusammeln und ehrenvoll beizusetzen. Dasselbe werde ich mit den Gebeinen des P. Engelbert tun, die noch immer in einer Zisterne neben obgenannten Konvent (der Lazzaristen) liegen. Der Tod dieses ausgezeichneten Mitbruders wird bis zur Stunde von ganzem Volk beklagt und alle wetteifern, von seinem liebenswerten und tugendhaften Wesen zu erzählen. Dasselbe gilt vom P. Carmelo (dem Pfarrer); von den anderen spricht man wenig oder nichts, da sie erst vor kurzem nach Damaskus gekommen waren ...“ Zur Ehre der Altäre erhoben Bereits 25 Jahre später, 1885, wurde der Seligsprechungsprozess für die acht Franziskaner eröffnet. Als er 1926 unmittelbar vor dem Abschluss stand, bat der maronitische Erzbischof von Damaskus Papst Pius XI., auch im Namen anderer orientalischer Bischöfe, man möchte doch gleichzeitig auch die drei Brüder Massabki seligsprechen. Der hl. Vater kam diesem Wunsch nach und hat die elf Märtyrer von Damaskus am 10. Oktober 1926, dem Jubiläumsjahr des hl. Franziskus zusammen seliggesprochen. Es war im Jubiläumsjahr des hl. Franziskus, 700 Jahre Tod des Heiligen aus Assisi. Verehrung des heiligen Engelbert Verschiedene Ex-Voto-Tafeln hängen im Kirchlein von Ramsau beim Altar des Heiligen Engelbert, in der Granatkapelle aus dem Penkenjoch oder im Engelbertmuseum in Zell am Ziller. Sie sind ein klares Zeugnis für die Verehrung des Heiligen. Es sollen mehr als zwanzig sein. Da stand unter anderem auf ein paar ausgewählten Tafeln: „Durch die Fürbitte des Seligen Engelbert ist mir geholfen worden.“ „Dank der Fürbitte des Seligen Engelbert wurde ich gesund.“ „Der Selige Engelbert hat uns durch seine Fürbitte geholfen.“ „Dank dem sel. Engelbert bin ich durch seine Fürbitte von einem schweren Augenleiden geheilt worden.“ „Dank der lieben Gottesmutter und dem sel. Engelbert durch deren Fürbitte von schwerer Krankheit geheilt.“ Der Heilige wurde und wird immer wieder in der Not angerufen. Aus Berichten geht hervor, dass er schon oft Krankheiten, so bei Nervenleiden, Blutvergiftung, schweren Operationen bei Augen-, Ohren-, Fuß-, Hals- und Magenleiden geholfen hat. Er war auch Helfer bei Gerichtssachen, bei Studien- und Schulexamen. Alle diese Zeugnisse zeigen, dass die Verehrung des Seligen und seiner Gefährten durch die Jahre und vor allem nach der Seligsprechung, nicht ausgeblieben sind. Votivbilder in der Granatkapelle auf dem Penkenjoch Engelbert Kolland Engelbert Kolland
16 3/2024 Rechtzeitig zur Heiligsprechung wurde die Biografie des Heiligen aus der Feder von P. Gottfried Egger neu im „The Best Kunstverlag“ Wels aufgelegt. Wir können das Buch, welches verbessert und mit farbigen Bildern versehen ab jetzt im Handel ist, nur empfehlen. Aus dem Vorwort von Erzbischof Franz Lackner OFM, Salzburg: Engelbert Kollands Lebensweg ist ein beeindruckendes Zeugnis von Frömmigkeit, vom Wirken des Herrn – von wahrer Heiligkeit. Dies alles wird nun der Gemeinschaft des katholischen Glaubens auf der ganzen Welt zugänglich. Wie so oft hätte man als zeitgenössischer Mensch zunächst kaum eine solche Heiligkeit bei dem Zillertaler Jungen vermutet – einfachste Herkunft, schlechte Schulleistungen, Anpassungsschwierigkeiten, das Elternhaus dem evangelischen Glauben zugeneigt. Doch bleibt dem menschlichen Auge verschlossen, was das göttliche sieht. Michael, „wer ist wie Gott?