20 4/2024 IM LAND DES HERRN dienen, vor dem drohenden Strafgericht gewarnt und gerettet zu werden. – Andere Gelehrte, die sich mit unserem Thema befasst haben, sagen: Die Sintflut-Erzählungen enthalten eine bemerkenswerte Aussage über Gott bzw. das Göttliche. Diese höchste Macht wird in den Fluterzählungen als widersprüchlich und doppeldeutig dargestellt. Der Schöpfer liebt auf der einen Seite seine Schöpfung und seine selbstbewussten Menschenkinder, auf der anderen Seite aber ist er von ihnen irritiert und lehnt sie ab. Anders gesagt: Er will seine Ebenbilder teils vernichten, teils erhalten. Die Flutgeschichten sind also Ausdruck eines innergöttlichen Konfliktes. – Sehr schön erkennen wir diesen Zug in der NoachErzählung. Gott lässt ohne weiteres Tausende von Lebewesen im Wasser umkommen, aber um Noach und seine Sippe ist er rührend besorgt: Er begleitet sie auf ihrem Weg in die Arche, und als sie alle (zusammen mit den Tieren) drinnen sind, sperrt er eigenhändig die Türe zu, damit ihnen keine Macht der Welt schaden kann. – Der Gott Noachs ist also nicht nur ein Richter und Bestrafer, sondern auch ein fürsorglicher Vater. Wie immer man die Fluterzählungen im Einzelnen deutet, sie sind auf jeden Fall nicht nur Geschichten, die vergangene Schuld aufrechnen und sühnen, sondern enthalten auch Theologie, die in die Zukunft gerichtet ist. Es kommt in ihnen immer ein neuer Stammvater vor, der für die Menschheit einen Neuanfang ermöglicht. Noach ist, wie wir einleitend gesagt haben, der „Erste einer neuen Menschheitsfamilie“. Erfinder des Weinbaus Es bleibt noch nachzutragen, was wir weiter oben, bei der zusammenfassenden Darstellung der Noach-Geschichte, ausgespart haben. Noach übersteht nicht nur die Sintflut und bringt nach seiner Rettung dem Schöpfer ein Brandopfer dar. Er wird auch beiläufig zum Erfinder des Weinbaus. Der biblische Text erzählt das ganz schmucklos: „Noach wurde der erste Ackerbauer und pflanzte einen Weinberg. Er trank von dem Wein, wurde davon betrunken und lag entblößt in seinem Zelt ...“ (Gen 9,19f.) – Wenn wir heute von einem Betrunkenen hören oder lesen, dass er sich ungebührlich benimmt, sind wir gleich bereit, ihn moralisch zu beurteilen, bzw. zu verurteilen. Für Noach gilt diese Regel nicht. Er hat sich nicht aus Übermut oder Leichtsinn betrunken, sondern aus Unwissenheit. Er kannte die Wirkung des Weinbaus einfach nicht und wurde von ihr überrascht. An dieser Tatsache wäre nichts Aufregendes (schließlich hat jeder von uns einmal seine ersten Erfahrungen mit dem Alkohol machen müssen), aber der betrunkene und entblößte Noach war für einen seiner Söhne offenbar eine Herausforderung oder Versuchung. Unser Text sagt: „Ham, der Sohn Kanaans, sah die Blöße seines Vaters und erzählte davon draußen seinen Brüdern. Da nahmen Sem und Jafet einen Überwurf, legten Noach mit Sem, Ham und Jafet unter einem riesigen Weinstock Dom Zwickau, Chorgestühl
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