Im Land des Herrn | 78. Jahrgang | 2024 - 4

22 4/2024 IM LAND DES HERRN und zwar mit dem Text über den Bundesschluss nach der Flut (1. Lesung). Das regt manche Prediger an, sich über die Bedeutung Noachs für heutige Christen Rechenschaft zu geben. Dabei zeigt ein Blick in die entsprechende Literatur, dass man sich in unserer Zeit vor allem darüber Gedanken macht, wie Noach es fertig gebracht hat, in einer bösen und gottlosen Umgebung den Auftrag Gottes zum Bau einer Arche zu erfüllen. Musste Noach seinen Mitmenschen nicht als Sonderling und „Spinner“ erscheinen? War er mit seinem Wissen um die baldige Auslöschung allen Lebens nicht völlig isoliert? – Der nachstehende Text beschäftigt sich mit dieser Einsamkeit und „Verrücktheit“ Noachs: „Sagen Sie mir nichts gegen den Noach! Der hat noch ganz andere Dinge gemacht als Trauben gepresst, wie er auf dem Trockenen gesessen ist – Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn einer auf dem Trockenen sitzt – und er baut sich ein Schiff? Was heißt Schiff – einen Ozeanriesen! Auf dem Trockenen! Die Leute sagen: dieser Noach ist verrückt. Aber er baut weiter, Brett für Brett ... Und die Verwandtschaft meint, dass er ein Brett vor dem Kopf hat. Aber Noach baut weiter. Seine Arche. Und er sagt: Eine Sintflut steht uns bevor! Und keiner nimmt ihn ernst. Jeder sagt: Eine Sintflut? Dass ich nicht lache! ...“ (J. Dirnbeck). Der zweite moderne Text, mit dem wir die heutige Folge unserer Serie abschließen wollen, stammt von Bert Brecht (1898–1956). In seinem dreiteiligen Gedicht „An die Nachgeborenen“ spricht er von den unwürdigen Zuständen seiner Zeit und seiner Gesellschaft, in der viele auf Kosten anderer leben, und wo jeder, der isst und trinkt, am Hunger und Durst eines anderen schuld ist. Er wollte mit Gesinnungsgenossen bessere Zustände herbeiführen, aber dann kam „die Flut“ (wohl eine Anspielung auf den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg) und schließlich „verging die Zeit, die mir auf Erden gegeben war“. Aber die Flut bedeutet bei Brecht, ähnlich wie in der Bibel, nicht nur Ende und Vernichtung, sondern auch Chance eines neuen Anfangs, Ermöglichung einer besseren Welt. Mit dem Bild dieser kommenden besseren Welt vor Augen wendet sich der Dichter an die nachfolgende Generation und bittet darum, man möge die gescheiterten „Kämpfer für das Gute“ in gnädiger Erinnerung behalten: Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut In der wir untergegangen sind Gedenkt Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht Auch der finsteren Zeit Der ihr entronnen seid. Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechseln Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung Dabei wissen wir doch: Auch der Hass gegen die Niedrigkeit Verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht Macht die Stimme heiser. Ach, wir Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit Konnten selber nicht freundlich sein. Ihr aber, wenn es so weit sein wird Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist Gedenkt unser Mit Nachsicht. Weinbau, Mosaike in der Kirche Lot und Prokopius am Berg Nebo, Jordanien

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=