“ – sein Geburtsname wird im Rückblick zur Mahnung dessen. Lange unterschätzt, zeigte er am Ende den größten Einsatz, als er endlich seinen Weg in der Welt gefunden hatte – als er dem Herrn im Orden des Heiligen Franziskus nachfolgen konnte. Engelbert, „Engelglanz“ wird nun sein Name. Mit diesem machte er sich auf in die Länder, wo Jesus selbst auf Erden gelebt und Paulus seine Bekehrung erfahren hatte. Gelehrt und lehrend, betend und angebetet wurde er als Abouna Malak, als „Vater Engel“, einer der geliebten Hirten für die Christen in Damaskus. Die Liebe zu Christus und zum Glauben hat ihn getragen – bis hinein in das Martyrium, das er zu erleiden hatte. Es mag bezeichnend sein, dass Engelbert Kolland nun gerade dann zur Ehre der Altäre der ganzen Kirche erhoben wird, wenn wir an der Schwelle eines neuen Heiligen Jahres stehen. „Pilger der Hoffnung“ sollen wir sein, dazu ruft uns Papst Franziskus auf – ein solcher Pilger der Hoffnung war auch Engelbert Kolland. „Mein Gott und mein Alles“ hatte er sich als Motto genommen; in diesem Sinne trug „Vater Engel“ seinen Glauben in die Welt. Sein Martyrium durch die Äxte von Fanatikern ist dabei in unseren Tagen doppelte Mahnung: Einerseits, dass wir dem Glauben treu bleiben mögen, auch in den extremen Situationen; andererseits, dass brutale Gewalt keiner Religion als Mittel dienen darf. Für mich persönlich war die Nachricht von der nun bevorstehenden Heiligsprechung des Seligen Pater Engelbert auch doppelte Freude: Einmal als Erzbischof jener Diözese, aus der nun ein neu anerkannter Heiliger stammt, dann aber gerade auch als Mitbruder jenes Ordens, in dem er einst sein geistiges Zuhause fand. Allen, die sich auf den Weg machen werden, um selbst in Rom bei der Liturgie dabei zu sein, wünsche ich den reichen Segen Gottes – und gemeinsam wollen wir Pater Engelbert um seine Fürsprache bitten für unsere und seine Diözese, für seinen Orden, und für die vielen zu denen wir auf je eigene Art gesendet sind. Besonders aber für den Frieden in den Ländern, die er bereiste, die von Krieg und Not heimgesucht werden. Und dass Friede herrsche in jenem Land, das wir das Heilige Land nennen. Franz Lackner OFM Erzbischof von Salzburg Buchhinweis zu Engelbert Kolland
3/2024 17 iberias (hebr. Tvérja, arab. Tabaríje) ist die Hauptstadt von Galiläa und hat gut 40.000 Einwohner. Durch seine vielen Hotels und seine zentrale Lage ist es eine gute Basis für Besuche im Norden des Landes. Freilich hat das starke Wachstum der letzten Jahrzehnte die Stadt etwas unförmig werden lassen. Geschichte: Von den Städten, die einstmals am See blühten, ist nur diese erhalten geblieben. Herodes Antipas (4 v. Chr. bis 38 n. Chr.) erbaute sie in den Jahren 17–22 n. Chr. als neue Hauptstadt für Galiläa, zwischen der heutigen Stadt und den heißen Quellen von Hammat Tverja. Sie lag an der Stelle einer älteren unbedeutenderen Siedlung, wahrscheinlich das im Buch Josua (19,35) erwähnte Rakkat. Mit dem Namen Tiberias wollte er seinen Oberherrn und Gönner, Kaiser Tiberius (14–37 n. Chr.), ehren. Er nahm beim Bau keine Rücksicht auf einen vorhandenen Friedhof. Daher mieden die Juden Tiberias zunächst als unrein, Priester durften es nicht betreten. Ob Jesus je hier war, wissen wir nicht. Der üble Ruf von Tiberias änderte sich, als nach der Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung der Juden aus Judäa (135 n. Chr.) der Sanhedrin (Hohe Rat) und die jüdische Gelehrtenwelt sich nach Galiläa zurückziehen mussten. Bereits um die Mitte des 2. Jahrhunderts kam Rabbi Schimon bar Jochai nach Tiberias und erklärte es zur „reinen“ Stadt. Das einst gemiedene Tiberias wurde mit der Zeit sogar zu einer der vier „heiligen Städte“ des Judentums. Zum Beweis seines hohen Ranges kann Tiberias auf mehrere Rabbinergräber verweisen: das Grab von Jochanan ben Zakkai, des Gründers der Rabbinerschule von Javne (Ende des 1. Jahrhunderts); das Grab des Gelehrten Rabbi Akiba, der den Bibeltext bis auf die Anzahl der Buchstaben autoritativ festgelegt hat und der wahrscheinlich 135 n. Chr. als Märtyrer des Bar-Kochba-Aufstandes gestorben ist; das Grab des Rabbi Meïr Baal ha-Nes (des „Wundertäters“, 2. Jahrhundert). Zu ihnen kam im Mittelalter noch das Grab des Rabbi Mosche ben Maimon (Maimonides) hinzu. Um 400 wurde hier der Jerusalemer Talmud vollendet; obwohl in Tiberias entstanden, wird er Jerusalemer Talmud genannt, um ihn vom Babylonischen Talmud zu unterscheiden, einer in Mesopotamien (Babylon) entstandenen Parallelüberlieferung. Während der überlieferte Bibeltext jener talmudischen Zeit noch weitgehend ein Konsonantentext war und die Einfügung der richtigen Vokale der Überlieferung und der Kenntnis des Lesers überlassen blieb, begann man im 8. Jahrhundert in Tiberias die Vokale durch Punkte über und unter den Buchstaben anzuzeigen. Diese tiberiensische Punktation setzte sich durch und ist bis heute im hebräischen Bibeltext maßgebend. Ansicht von Tiberias um 1860, Meßmer, Klosterbibliothek München Tiberias Heinrich Fürst OFM/Gregor Geiger OFM T
18 3/2024 IM LAND DES HERRN Im Lauf des 4. Jahrhunderts bekam Tiberias durch die Bemühungen des jüdischen Konvertiten Josef von Tiberias eine Kirche; 451 n. Chr. wird erstmals ein Bischof Johannes erwähnt. Da die Juden von Tiberias 614 mit den Persern gemeinsame Sache gemacht und Kirchen und Klöster zerstört hatten, nahm Kaiser Heraklius nach der Wiedergewinnung des Landes im Jahr 628 an den Juden grausame Rache. Als 635 die Araber Tiberias erobert hatten, wurde Tiberias Hauptstadt des nördlichen Verwaltungsbezirkes. 749 und 1033 fügten Erdbeben der Stadt schwere Schäden zu. Auch unter dem Kreuzfahrerfürsten Tankred (ab 1099) blieb Tiberias Hauptstadt des Nordbezirks. Doch war die Stadt anscheinend ziemlich heruntergekommen. Jedenfalls gründete Tankred weiter nördlich an dem Platz der heutigen Altstadt eine neue Kreuzfahrerstadt und umgab sie mit Mauern, während die byzantinisch-arabische Stadt südlich davon endgültig verfiel. Die Erinnerung an das Wirken Jesu am See Gennesaret wurde jetzt allein in Tiberias (und Magdala) gepflegt, da die historischen Stätten am Nordufer unzugänglich waren. Doch die Herrlichkeit war nur von kurzer Dauer. Schon 1187 startete Saladin von Tiberias aus die Rückeroberung des Landes für den Islam. Bei den Mamluken (nach 1247) geriet die Stadt ins Abseits und wurde zum Dorf. Tiberias erholte sich erst wieder, als der Beduinenscheich Dhaher al-Omar gegen die Osmanen rebellierte und baute Tiberias zu seiner Domäne wieder auf und lud Juden ein, den Ort zu besiedeln. Von 1860 an und dann wieder nach 1912 setzten neue jüdische Immigrationswellen ein. Tiberias wurde wieder eine Stadt, entwickelte sich zur Hauptstadt Galiläas und zu einem wichtigen Badeort. Im Unabhängigkeitskrieg 1948 war Tiberias fest in israelischer Hand, so dass die arabische Bevölkerung floh und die Moscheen verödeten. Im Nordwestteil der Kreuzfahrerstadt, die der jetzigen Altstadt entspricht, ist noch die Zitadelle mit ihren vier Ecktürmen erhalten; die Mauern und Türme sind aus dem dunklen Basalt der Gegend. Die Franziskanerkirche an der Strandpromenade ist so klein (20 x 6 m) und zwischen Hotels und Schiffsanlegestelle in Tiberias Kaiser Tiberius, Israel Museum Jerusalem
3/2024 19 Restaurants eingekeilt, dass sie von vielen gar nicht wahrgenommen wird. Sie stammt aus der Kreuzfahrerzeit und ist dem hl. Petrus geweiht. Als Monument der Kreuzfahrerepoche ist sie, ähnlich der St.-Anna-Kirche in Jerusalem, deshalb erhalten geblieben, weil sie zur Moschee umgewandelt worden war; im Innern kann man an der rechten Seitenwand, also nach Süden, nach Mekka, gewandt, noch die Umrisse der nachträglich eingebauten muslimischen Gebetsnische erkennen. Es wird vermutet, dass man beim Bau die Formen eines Bootes nachahmen wollte – man erkennt das besonders von außen an der Apsis. Die Franziskaner bemühten sich 1641, die kleine Kirche zu erwerben, aber erst 1757 gelang dies. Noch einmal 90 Jahre später, zehn Jahre nach dem schweren Erdbeben von 1837, konnten die Franziskaner hier eine ständige Niederlassung errichten. Bei der Jahrhundertüberschwemmung, die die Stadt 1934 heimsuchte, erlitt die Kirche schwere Schäden, die Anlass gaben, 1944 eine gründliche Renovierung durchzuführen, bei welcher der Maler Emilio Ritz zurückhaltende Fresken anbrachte. Im Vorhof des Kirchleins steht eine Reproduktion der bekannten Petrusstatue aus dem Petersdom in Rom. Ihr gegenüber errichteten 1944 Soldaten der Freien Polnischen Armee, die in der Pilgerunterkunft einquartiert waren, ein Kriegerdenkmal mit Bild der Muttergottes von Tschenstochau. Die 1932 errichtete lateinische Pfarrei für die arabischen Katholiken von Tiberias und der Gegend um den See war seit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg weitgehend verwaist, doch hat sich inzwischen aus Einwanderern und Gastarbeitern eine Gemeinde mit neuem Gesicht gebildet. Neben der Petruskirche besteht seit 1903 eine franziskanische „Casa Nova“, eine einfache Pilgerunterkunft. Westlich des Leonardo-Plaza-Hotels fand man den Mosaikboden einer Synagoge (20 x 20 m) aus dem 6. Jahrhundert In einem Lorbeerkranz zwischen Feststräußen des Laubhüttenfestes lautet die Gedenkinschrift: Inneres der Franziskanerkirche in Tiberias © Tomislav Vuk OFM Tiberias Tiberias
20 3/2024 „Proklos, Sohn des Krispos, stiftete dies“. Die Synagoge wurde durch das Erdbeben von 749 beschädigt, war aber danach wieder in Funktion. Erst in der Kreuzfahrerzeit wurde sie überbaut. An der Hauptstraße nach Westen, nach oben, Richtung Nazaret, sieht man links (südlich) der Straße eine moderne Konstruktion aus weißen Stahlträgern. Dort befindet sich das erwähnte Grab von Rabbi Mosche ben Maimon (geboren 1135 in Cordoba/Spanien, gestorben 1204 in Altkairo). Im Westen nennt man ihn gewöhnlich mit seinem lateinischen Namen Maimonides, im Hebräischen hat man aus den vier Anfangsbuchstaben seines Namens Rabbi Mosche ben Maimon die Kurzform Rambam gebildet. Er war der berühmteste jüdische Gelehrte des Mittelalters und Leibarzt Saladins. Mit seinen Kenntnissen der Philosophie von Aristoteles bis zu den arabischen Philosophen beeinflusste er auch die christliche Philosophie und Theologie des Mittelalters: Er war der erste, der versuchte, das Weltbild der griechischen Philosophie mit dem der Bibel in Einklang zu bringen. Christliche Gelehrte, vor allem Albert der Große und Thomas von Aquin, bauten auf seinen Arbeiten auf. Der Zugang zum Grab befindet sich in der Jochanan-ben-Zakkai-Straße. Südlich der Stadt, auf halbem Weg zwischen der Altstadt und den heißen Quellen von Hammat Tverja, stieß man auf imposante Überreste der römisch-byzantinischen Stadt. Unmittelbar westlich der heutigen Uferstraße befand sich eine römische Basilika, die in byzantinischer Zeit zur Kirche (21 x 15 m) umgewandelt wurde, und südlich davon ein Halbrund (griech. Exedra), das für kleinere Theater- oder Musikaufführungen gedient haben mag. Auch Tiberias hatte seinen etwa 12 m breiten Cardo (Hauptstraße). Er verlief parallel zum Seeufer bis zu einem monumentalen Südtor. An seiner Ostseite lagen neben den üblichen Läden eine Markthalle und eine große Badeanlage (42 x 31 m) mit teilweise erhaltenen Mosaiken. Auf ihnen sind neben Pflanzen, Vögeln und Großtieren auch Fische zur Geltung gebracht. Es ist verführerisch, ein öffentliches Gebäude (5 x 10 m) aus dem 3. Jahrhundert mit sehr einfachem Mosaikboden ohne Menschen- und Tierdarstellung als Sitz des Sanhedrins zu betrachten. In neuerer Zeit wurden außerdem ein Theater und ein römisches Bad freigelegt. Erstaunlich war, dass die teilweise bis zu 5 m Höhe erhaltene byzantinische Stadtmauer bis auf den Berenikeberg (20 m unter dem Meeresspiegel, d. h. ca. 190 m über dem See) hinauf- und wieder herabführte. Diese aufwendige Mauer geht offensichtlich auf Kaiser Justinian zurück, der auch die christliche Basilika auf diesem Berg geschützt wissen wollte. Man erreicht sie auf einem Schotterweg entweder von unten, vom Stadtteil Ge’ullim aus, oder (nur zu Fuß oder mit geländegängigem Fahrzeug) von oben, vom Swiss Forest („Schweizer Wald“). Die Basilika (mit Vorhof 48 x 28 m) war dreischiffig und hatte drei Apsiden. In der Mittelapsis liegt ein Ankerstein mit einem Loch in der Mitte zum Befestigen des Seils, wie ihn Grab des Maimonides IM LAND DES HERRN
3/2024 21 die Fischer am See benutzten, aber von überdimensionaler Größe und fast einer halben Tonne Gewicht. Es ist kein ähnlicher Fall bekannt; in anderen antiken Kirchen befand sich an dieser Stelle ein Heiligengrab oder ein Reliquienschrein. Auch aus der Kreuzfahrerzeit gibt es Spuren der Verehrung dieses Ankers. Kann man ihn mit Jesus, dem Menschenfischer, in Verbindung bringen? Der Anker kann auch als Symbol der christlichen Hoffnung verstanden werden, von der der Hebräerbrief (6,19) sagt: In ihr haben wir einen sicheren und festen Anker der Seele, der hineinreicht in das Innere hinter dem Vorhang. Ebenfalls sehenswert sind die Reste der Synagoge, die 1962 beim Grab des Rabbi Meïr Baal ha-Nes oberhalb der alten Schwefelquellen (weiße Kuppel) entdeckt wurde und nach einer Inschrift Severus-Synagoge genannt wird. Sie ist in einem Nationalpark (Hammat Tverja) zugänglich gemacht worden. Bereits die unterste Schicht aus dem 1. Jh. n. Chr. könnte eine Synagoge gewesen sein, wenn es auch keinen Beweis dafür gibt. Nach Zerstörung durch das Erdbeben von 306 (?) wurde im 4. Jahrhundert hier wieder eine Synagoge (15 x 13 m) gebaut, die in einem späteren Stadium prächtig ausgestattet wurde. Das Schönste daran ist das prächtige und an sich gut erhaltene Fußbodenmosaik, durch das leider eine spätere Mauer verläuft. Sein Thema ist das gleiche wie in Bet Alfa: oben der Toraschrein mit liturgischen Symbolen; im Hauptfeld Helios, der Sonnengott, in Herrschergeste auf seinem Wagen und mit einem Globus in der anderen Hand. Um ihn herum sieht man in einem Kreis die hebräisch beschrifteten Tierkreiszeichen, in den Ecken symbolisieren vier Frauen die Jahreszeiten. Unten finden sich zwei Löwen, welche neun Felder mit griechischen Inschriften flankieren. Nur die Szene der Opferung des Isaak fehlt gegenüber Bet Alfa. Dafür ist die künstlerische Qualität eine ganz andere als dort; es ist ein weiteres Zeugnis einer liberaleren jüdischen Frömmigkeit aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Und erst recht erstaunlich: Eine der WidTheater im Archäologischen Park Apsis der „Ankerkirche“ auf dem Berenikeberg mit Blick auf den See, im linken unteren Teil des Bildes der Ankerstein Tiberias Tiberias
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